Dekade der Wohlstandsvernichtung – Transkript
Hallo und herzlich willkommen zur neuesten Ausgabe meines Podcasts.
Ich freue mich ausgesprochen, dass Sie auch in dieser Woche wieder mit dabei sind. In dieser Woche ist der Podcast anders, als Sie es gewohnt sind. Ich habe keinen Gast. Stattdessen möchte ich mit Ihnen diskutieren, wie ich die Welt sehe.
Und Anlass gab es dafür in dieser Woche genug: zum einen die erneut schlechten Meldungen zur Lage der deutschen Wirtschaft, zum anderen die Tagung der BRICS-Staaten, die immer offener und immer klarer daran arbeiten, eine neue multipolare Weltordnung zu schaffen. Das würde uns alle betreffen.
Und dann noch die Tagung des Internationalen Währungsfonds in der letzten Woche in Washington. Dort gab es ein ganz wichtiges Thema. Das Thema der weltweiten Verschuldung, um nicht schon zu sagen, Überschuldung. All das in Kombination droht, in den kommenden Jahren zu einer gefährlichen Mischung zu werden. Ich persönlich fürchte, wir sind bereits inmitten einer Dekade der Vermögensvernichtung.
Und für mich stellt sich die Frage: Was bedeutet das für Deutschland? Wie sollten wir in Deutschland politisch darauf reagieren, um eben diesen Schaden für uns, wenn nicht schon ganz abzuwenden, so zumindest zu minimieren und natürlich stellt sich auch die Frage, was das für jeden Einzelnen von uns bedeutet. Ich möchte Sie also heute in dieser Folge durch meine Sicht der Welt führen. Wenn Sie dies alles nachvollziehen wollen, so können Sie das tun, indem Sie in den Shownotes nachschauen, wo Sie einen Link finden zu einem Transkript dieses Podcasts. Ich hoffe, Sie finden das interessant und ich bin gespannt, welches Feedback ich am Ende bekomme. Darum geht es also heute. Der Blick von Daniel Stelter auf die Welt. Fangen wir also an!
Sie haben es alle gehört. Die Wirtschaftsverbände haben in dieser Woche erneut mit der Bundesregierung abgerechnet und fordern dringende Reformen, wenn wir den Wohlstand hierzulande sichern wollen. Derweil haben sich die BRICS getroffen, haben gezeigt, dass Russland keineswegs so isoliert ist, wie wir es gerne glauben wollen und haben deutlich gemacht, dass sie an einer Gegenposition, an einem Gegengewicht zum Westen arbeiten wollen. Schließlich hat der Internationale Währungsfonds eindringlich vor der Verschuldung in der Welt gewarnt.
Diese Themen gehören zusammen betrachtet. Beginnen wir mit dem letzten Thema, beginnen wir mit den Schulden. Die Warnung des IWF bezieht sich vor allem auf die zu hohen Staatsschulden. Wir müssen aber anerkennen, dass wir es in der Welt nicht nur mit zu hohen Staatsschulden, sondern auch mit zu hohen Schulden im Privatsektor zu tun haben. Seit Jahren steigt die Verschuldung weltweit an, noch 1950 lag die Verschuldung von Staaten und privaten Haushalten bei ungefähr 100 % des Bruttoinlandsproduktes. Bis zum Jahr 1980 stieg das nur geringfügig an, vor allem durch einen Anstieg der Verschuldung der Unternehmen. Seit den 80er-Jahren geht es jedoch steil bergan. Private Haushalte, Unternehmen und Staaten haben immer schneller immer mehr Schulden angehäuft. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat vorgerechnet, dass in 30 Jahren, zwischen 1980 bis zur Finanzkrise, die Verschuldung sich ungefähr verdoppelt hat, relativ zur Wirtschaftsleistung, und dabei inflationsbereinigt, die Verschuldung der Unternehmen sich mehr als verdreifacht, die der Staaten mehr als vervierfacht und die der privaten Haushalte mehr als versechsfacht hat. Das, wie gesagt, in den 30 Jahren bis zur Finanzkrise. Seither sind die Verschuldungsraten weiter gestiegen. Lag zum Zeitpunkt der Finanzkrise die Verschuldung der Industrieländer relativ zum Bruttoinlandsprodukt ungefähr bei 200 %, so haben wir heute bereits ein Niveau von über 240 % erreicht. Es gibt viele Gründe, warum die Verschuldung so gestiegen ist, und es lohnt sich, diese genauer anzusehen.
Ursache des Anstiegs der Verschuldung
Dieser Anstieg der Verschuldung war kein Zufall, sondern ist die direkte und beabsichtigte Folge der Wirtschaftspolitik. Immer, wenn es darum ging, kurzfristige Probleme zu lösen und Rezession zu verhindern, hat man auf mehr Schulden gesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Staaten zunächst Glück. Die Wachstumsraten waren hoch, die Inflationsraten moderat und es gelang, die sogenannte finanzielle Repression durchzusetzen. Die Sparer konnten ihr Geld nicht frei anlegen, mussten es überwiegend in Staatsanleihen investieren, und die Verzinsung der Staatsanleihen lag unter der nominalen Wachstumsrate der Wirtschaft. In der Folge sanken die Verschuldungsquoten in Staaten wie den USA und Großbritannien deutlich.
Andere Staaten wie Deutschland hatten sich nach dem Zweiten Weltkrieg bekanntlich durch Bankrotte bzw. Währungsreformen der eigenen Schulden entledigt. Zugleich hatten wir damals das System der festen Wechselkurse von Bretton Woods, was letztlich über den Dollar indirekt sogar mit dem Goldstandard verbunden war. Das System funktionierte sehr gut am Anfang, jedoch mehrten sich über die Zeit die Spannungen. Vor allem gelang es den USA nicht, die Staatsdefizite in den Griff zu bekommen, vor allem auch bedingt durch den Vietnamkrieg. Als dann die Franzosen die Zahlungen in Gold statt in US-Dollar forderten, kam es zum Zusammenbruch des Systems fixer Wechselkurse. Die Bindung des US-Dollars an Gold wurde damit letztlich endgültig aufgehoben, was auch bedeutet, dass die Schaffung von neuem Geld nunmehr deutlich leichter möglich war.
Die unmittelbare Folge war zunächst ein deutlicher Anstieg der Inflationsraten, auch bedingt durch den Ölpreisschock. Damals wurde der Begriff der Stagflation geprägt. Eine stagnierende Wirtschaft bei gleichzeitig steigenden Preisen, also Inflation. Nur durch drastische Zinserhöhungen gelang es den Notenbanken, allen voran der US-Notenbank Fed, die Inflation unter Kontrolle zu bekommen. Der Preis dafür war eine heftige Rezession Anfang der 1980er-Jahre. Und das setzte dann den Startpunkt für eine Entwicklung, die 40 Jahre angedauert hat. Um die Wirtschaft wieder zu mehr Wachstum zu stimulieren, wurde damals ausgehend von den USA und Großbritannien zunehmend auf Liberalisierung gesetzt. Dies war vor allem verbunden mit einer Deregulierung des Banken- und Finanzsektors. Den Banken wurde eine Ausdehnung des Geschäftes erleichtert und ermöglicht. Und vor allem wurde es normal, immer mehr auf Kredit zu finanzieren. Damit war das Instrument der Verschuldung in der Welt losgelöst, um wann immer man es brauchte, aktiviert zu werden.
Die erfolgreiche Bekämpfung der Inflation führte damals zu einem deutlichen Rückgang des Zinsniveaus. Am Höhepunkt verzinsten sich 10-jährige US-Staatsanleihen mit ungefähr 15 %. Wir erinnern uns, in der Corona-Krise näherten sich die Zinsen fast 0 %. Diese stetige Verbilligung von Krediten führte natürlich dazu, dass die Nachfrage der privaten Haushalte und der Unternehmen nach Krediten anstieg. Die Wirtschaft belebte sich und auch andere Länder folgten dem Vorbild und deregulierten ihre Finanzmärkte. Zugleich passierte auf der geopolitischen Ebene etwas sehr Unerwartetes. Es kam zum Zerfall der Sowjetunion, zum Zerfall des Ostblocks, zum Fall der Mauer und auch zum Eintritt Chinas in den Weltmarkt. Die Globalisierung nahm ihren Aufschwung. Das Ganze war, so würde man es als Ökonom betrachten, ein enormer Angebotsschock. Es kamen Millionen von Menschen neu auf den Arbeitsmarkt, die bereit waren, härter zu arbeiten und für weniger Geld zu arbeiten als die Menschen im Westen. Die Löhne kamen unter Druck und die Preise stiegen nur noch langsam. Die Inflationsgefahr schien endgültig gebannt und die Notenbanken im Westen fürchteten, die Preise könnten sogar sinken. Man fürchtete eine sogenannte Deflation. Und weil viele Ökonomen diese Deflation fälschlicherweise als ein Krisensignal sehen – sie denken dann immer an die Große Depression – haben die Notenbanken mit immer tieferen Zinsen dagegengehalten.
Die Folge war, dass das Zinsniveau über Jahre hinweg viel zu tief war und damit die Preise von Anleihen, Aktien und Immobilien befeuerten. Weitere Faktoren befeuerten diesen Trend zu immer tieferen Zinsen. Zum einen die Symbiose zwischen China und den USA. China hat die eigene Entwicklung dadurch befeuert, dass es zur Fabrik der Welt wurde und die Waren dann in den Westen, vor allem in die USA, exportierte. Im Gegenzug wurden die Überschüsse, die erwirtschaftet wurden, dann wieder am amerikanischen Kapitalmarkt angelegt. Diese Kapitalflüsse drückten den wichtigsten Zins der Welt zusätzlich nach unten.
Ein weiterer wichtiger Faktor war die demographische Entwicklung. Wir hatten Peak-Demografie. Was ist damit gemeint? Wir hatten zum einen viele Babyboomer im Arbeitsmarkt, die für das Alter sparen wollten, und zum anderen hatten wir relativ wenig Abhängige. Es gab zwar Rentner, aber relativ wenig Kinder. Und alle Studien deuten darauf hin, dass diese Abhängigkeitsquote ein wichtiger Indikator ist für den Inflationsdruck. Arbeiten viele Menschen und gibt es relativ dazu gesehen wenige Abhängige, ist das gut für die Inflationsrate. Man kann auch umdrehen: Je höher die Abhängigkeitsquote wieder steigt, desto größer dürfte auch der inflationäre Druck werden. Doch dazu später mehr.
Asymmetrische Notenbanken
Das war die Welt der letzten 30 Jahre. Wir hatten Notenbanken, die angesichts geringer Inflationsraten auf andere Ziele achteten, auf das Verhindern von Rezessionen, aber natürlich auch auf das Verhindern von Finanzkrisen. Denn eines war auch offensichtlich: Die immer höhere Verschuldung im System führte dazu, dass Finanzkrisen nicht mehr selten waren, sondern immer regelmäßiger auftraten. Ich erinnere an den Crash von 1987, die Russlandkrise, die Asienkrise, die Schieflage des Fonds LTCM und viele andere weitere Krisen seither. Und immer haben die Notenbanken gerettet.
Diese einseitige Reaktion der Notenbanken, nämlich in Finanzkrisen die Zinsen zu senken und anschließend nicht wieder ausreichend zu erhöhen, hat Spekulanten und Investoren an den Finanzmärkten ein ganz klares Signal gegeben: Es lohnt sich, Risiken einzugehen, denn man wird im Zweifel immer gerettet. Deshalb dürfen wir uns nicht wundern, dass immer mehr mit Verschuldung gearbeitet wurde und dass immer größere Risiken eingegangen wurden.
Die US-Notenbank war allerdings nicht allein mit ihrer aggressiven Geldpolitik. Eine wichtige Rolle spielte auch die japanische Notenbank, die ebenfalls mit einer Politik des billigen Geldes versuchte, die Folgen der geplatzten Spekulation zur Schuldenblase in Japan zu kompensieren. Kredite in Yen waren unschlagbar günstig und damit eine Einladung an Investoren aus aller Welt, sich billig in Yen zu verschulden und damit auf den weltweiten Finanzmärkten zu spekulieren. Eine Einladung, die nur allzu gerne angenommen wurde.
Um alles noch zu toppen, kam in dieses Umfeld hinein auch noch die Erfindung des Internets und damit die Hoffnung auf viele neue Industrien und Geschäftsmodelle. Mittlerweile ist es Geschichte. Es gab einen einmaligen Boom an der Börse, den sogenannten Dot-Com-Boom, der erst im Jahre 2000 endete, nachdem die Aktien letztlich noch teurer gewesen sind, als sie am Höchststand waren vor dem Crash 1929. Die Blase platzte, die Aktienmärkte stürzten ab und die Angst vor einer neuen großen Depression ging um. Das im Jahr 2001 – da hatten wir schon fast 20 Jahre diese neue Welt. Das Platzen der Blase wiederum rief die US-Notenbank auf den Plan. Die Zinsen wurden auf damalige Rekordtiefs gesenkt – heutzutage immer noch relativ hoch, aber damals Rekordtief – und letztlich die Grundlage dafür gelegt, dass eine neue Blase entstehen konnte, diesmal am US-Immobilienmarkt.
Und auch auf die Finanzkrise reagierten Staaten und Notenbanken mit den bewährten Instrumenten: noch mehr billigem Geld und noch mehr Schulden. Wir erinnern uns – Finanz- und Wirtschaftskrisen sind die direkte Folge eines zu starken Kreditwachstums im privaten Sektor. Zur Krise der Staatsfinanzen werden diese vom Privatsektor ausgelösten Krisen erst dadurch, dass die Staaten eingreifen müssen, um Banken und Privatwirtschaft zu stabilisieren. Das zeigt zumindest eine Studie der Universität Bonn, die 94 Krisen der letzten 140 Jahre untersucht hat. Sovereigns versus Banks: Credit, Crises, and Consequences. Die Studie ist für alle diejenigen, die Sie hier nachlesen möchten, in den Shownotes verlinkt.
Das Entscheidende ist aber, dass die Forscher feststellen, dass der Krisenverlauf sehr stark davon abhängt, wie solide die Staatsfinanzen vor der Krise waren. Je geringer ein Staat vor der Krise verschuldet war, desto eher kann er mit der Krise umgehen. Je höher der Staat verschuldet ist, desto schwieriger ist es für den Staat, die Krise einzudämmen.
Halten wir fest: Die Krise von 2008 war kein Zufall. Sie war die unvermeidliche Konsequenz von zu vielen Schulden, die im privaten Sektor und von einigen Staaten gemacht wurden.
Vielleicht noch ein Wort generell zu Schulden
Schulden sind nicht nur negativ, sie haben auch positive Wirkung. Sie schaffen Nachfrage nach Waren, Dienstleistungen, aber auch Vermögenswerten. Und so gesehen sind Schulden gut. Sie sind allerdings nur dann gut, wenn sie zu produktiven Zwecken verwendet werden. Wenn sie dazu dienen, neue Anlagen zu bauen, wenn sie dazu dienen, Forschung und Innovation zu finanzieren. Konsum auf Kredit kann in Ordnung sein, solange der Schuldner die Absicht hat, die Schulden wieder zurückzuzahlen, vereinfacht gesagt, wenn er bereit ist, mehr zu arbeiten und härter zu arbeiten, um entsprechend die Schulden zu tilgen.
Generell kann man sagen, wenn Schulden zu einer Mehranstrengung führen und dabei das Einkommen und gesamtwirtschaftlich das Bruttoinlandsprodukt steigern, dann wachsen die Schulden und das Bruttoinlandsprodukt ungefähr mit der gleichen Rate. Dann sind Schulden positiv und nicht schädlich.
Ist das nicht der Fall, das muss man einfach sagen, Schulden sind nichts anderes als vorweggenommener Konsum. Und das wirkt negativ. Man hat weniger Geld für weiteren Konsum, einfach deshalb, weil man bereits jetzt einen Teil seines Einkommens für Zins und Tilgung ausgeben muss. Und dieses Geld, diese Zinsen fließen dann vor allem auch an jene Gruppen der Bevölkerung, die eine geringere Konsumneigung haben, einfach deshalb, weil sie höhere Einkommen haben oder reicher sind. Dies dämpft die Nachfrage in der Zukunft und damit das Wachstum. Die Folge ist, dass die Zinsen weiter sinken müssen, will man die Wirtschaft weiter stimulieren.
Das hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schon vor Jahren so auf den Punkt gebracht:
- Die Zinsen müssen in Zukunft tiefer liegen, weil sie heute schon tief sind. Das gilt übrigens nach wie vor.
- Und die Corona-Krise hat diese Entwicklung nur kurzzeitig unterbrochen.
- Ja, der Inflationsschub während Corona oder in Folge der geldpolitischen Interventionen während Corona hat die Schuldenlast relativ zum Bruttoinlandsprodukt etwas reduziert, aber eben nur etwas.
- Und wie wir wissen, steigen die Schuldenquoten bereits sehr schnell wieder an.
Im Kern haben Schulden übrigens zwei wesentliche Nebenwirkungen. Zum einen reduzieren sie, wie bereits angesprochen, das Wachstum. Es gibt eine ziemlich interessante Studie von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, die gezeigt hat, dass, sobald die Staatsverschuldung bei 90 % des Bruttoinlandsproduktes liegt, die Wachstumsraten der Wirtschaft zurückgehen. Diese Studie wurde später dann kritisiert wegen einiger Rechenfehler, wobei diese Rechenfehler letztlich nichts an der Kernaussage ändern.
Andere Studien haben mittlerweile die Einschätzung von Carmen Reinert und Kenneth Rogoff bestätigt, so eine Studie des MIT mit dem Titel „Is There a Debt-Threshold Effect on Output Growth?“. Dort kann man folgendes lesen:
„Wir finden keine Hinweise auf einen allgemeingültigen Schwelleneffekt in der Beziehung zwischen Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum. Unabhängig vom Schwellenwert stellen wir jedoch erhebliche negative Auswirkungen der öffentlichen Verschuldung auf das Wirtschaftswachstum fest.“
Also, es gibt nicht den Schwellenwert, Stichwort 90 %, aber es gibt die eindeutige Aussage, dass höhere Verschuldung schlecht ist für das Wirtschaftswachstum. Es sind aber nicht nur Staatsschulden, die negativ auf das Wachstum wirken, es sind auch die privaten Schulden. Das zeigt unter anderem die Studie „Persistent economic slowdown and emergence of debt-ridden borrowers“, ebenfalls verlinkt. Darin werden zwar die Folgen von Finanzkrisen analysiert, letztlich kann man die Aussagen aber auch abgeschwächt auf normale Zeiten mit hoher Verschuldung übertragen. Im Kern darf das nicht verwundern. Schulden müssen nicht nur bedient werden und beziehen damit Nachfrage, sondern sie haben auch eine negative Wirkung auf die Produktivität. Vor allem dann, wenn die Schulden für Konsum und für Spekulation verwendet werden statt für Investitionen. So gesehen dürfen wir uns nicht wundern, dass das Produktivitätswachstum in der westlichen Welt seit Jahren rückläufig ist.
Die zweite Nebenwirkung von hohen Schulden ist die zunehmende Ungleichheit bei der Vermögensverteilung. Das ist ja bekanntlich das ganz große Aufreger-Thema und einige machen damit auch ein sehr gutes Geschäft: allen voran ein Franzose – Thomas Piketty.
Thomas Piketty hat ein Bestseller geschrieben, Titel: „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Die deutsche Ausgabe hat gut 1000 Seiten und das ohne die Fußnoten, die man dann online abrufen muss. In dem Buch kommt übrigens das Wort Schulden nur ein Mal vor, mit dem Verweis auf Staatsschulden. Und da wird dann gesagt, Staatsschulden sind nur ein Problem der falschen Vermögensverteilung zwischen Staat und Privaten.
Ich sehe das übrigens grundlegend anders. Denn die Vermögen sind genauso wie die Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt immer schneller angestiegen. Das darf auch nicht verwundern, sind doch die Schulden des einen das Vermögen des anderen. Aber damit nicht genug. Die Möglichkeit, mit Kredit Vermögenswerte zu kaufen, führt zu einem Preisanstieg. Stellen Sie sich nur vor, wo die Immobilienpreise wären, beispielsweise in München, wenn man alle Wohnungen und Häuser nur mit Eigenkapital kaufen könnte oder mit mehr Eigenkapital, als man es heute tun kann.
Dieser Anstieg der Vermögenspreise aufgrund der Möglichkeit, auf Kredit zu kaufen, erlaubt es übrigens zugleich, wieder mehr Kredite aufzunehmen. Einfach deshalb, wenn das Haus mehr wert ist, dann kann ich es auch höher beleihen.
Profiteure sind alle mit Vermögen
Und der letzte Punkt ist noch, dass natürlich, sobald jemand einen höheren Preis für eine Wohnung bezahlt, nicht nur diese Wohnung wertvoller geworden ist, sondern alle Wohnungen in diesem Haus, alle Häuser in der Straße und letztlich auch alle Immobilien in der Stadt. Was wir also sehen, ist, die Möglichkeit, kreditfinanziert Vermögenswerte zu erwerben, führt zu einem überproportionalen Preisanstieg, und zwar für alle, auch für jene, die eben gar keine Schulden auf ihren Vermögenswerten haben. Das muss man im Hinterkopf haben, steht hinter dem deutlichen Anstieg der Vermögen und der Vermögensungleichheit. Denn naturgemäß können von so einem Vermögenspreisanstieg nur jene profitieren, die die Vermögenswerte bereits besitzen oder die die Möglichkeit haben, an Kredite zu kommen. Jene, die das nicht haben, können logischerweise nicht daran partizipieren, was dazu führt, dass die Vermögensungleichheit entsprechend zunehmen muss.
Ehrlich gesagt bin ich auch jetzt, zehn Jahre nachdem das Kapital im 21. Jahrhundert erschienen ist, verblüfft darüber, dass dieser einfache Zusammenhang zwischen Schulden, Leverage und Vermögenswerten in der Diskussion keinen Platz findet.
Ich hatte damals, im Jahr 2014, im FAZ-Verlag eine kleine Replik geschrieben zu Pikettys Buch. Titel meiner Replik: Die Schulden im 21. Jahrhundert. Ich bleibe dabei, es ist ganz einfach, den Zusammenhang zu erklären und ich finde es verblüffend, dass das eben in der öffentlichen Diskussion nicht gesehen wird. Denn wer wirklich Vermögensungleichheit angehen möchte, der sollte nicht wie Piketty und seine Anhänger an den Symptomen herumdoktern, sondern an den Ursachen. Und die Ursache ist ganz offensichtlich unser Geld- und Finanzsystem, welches es möglich macht, dass Geld aus dem Nichts geschaffen wird, um Vermögenswerte zu kaufen.
Wer sich mit dem Thema genauer beschäftigen möchte, den erinnere ich an Folge 237: „Viel weniger Ungleichheit als gedacht“, wo ich andere Fehler von Piketty diskutiere, nämlich seine Fehler bei der Analyse der Einkommensverteilung.
Wir haben es also mit einem System zu tun, welches systematisch die Verschuldung befördert hat. Fiskalpolitisch, um Wohlstandsverluste zu kaschieren, geldpolitisch, um Anpassungskrisen an den Finanzmärkten zu verhindern. Die Nebenwirkungen sind weniger Wachstum, mehr Ungleichheit und weniger Spielraum für weitere Ausgaben.
Schulden sind viel höher – die ungedeckten Checks
Bevor wir es vergessen: Bis jetzt haben wir ja nur über die offizielle Verschuldung gesprochen. Treue Hörer wissen es, es gibt noch eine weiteres Schuldenproblem, das vielleicht noch viel größer ist, nämlich die verdeckten Schulden der Staaten. Ich denke hier an die Versprechen für künftige Renten, Pensionen und Gesundheitsleistungen, für die keine Regierung in den großen Ländern vorgesorgt hat.
In den USA gehen die Schätzungen dahingehend, dass bis zu 200 Billionen Dollar verdeckte Verbindlichkeiten bestehen, so zumindest die Schätzung des angesehenen Investors Stanley Druckenmiller. Das Congressional Budget Office geht davon aus, dass bereits im Jahr 2040 100 % der Steuereinnahmen des Bundes ausschließlich dafür verwendet werden müssen, um die Zahlungen an Senioren zu leisten.
In Deutschland ist das nicht besser. Das Bundesfinanzministerium rechnet regelmäßig in einem sogenannten Tragfähigkeitsbericht vor, wie viele Milliarden Euro wir ab sofort sparen müssten. Besondere Verdienste um das Thema der sogenannten Generationenbilanz hat sich Professor Bernd Raffelhüschen erworben. Regelmäßig rechnet er vor, wie hoch die Staatsverschuldung wirklich ist. Und er war bei mir auch bereits mehrfach zu Gast, zuletzt in Folge 228 mit dem Titel „Wir haben kein Geld“. Darin haben wir seine jüngste Studie auch zitiert.
„Aktuell liegt die Nachhaltigkeitslücke aus expliziten und impliziten Staatsschulden bei 447,8 Prozent des BIP bzw. 17,3 Billionen Euro. (…) Die impliziten Schulden spiegeln im Wesentlichen die bereits erworbenen und bei Fortführung des Status quo noch entstehenden, aber durch das aktuelle Steuer- und Abgabenniveau nicht gedeckten Ansprüche heutiger und zukünftiger Generationen gegenüber dem Staat wider und belaufen sich auf 381,5 Prozent des BIP. Die heute bereits direkt sichtbaren expliziten Schulden machen demgegenüber 66,3 Prozent des BIP aus und bilden damit nur knapp ein Sechstel der staatlichen Gesamtverschuldung ab. Das ist ein neuer Tiefstand bei der Schuldentransparenz.“
Noch mal zusammengefasst: Die offiziellen Schulden Deutschlands liegen bei ungefähr 66 % des BIP. Die verdeckten Schulden liegen bei über 380 % des BIP. Bevor jetzt die Hoffnung aufkommt, dass es in der EU besser wäre – nein, in der EU ist es nicht besser. Schon 2018 konnte man im Fiscal Sustainability Report der EU-Kommission folgendes lesen:
„Die Analyse weist auf sechzehn Mitgliedstaaten hin, die langfristig einem hohen oder mittleren Haushaltsrisiko ausgesetzt sind. (…) Dabei ist der negative Beitrag der Staatsausgaben für Gesundheit und Langzeitpflege zur Nachhaltigkeitslücke ist besonders hoch (…).Die Gesamthöhe des erforderlichen strukturellen Primärsaldos (RSPB) gibt Aufschluss über die allgemeine Haushaltspolitik, die aufrechterhalten werden muss, um die Nachhaltigkeitslücke zu schließen. (…) Die erforderlichen strukturellen Primärsalden sind besonders in Belgien, Tschechien, Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, Ungarn, Malta, Niederlande, Österreich, Slowenien und dem Vereinigten Königreich groß.“
Das bedeutet konkret: Diese bisher verdeckten Verbindlichkeiten werden in den kommenden Jahren offen zutage treten und die Finanzierungsschwierigkeiten der Staaten weiter erhöhen. Und die sind ja bereits groß, wie wir gesehen haben.
Wir haben gesehen, dass der Zerfall des Ostblocks und der Eintritt Chinas in die Weltwirtschaft die letzten 35 Jahre maßgeblich beeinflusst hat. Es hat die Inflation tief gehalten, weil immer mehr Produktion vor allem nach China verlagert wurde. Und es hat damit geholfen, die Zinsen tief zu halten. Darüber hinaus hat die Entspannung den Staaten im Westen eine Friedensdividende beschert. Die Militärausgaben sind nicht nur in Deutschland deutlich gesunken, und die Politiker konnten das Geld für andere Dinge verwenden, vor allem für mehr Sozialausgaben. Globalisierung und Frieden galten als gesichert, der Westen hatte gewonnen und man sprach gar vom Ende der Geschichte.
Heute wissen wir es besser. Wir haben offene Konflikte – Stichwort Ukraine, Mittlerer Osten, eventuell Taiwan und wir haben viele verdeckte Konflikte. Wir haben einen offenen Versuch der Etablierung einer alternativen Kraft zum Westen, die sogenannten BRICS-Plus-Staaten. Und deren Ziel ist klar: Sie wollen eine multipolare Welt.
Ich habe das Thema der BRICS in der bisher meistgehörten Folge 184: „Der absolute Wirtschaftskrieg“ ausführlich besprochen. Hier zur Erinnerung einige Kernaussagen:
- Krieg wirkt inflationär und zwar egal, ob es ein kalter oder ein heißer Krieg ist.
- Protektionismus wird die Globalisierung ersetzen, was ebenfalls inflationär wirkt.
- Die Offenheit für Migration nimmt weltweit ab und damit auch der damit verbundene Lohndruck.
Übersetzt: Auch das spricht tendenziell für steigende Löhne und steigende Inflation. Die Notenbanken können sich also zukünftig nicht mehr für den deflationären Druck der letzten 35 Jahre feiern lassen, sondern sie bekommen es, so zumindest die These, mit struktureller Inflation zu tun.
Zoltan Pozsar, den ich in Folge 184 umfassend zitiere, bringt es so auf den Punkt:
„Stellen Sie sich den Wirtschaftskrieg als einen Kampf zwischen dem konsumorientierten Westen vor, in dem das Nachfrageniveau maximiert wurde, und dem produktionsorientierten Osten, in dem das Angebotsniveau maximiert wurde, um die Bedürfnisse des Westens zu befriedigen.“
Das bedeutet nichts anderes, als dass sich sehr viel ändert. Wir müssen viel mehr für Verteidigung ausgeben. Wir müssen reindustrialisieren oder eben Reshoring machen oder ähnliches. Und wir haben es zu tun mit einer BRICS-Plus-Allianz von Staaten, die einen großen Anteil der Rohstoffvorkommen auf ihrem Territorium haben, was es schwieriger macht für uns, entsprechend in Wettbewerb zu treten. Größter Profiteur dürfte China sein, welches die eigene große industrielle Basis in eine perfekte Allianz mit den Ländern mit den größten Rohstoffvorkommen bringt. Zoltan Pozsar bringt die Konsequenzen für uns so auf den Punkt:
„Was ansteht, nennt man „Gürtel enger schnallen“, was eine strukturelle, nicht zyklische Angelegenheit ist. Daraus folgt, dass die Fed keine temporäre Zinserhöhung durchführt, sondern eine strukturelle Straffungskampagne. Eine Straffungskampagne, die notwendig ist, weil das Angebot an billigen Arbeitskräften, Gütern und Energie zu Ende ist und die Nachfrage zu hoch ist und nicht schnell genug oder von allein auf ein geringeres Angebot reagiert, was wiederum die Inflation treibt.“
Im Moment mag das nicht so aussehen, die Notenbanken feiern ja bekanntlich den Rückgang der Inflation und senken die Zinsen. Es ist aber gut möglich, dass sie die Zinsen vor allem senken, um uns den Umgang mit den Schulden zu erleichtern.
Wie können wir überhaupt mit den Schulden umgehen? Das schauen wir uns jetzt an.
Wall of Debt der offiziellen und inoffiziellen Schulden
Die hohen aufgelaufenen Schulden werden in den kommenden Jahren zu einer erheblichen Herausforderung. In der Financial Times wurde die Herausforderung mit Blick auf die Staatsfinanzen vor einigen Tagen so zusammengefasst:
„Anders als im Lehrbuch beschrieben, wo die Kapitalmärkte immer noch in erster Linie als Finanzierungsquellen für Kapitalausgaben betrachtet werden, haben sie sich angesichts der derzeitigen weltweiten Schuldenlast, in riesige Schuldenrefinanzierungssysteme verwandelt. (…) Ungefähr drei von vier Transaktionen, die heute über die Finanzmärkte getätigt werden, refinanzieren lediglich bestehende Kredite. Dies bedeutet bei einer durchschnittlichen Laufzeit von sieben Jahren, dass jedes Jahr durchschnittlich fast 50 Billionen Dollar bestehender globaler Schulden umgeschuldet werden müssen. 2026 wird allein die jährliche Schuldenlast der Industrieländer auf über 33 Billionen Dollar in ansteigen, das Dreifache ihrer jährlichen Ausgaben für neue Investitionen.“
Und was sind die Folgen für die Geldpolitik?
„Angesichts der hohen und tief verwurzelten Haushaltsdefizite der Regierungen und der jüngsten Umstellung, insbesondere der US-Finanzministerin Janet Yellen, auf die Finanzierung dieser Defizite mit kurzfristigen Anleihen und Schatzanweisungen gehen wir davon aus, dass der Pool globaler Liquidität jährlich um 8 bis 10 Prozent wachsen muss. Anders ausgedrückt: Bei dieser Wachstumsrate wird sich seine Gesamtgröße alle acht Jahre verdoppeln.“
Das heißt im Klartext: Die Geldpolitik muss dafür sorgen, dass die Liquidität entsprechend wächst. Das ist aber das genaue Gegenteil einer stabilitätsorientierten Politik. Gäbe es denn eine Lösung?
„Langfristig besteht die einzige Lösung darin, die Schulden abzubauen. Angesichts der alternden Bevölkerung, die immer größere und oft obligatorische Sozialausgaben fordert, ist dies eine große Herausforderung für die Regierungen.“
Das ist eine große Herausforderung, aber nicht nur für die Regierungen. Es ist auch eine große Herausforderung für den hoch verschuldeten Privatsektor. Was kann man denn tun bei zu vielen Schulden? Erinnern wir uns: Guthaben sind Schulden, Schulden sind Guthaben. Das heißt, ein Abbau erfolgt immer auf beiden Seiten zugleich. Weniger Schulden bedeutet auch weniger Guthaben. Doch welche Wege gibt es, um Schulden abzubauen?
Was tun bei zu vielen Schulden?
Möglichkeit eins wäre, mehr zu sparen, also das, was Sie und ich tun würden: weniger ins Restaurant gehen, mehr zur Seite legen, Schulden tilgen, Finanzen sanieren. Das funktioniert für einzelne Menschen und Haushalte, das funktioniert für Unternehmen, das kann auch funktionieren für einzelne Staaten – Deutschland ist ein schönes Beispiel. Wir haben die Verschuldung bis zur Coronakrise reduziert. Wir haben sie aber vor allem deshalb reduziert, weil das Ausland mehr Schulden gemacht hat und wir entsprechende Handels- und Exportüberschüsse erzielt haben. Ganze Regionen wie Europa und schon gar nicht die ganze Welt kann gleichzeitig sparen. Das funktioniert nicht. Es würde letztlich nichts anderes bedeuten als eine tiefe Rezession. Wir können es in Italien beobachten. Italien hat jahrelang versucht, die Staatsfinanzen zu stabilisieren, hatte einen Primärüberschuss im Haushalt, also einen Überschuss vor Zinszahlungen, der deutlich über dem lag, was Deutschland unter Wolfgang Schäuble erreicht hat. Und trotzdem ist es dem Land nicht gelungen, die Schuldenquote relativ zum Bruttoinlandsprodukt zu senken, was einfach daran lag, dass die Wachstumsrate nicht da war. Sparen, wie gesagt, geht nur in der Theorie, in der Praxis würde es nicht funktionieren. Mal ganz abgesehen von den erheblichen politischen Widerständen.
Die zweite Option wäre einfach mehr Wirtschaftswachstum. Nach dem Motto: Wir erhöhen die Wachstumsrate der Wirtschaft über die Wachstumsrate der Schulden. Dann muss man keine Vermögen vernichten. Die Vermögen würden nur relativ zum Bruttoinlandsprodukt sinken. Das Problem am Wachstum ist, dass allein schon die Demografie dagegenspricht. Wir stehen vor einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung in Europa und vor deutlich geringeren Wachstumsraten der Erwerbsbevölkerung in den USA. Dies spricht für geringes Wachstum.
Der andere Hebel, um Wachstum zu erzielen, wären Produktivitätsfortschritte. Das haben wir im Podcast in früheren Folgen schon intensiv besprochen. Auch hier haben wir seit Jahren eine unbefriedigende Entwicklung und es spricht wenig dafür, dass die Produktivitätsfortschritte in naher Zukunft deutlich steigen. Die große Hoffnung liegt bei der künstlichen Intelligenz. Doch auch hier dürfte es eher zu Enttäuschungen kommen, wie in früheren Podcast diskutiert. Der Internationale Währungsfonds, der ja besonders laut vor den Folgen der Verschuldung warnt, ist, ebenfalls skeptisch bezüglich der Möglichkeiten, aus dem Problem heraus zu wachsen.
Und blickt man auf die Wachstumserwartungen der Welt, so ganz klar feststellen: Diese sinken seit Jahren. Zurzeit geht der Weltwährungsfonds davon aus, dass die Industrieländer in den kommenden Jahren unter 2 % pro Jahr wachsen werden. Bleiben weniger erfreuliche Alternativen. Eine Möglichkeit wäre, dass einfach die Staaten Pleite machen. Das Problem dabei ist, dass so etwas chaotisch und schwer kontrollierbar abläuft und erhebliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat. Pleiten können nämlich dazu führen, dass auch andere Schuldner, eigentlich gute Schuldner, in Probleme kommen. Das heißt, der Schaden geht deutlich über den einzelnen Staat hinaus. Nicht nur deshalb sind Pleiten sehr unpopulär. Das gilt auch für die geordnete Version der Pleite, nämlich Schuldenschnitte. Hier versucht man, geordnet die Schulden aus der Welt zu schaffen, aber auch das ist sehr unrealistisch angesichts der Dimensionen, um die es geht und natürlich ebenfalls ausgesprochen unpopulär, weshalb Politiker diesen Weg nicht gehen werden.
Es gibt in Deutschland populärere Möglichkeiten, nämlich Vermögensabgaben oder Steuern. Das ist letztlich nichts anderes als eine Alternativversion von Pleite und Schuldenschnitt, wobei der Schaden hier eben nicht auf die Gläubiger verteilt wird, sondern gezielt eine Personengruppe belastet wird, also Reiche oder eben Immobilienbesitzer. Übrigens wurde eine solche Lösung bereits 2013 vom Internationalen Währungsfonds zur Lösung der Staatsschuldenkrise vorgeschlagen:
„Die drastische Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in vielen Ländern hat das Interesse an einer „Vermögensabgabe“ – einer einmaligen Steuer auf privates Vermögen – als außerordentliche Maßnahme zur Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit wiederbelebt. Der Reiz liegt darin, dass eine solche Steuer, sofern sie eingeführt wird, bevor eine Vermeidung möglich ist, und man davon ausgeht, dass sie nie wieder eingeführt wird, das Verhalten nicht verzerrt. Es gab illustre Befürworter, darunter Pigou, Ricardo, Schumpeter und – bis er seine Meinung änderte – Keynes. (…) Es gibt überraschend viel Erfahrung, auf die man zurückgreifen kann, da solche Abgaben in Europa nach dem Ersten Weltkrieg und in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet waren. (…) Die Steuersätze, die erforderlich sind, um die Staatsverschuldung auf das Vor-Finanzkrisenniveau zu senken, sind beträchtlich: Um die Schuldenquoten auf das Niveau von Ende 2007 zu senken, wäre ein Steuersatz von etwa 10 Prozent für Haushalte mit positivem Nettovermögen erforderlich.“
Das, wie gesagt, schrieb der Internationale Währungsfonds bereits im Jahre 2013. Ich selbst habe so etwas bereits früher diskutiert, und zwar bereits 2011, damals noch bei BCG in einem Paper mit dem Titel „Back to Mesopotamia“. Der Titel erinnerte an Mesopotamien, wo alle 30 bis 40 Jahre ein Jubeljahr durchgeführt wurde und alle Schulden (auch alle Forderungen) abgeschrieben wurden. Für historisch interessierte Hörer habe ich dieses Paper auch in den Shownotes verlinkt.
Wenn wir heute auf die Schulen blicken, müssen wir sagen, dass es vermutlich mit den 10 %, die der IWF vor etwas mehr als zehn Jahren ausgerechnet hat, nicht getan wäre. Zum einen, weil natürlich die Schulden höher sind und zum anderen, weil man natürlich nicht alle besteuern würde. Man würde sicherlich aus politischen Gründen Freibeträge haben und man würde sicherlich auch Betriebsvermögen verschonen. Das heißt, wir sprechen hier schnell über 25 % und mehr an Abgaben, würde ich schätzen. Und obwohl wir in Deutschland eine gewisse Tradition haben – ich denke an den Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Hauszinssteuer nach der Hyperinflation in der Weimarer Republik – kann ich mir nicht vorstellen, dass es in anderen Ländern ähnlich populär ist.
Bleibt die Inflationierung: Das ist sicherlich die beliebteste Version aus Sicht der Politiker. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg, ich habe es vorhin erwähnt, haben die Staaten über finanzielle Repression, also über Zinsen, die unterhalb der nominalen Wachstumsrate lagen, die Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt gedrückt. Gut möglich also, dass die Politiker es auch diesmal wieder auf diesem Wege probieren werden. Man muss aber wissen, was es bedeutet. Zum einen bedeutet es, dass die Zinsen dauerhaft unter der Inflationsrate bleiben. Es bedeutet auch, dass die Politik immer mehr eingreift in die Kreditvergabe der Banken, also hier Vorgaben macht bezüglich der Höhe der Kreditvergabe, wie auch der Sektoren, in die die Kredite fließen. Das wird ja bereits vorbereitet. Ich denke an die Diskussion zum Thema Klimarettungsfinanzierung und der Rolle der Notenbanken. Und zum anderen geht das Ganze natürlich nur dann, wenn man auch Kapitalverkehrskontrollen einführt. Und hier finde ich es interessant, dass der Internationale Währungsfonds bereits vor einigen Jahren gesagt hat, dass Kapitalverkehrskontrollen durchaus ein geeignetes Instrument sein können.
Was kommt? Nun, der bereits zitierte Zoltan Pozsar aus Folge 184 bringt es so auf den Punkt:
„Sehen Sie die Inflation als zyklisches Problem, Ausgelöst durch Corona und übermäßige Anreize oder als strukturelles Problem in Folge des chaotischen Übergangs zu einer multipolaren Weltordnung, in der zwei Großmächte die Macht und Hegemonie der USA herausfordern. Im ersten Szenario hat die Inflation ihren Höhepunkt erreicht. Wenn letzteres der Fall ist, hat die Inflation gerade erst begonnen und könnte tatsächlich als ein regelrechtes Kriegsinstrument verstanden werden, denn wie Lenin sagte, „ist der beste Weg, das kapitalistische System zu destabilisieren, die Währung zu entwerten“.“
Die Inflation bleibt also eine realistische Gefahr. Bevor wir zu den Schlussfolgerungen für Deutschland kommen, müssen wir noch kurz einen Blick auf den Euro werfen.
Die besondere Lage in der EU und in der Euro-Zone
In diesem ganzen weltwirtschaftlichen Umfeld, welches wir besprochen haben, also Globalisierung, Markteintritt China, Zinspolitik der Notenbanken etc. gab es in Europa noch ein weiteres großes Experiment, nämlich die Einführung des Euro. Wir wissen, der Euro wurde eingeführt ohne die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, nämlich eine gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Der Euro hat dann auch ganz anders gewirkt als gedacht. Er hat nicht dazu geführt, dass die Wirtschaften sich angenähert haben – also keine Konvergenz – sondern stattdessen zu viel mehr Divergenz geführt. Die Volkswirtschaften im Süden, vor allem Spanien und Italien haben sich gefreut, tiefe Zinsen zu bekommen und haben entweder das dazu genutzt, sich weniger anzustrengen bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen oder aber es wurden Verschuldungsblasen gefördert – Stichwort spanischer Immobilienmarkt. Die Krise war die Folge, die Eurokrise, und die Euro-Rettungspolitik hat nichts anderes getan, als die Probleme der Welt noch mal zu potenzieren. Noch tiefere Zinsen, ein schwacher Euro – all das hat dazu geführt, dass vor allem Deutschland profitiert hat, aber nicht als großer Profiteur, sondern einfach nur als Exportnation, die natürlich davon profitiert, wenn die eigene Währung schwach ist. Die Folge ist, die Wirtschaften der Eurozone haben sich immer weiter auseinanderentwickelt.
Und auch das zeigt eine Studie des Internationalen Währungsfonds. 2018 erschien sie und sie hat den Titel „Economic convergence in the euro area: coming together or drifting apart?“. Die Kernaussage ist eindeutig.
„Länderübergreifende Ströme auf den Arbeits-, Kapital-, Waren- und Dienstleistungsmärkten sollten die Einkommenskonvergenz und die Anpassungsfähigkeit der Länder an Schocks in der gemeinsamen Währung fördern. (…) Die vorgesehenen Anpassungsmechanismen im Rahmen der Währungsunion waren jedoch unzureichend, um die Konvergenz zu unterstützen, und trugen in einigen Fällen zur Divergenz bei. Die Arbeitskräftemobilität blieb bescheiden und die Handelsintegration war geringer als erwartet. Die Länder trieben die Strukturreformen nicht wie erwartet voran, und die Fiskalpolitik war in der Praxis oft prozyklisch statt antizyklisch. Die Kapitalströme erlebten in den ersten Jahren der Währungsunion einen spektakulären Boom, erwiesen sich jedoch als destabilisierend und nicht als stabilisiernd, wie die scharfe Umkehr der Kapitalströme während der Krise zeigte. Darüber hinaus führten diese Kapitalströme nicht zu einer Konvergenz der Produktivität, die eine nachhaltige Konvergenz der Realeinkommen bewirkt hätte. (…) Der Handel innerhalb des Euroraums ist beträchtlich, hat aber nicht so stark zugenommen wie vorhergesagt. Entgegen den Erwartungen gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die Währungsunion den Handel angekurbelt hat. Der Handel innerhalb des Euroraums nahm weniger zu als der Handel mit Ländern außerhalb des Euroraums.“
Klartext: Wir haben es zu tun mit einer Divergenz. Der Euro hat nicht dazu geführt, dass der Euroraum stärker geworden ist, sondern er wurde schwächer. Und vor allem hat er eines bewirkt: Er hat dazu beigetragen, dass die Verschuldung in wichtigen Mitgliedsstaaten komplett außer Kontrolle geraten ist – Stichwort Frankreich.
Die Optionen, um mit den Schulden umzugehen, sind dieselben wie bereits vorher diskutiert.
Wir könnten auf Wachstum setzen. Dabei wissen wir, gerade in der EU und in der Eurozone ist das Wachstum noch schlechter als im Rest der Welt – wegen der schlechten Demografie und der schlechten Produktivitätsentwicklung.
Sparen ist undenkbar. Man denke an die politischen Mehrheiten in anderen Ländern, Beispiel Frankreich.
Vermögensabgaben: Wie gesagt, in Deutschland populär, in den anderen Ländern völlig undenkbar. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem CFO eines großen italienischen Unternehmens. So ungefähr DAX-Liga würde man in Deutschland sagen. Wir haben darüber diskutiert, ob man nicht über eine Vermögensabgabe die Probleme lösen könnte. Und wie ich immer wieder vorgerechnet habe, könnte der italienische Staat die eigene Staatsverschuldung problemlos über eine beispielsweise Zwangshypothek auf italienischen Immobilien lösen. Er lachte und sagte: Das werden wir nie machen. Wir glauben immer daran, dass die Provinzen zahlen – Stichwort Deutschland. Und wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir immer auf Inflation setzen, aber niemals auf Vermögensabgaben.
Eine weitere Möglichkeit, die es natürlich nur in der EU gibt – oder Eurozone – und nicht weltweit, ist die Transferunion. Wir wissen es, dass Frankreich und Italien von Anfang an auf diese Transferunion gesetzt haben. Das ist eine Vermögensabgabe der ganz speziellen Art, nämlich von Deutschland und den Niederlanden an die anderen. Bei uns wäre das nichts anderes als die Umverteilung von Arm zu Reich. Wissen wir doch, dass die privaten Haushalte in Deutschland über deutlich weniger Vermögen verfügen als die privaten Haushalte in Italien, Spanien und Frankreich. Trotzdem kann man den Einstieg in so eine Transferunion leider bei der deutschen Politik nicht ausschließen. Es ist explizit Ziel im Wahlprogramm von SPD und Grünen gewesen für die letzte Bundestagswahl. Und auch die Union ist ja, wie sie selbst betont, immer pro-europäisch. Ich persönlich muss sagen, es hat nichts mit pro-europäisch zu tun, wenn wir mit unserem Geld die Löcher bei den anderen stopfen. Denn selbst, wenn wir es wollen, werden wir es uns angesichts der desaströsen Entwicklung der deutschen Wirtschaft auf Dauer ohnehin nicht leisten können.
Was zu einem weiteren Szenario führt, was eurozonenspezifisch ist, nämlich dem Szenario eines Eurozonenzerfalls. Wir wissen, normalerweise treten die Zahler aus, am Ende einer Währungsunion, nicht die Empfänger – Stichwort Lateinische Münzunion, die wir in Folge 247 mit dem Titel „Der Preis ist zu hoch“ besprochen haben. Da Deutschland niemals austreten wird, steht zu befürchten, dass der Euro erst dann platzen wird, wenn er nicht mehr zu finanzieren ist, also nach dem zweiten Versailles, wie es der französische Figaro bereits bei der Einführung des Euros schrieb.
Rudolf Augstein berichtete darüber im Spiegel am 17. Oktober 2003 folgendermaßen:
„Le Figaro, altberühmte Tageszeitung Frankreichs, verglich Maastricht frohgemut mit dem Versailler Vertrag von 1919, der beträchtlich zum Zweiten Weltkrieg beigetragen hat. So ließ er sich vernehmen: ‘Die Gegner von Maastricht fürchten auch, dass die ’ _‘Einheitswährung und die europäische Zentralbank die’ _‘Überlegenheit der Mark und der Bundesbank festigen ’_‘würden. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn der ’_‘Vertrag angewandt wird, muss Deutschland seine Geldmacht’ _‘teilen, die es heute gebraucht und missbraucht, indem es’ _‘sich die Wiedervereinigung vom Ausland bezahlen lässt.’ _‘»Deutschland wird zahlen«, sagte man in den zwanziger ’ _‘Jahren. Heute zahlt es: Maastricht, das ist der’ _‘Versailler Vertrag ohne Krieg.’“
Tja, verweigern wir uns der Transferunion, und selbst wenn wir sie eingehen, glaube ich, bleibt nur die bereits angesprochene Inflation. Und hier möchte ich eine zweite Anekdote erzählen.
Vor einigen Jahren habe ich einen ranghohen Vertreter der französischen Politik getroffen. Er war Minister, er war dann in einer führenden Position bei einem Unternehmen und er war sogar hinterher mal in der EU-Kommission. Und er sagte zu mir: „Herr Stelter, das Problem mit den Schulden ist doch ganz einfach zu lösen – es gibt Inflation.“ Da habe ich gemeint: „Aber die Deutschen, wir mögen doch keine Inflation.“ Da hat er gelacht und hat gesagt: „Schauen Sie sich den Staatsanleihen Markt an. Es dauert nicht mehr lange, dann ist nicht mehr Deutschland der größte Schuldner in Europa, sondern Frankreich und Italien. Und wir? Wir werden Inflation durchsetzen.“
Das heißt, wir stehen vor dem Szenario, dass wir mit den hohen Schulden irgendwie umgehen müssen, dass wir eher Richtung Inflation gehen – einerseits politisch gewollt, wenn auch nicht offiziell zugegeben und andererseits auch teilweise aufgrund der die Globalisierung der multipolaren Welt erzwungen.
Die große Frage, die sich stellt, ist:
Was bedeutet das eigentlich für Deutschland?
Bevor ich zu meiner Schlussfolgerung für Deutschland komme, noch dieser Ihnen wohlbekannte Hinweis: Nach wie vor gibt es ein exklusives Angebot für alle bto featured by Handelsblatt Hörer. Testen Sie das Handelsblatt Premium für vier Wochen lang für nur einen Euro und bleiben Sie so zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzlage informiert. Mehr erfahren Sie unter handelsblatt.com/mehrperspektiven und wie immer auch in den Shownotes zu dieser Ausgabe.
Mittlerweile ist es kein Geheimnis mehr, es steht schlecht um den Standort Deutschland, es steht schlecht um die deutsche Wirtschaft. Doch wie kam es dazu? Wir waren doch der große Globalisierungsgewinner. Wir waren auch ein Euro-Profiteur, wenngleich auch anders als gerne erzählt wird, nämlich durch die Schwäche des Euros, was unsere Exporte außerhalb der Eurozone sehr stark befördert hat.
Und das alles ändert sich nun auf einen Schlag. Wir sind – das darf man wohl sagen – der Große, Deglobalisierungsverlierer. All die Tendenzen, die wir gerade besprochen haben, sprechen gegen Deutschland. Und wir haben die guten Jahre nicht genutzt. Wir wissen es. Es wurde nicht investiert, es wurde konsumiert. Die Infrastruktur ist verfallen, die digitale Infrastruktur ist ein Witz, die Bundeswehr ist alles, aber nicht verteidigungsfähig und das Bildungssystem wird immer offensichtlicher schlecht – das alles kombiniert mit verfehlten politischen Prioritäten, wie der offensichtlich falschen Politik mit Blick auf die Energieversorgung, also den Ausstieg aus der günstigen und CO2-armen Atomkraft und der damit verbundenen, immer größeren Abhängigkeit von russischem Gas.
Packen wir noch die Zuwanderung hinzu, dann ist das Paket komplett. Ein Land, welches die gute Zeit nicht genutzt hat und politisch die völlig falschen Prioritäten setzt.
Das alles spiegelt sich dann auch wieder in der Vermögensentwicklung in den privaten Haushalten. Wir haben traditionell eine sehr schlechte Rendite erzielt mit unseren Auslandsanlagen und auch ansonsten ist die Vermögensentwicklung in Deutschland relativ zur Wirtschaftsleistung deutlich zurückgeblieben. Hör-Empfehlung dazu: Die Folge 90 mit dem Titel „Die fatale Sparbuchkultur der Deutschen“. In dieser Folge erklärt Professor Schularick die schlechten Erfolge der Geldanlage. Es lohnt sich, das anzuhören und vor allem sollten wir dringend etwas daran ändern.
Ein weiteres ausgesprochen ärgerliches Thema sind die Target2-Forderungen. Sie erinnern sich? Über 1000 Milliarden Euro hat die Bundesbank im Rahmen des Euro-Systems an andere Notenbanken verliehen, vor allem nach Italien. Diese Forderung ist schlecht verzinst, sie war jahrelang gar nicht verzinst, jetzt ist sie schlecht verzinst. Und vor allem gibt es keine Möglichkeit, sie fällig zu stellen, also das Geld anderweitig zu verwenden. Daran könnten wir was ändern, wenn wir nur wollten. Wie wir die Target2-Forderungen nutzen könnten, erläutert der Investor Hans Albrecht in der Folge 197 mit dem Titel „Deutschlands Billionschatz“. Wir könnten das Geld gut gebrauchen, aber die Politik handelt nicht.
Hinzu kommt und das ist die ganz, ganz wichtige Erkenntnis, die wir eigentlich alle wissen, die wir uns aber nicht ausreichend bewusst machen: Wir haben keine eigene Währung mehr. Das heißt, was immer wir tun, die Zukunft des Euro wird sowieso nicht in Berlin oder in Frankfurt entschieden. Die Zukunft wird letztlich entschieden von den Schuldnerländern im Euro, allen voran Frankreich und Italien. Diese wollen mehr Transfers, diese wollen mehr gemeinsame Schulden und sie werden ganz eindeutig den Druck erhöhen in Richtung mehr Inflation. Einfach deshalb, weil es nicht populär ist, die eigenen Bürger zu belasten. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, wir stehen vor einer Dekade der Vermögensvernichtung, ausgelöst durch die Notwendigkeit höherer Inflation in der EU und der Eurozone, ausgelöst durch die Folgen der Deglobalisierung und der multipolaren Welt und durch die Tatsache, dass wir weltweit eigentlich überschuldet sind.
Wir brauchen für diese Dekade der Vermögensvernichtung eine Antwort. Wir brauchen eine deutsche Strategie.
Eine Strategie für die Zukunft
Wir brauchen eine Strategie in Deutschland, wenn wir verhindern wollen, dass nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und des Zweiten Weltkrieges und der daraus folgenden Teilung nun zum dritten Mal eine erhebliche Vermögensvernichtung in Deutschland innerhalb von etwas mehr als 100 Jahren droht. Um zu handeln, brauchen wir natürlich Politiker, die erkennen, was vor uns liegt, nämlich die Dekade der Vermögensvernichtung, Politiker, die auch bereit sind, etwas dagegen tun zu wollen, Politiker der Lage sind, etwas zu tun und Politiker, die entsprechend handeln. Noch können wir das. Und die Grundidee ist meine Kernaussage zum Thema Euro. Wer in einer Schuldenunion spart, ist der Dumme. Das gilt für den Staat, spart der Staat in Deutschland weiter, steigt die Begehrlichkeit der anderen Staaten, mehr Transfers zu bekommen. Hinzu kommt, dass wir dann unsere eigene Leistungsfähigkeit, unsere eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weiter schwächen und damit die Überforderung des Staates Deutschland droht.
Das Thema Sparen in der Schuldenunion als dumme Idee gilt natürlich auch für die Privaten. Wir sind ein Volk von Mietern. Wir sind ein Volk von Sparern auf Konto, Sparbuch und Lebensversicherung, auch wenn sich das etwas beginnt zu ändern. Und deshalb drohen uns erhebliche Vermögensverluste, reale Vermögensverluste, aber auch Reallohnverluste und Realrentenverluste und darauf müssen wir reagieren.
Was konkret schlage ich vor?
Der Staat sollte massiv mehr Schulden machen. Wir haben zurzeit eine offizielle Staatsverschuldung von ungefähr 60 % vom BIP. Wir können diese Verschuldung eigentlich verdoppeln. Wenn wir 120 % vom BIP haben, befinden wir uns in der Eurozone in guter Gesellschaft. Der Staat braucht dringend mehr Geld, das Problem ist, nicht die Politiker, die Politiker sind das Problem. Wie groß das Problem ist, erleben wir jeden Tag neu. Ich denke nur an die aktuellen Vorschläge von Robert Habeck. Statt eine allgemeine Steuernabgabensenkung vorzuschlagen, statt den Staat weiter zu reduzieren, hat der Wirtschaftsminister in dieser Woche einen Vorschlag aus dem Hut gezaubert, der typisch Robert Habeck ist. Es soll ein Investitionsfonds geben, der Zuschüsse auszahlt, so denn die Wirtschaft irgendwelche Investitionen tätigt, die dem Wirtschaftsministerium gefallen.
Ich bin immer wieder verwundert, dass trotz der Tatsache, dass alle Projekte scheitern (man denke nur an Wolfspeed, eine weitere Chipfabrikation, die mit Milliarden gefördert werden sollte und die nicht kommt), dass trotz dieses offensichtlichen Scheiterns immer weiter geglaubt wird, der Staat, das Wirtschaftsministerium, die Bundesregierung könnten die Wirtschaft steuern. Nein, sie können das nicht.
Also: Wir brauchen dringend mehr Geld für den Staat, aber eben nicht in die Hände dieser Politiker. Was können wir tun? Ich würde dafür plädieren, dass wir in der Tat echte Sondervermögen schaffen. Das ist nichts anderes als schuldenfinanzierte Investitionsfonds, aber eben mit dem Vorteil, dass nicht irgendwelche Regierungswechsel zu völlig anderen Mittelallokationen führen. Wir sollten Sondervermögen einrichten für die Bundeswehr, für die Infrastruktur, sowohl analog wie auch digital, für die Reform des Bildungswesens und diese Sondervermögen so einrichten, dass sie nicht antastbar sind, eben wenn es zu Regierungswechseln kommt. Die Mittelverwendung in diesen Sondervermögen, diesen Sonderschuldentöpfen sollte erfolgen nach Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkten, nach dem Motto: Wir geben das Ziel vor, aber wir sagen nicht, wie das Ziel erreicht wird. Und konkret sollten diese Sondervermögen dann nicht durch Politiker, sondern durch Experten und professionelle Manager verwaltet werden. Damit bekommen wir Stabilität in die Entscheidungen und vor allem auch Planungssicherheit für alle Beteiligten.
Das setzt voraus, dass wir eine Verfassungsänderung vornehmen. Das setzt voraus, dass wir einen breiten Konsens haben im Parlament, weil nur dann haben wir die Mehrheit zusammen, wie beim Stichwort Bundeswehr Sondervermögen ja schon gesehen, und das setzt voraus, dass die Politik erkennt, dass sie zwar die Ziele definieren kann, denn Ziele sind ja unstrittig – das Land voranzubringen, – aber eben selbst nicht über die Kompetenz verfügt, das entsprechend umzusetzen.
Ich weiß, dass es ein Long Shot ist, dann können wir darüber diskutieren, ist das realistisch, dass das kommt? Das werden wir am Ende noch machen. Nur, ich bin fest davon überzeugt, wenn wir das nicht tun, dann werden wir nicht in der Lage sein, uns gut aufzustellen. Die Logik der Sondervermögen ist relativ klar: Wir sanieren das Land, wir bauen Brücken, wir bauen digitale Infrastruktur etc. und zugleich profitieren wir davon, dass unsere Schulden, unsere Euro-Schulden sich genauso wie die Euro-Schulden Frankreichs und Italiens im Zuge einer künftigen Inflation entwerten werden. Wenn man in die Richtung geht mit höheren Staatsschulden, sei an dieser Stelle angemerkt, wäre es natürlich vernünftig, ein Junktim herzustellen zwischen der Erhöhung der offiziell ausgewiesenen Verschuldung und gleichzeitig einer Reduktion der verdeckten Verschuldung. Das habe ich im Podcast schon mehrfach erläutert. Mir schwebt vor, wir machen mehr offizielle Staatsschulden, investieren in das Land professionell und im Gegenzug führen wir Reformen durch im Bereich der Sozialgesetzgebung, beispielsweise eine echte Rentenreform, die dazu führt, dass die Lasten für die zukünftige arbeitende Bevölkerung reduziert werden. So könnte man die verdeckte Verschuldung reduzieren, während die offizielle Verschuldung steigt. Das wäre nachhaltige Politik.
Wenn wir schon beim Staat sind: Der Staat selbst muss ja auch reformiert werden. Wir brauchen dringend eine Staatsreform. Das bedeutet zum einen weniger Staat. Ich erinnere an das Tabuthema Zusammenlegung von Bundesländern. Wir brauchen weniger Bundesländer, wir brauchen weniger Mitarbeiter beim Staat. Es ist ein Unding, dass die Anzahl der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, vor allem bei den Ministerien im Bund, seit Jahren deutlich stärker wächst als die Wirtschaft und deutlich schneller wächst als Erwerbsbevölkerung. Hier müssen wir dringend gegensteuern. Das geht nicht so einfach, weil logischerweise die Menschen, die dort arbeiten, auch irgendetwas tun. Das heißt, wir müssen auf Effizienz setzen. Wir brauchen eine Reform des Steuerrechts. Da gehe ich gleich noch mal drauf ein. Wir brauchen Entbürokratisierung, und vor allem brauchen wir weniger Sozialversicherungsträger. Hier können wir uns Vorbilder anschauen, wie beispielsweise in Österreich und die Anzahl der Sozialversicherungen deutlich reduzieren und damit auch den Arbeitskräftebedarf.
Ein anderes Beispiel wären die Kfz-Zulassungsstellen. Diese sollte man komplett abschaffen. In anderen Ländern gibt es sowas in der Form ohnehin nicht. Mein Lieblingsthema bleibt nach wie vor die Digitalisierung. Seit Jahren wird versucht, den deutschen Staat zu digitalisieren. Und immer wieder gibt es Tagungen, wie auch in der vergangenen Woche, wo Politiker oder Regierungsvertreter beschwören, dass es nun endlich vorangehen könnte.
Die Wahrheit ist: Wir sind viel zu langsam. Deshalb mein Vorschlag, lasst uns in Dänemark anrufen (als Beispiel jetzt mal Dänemark) und lasst uns die dänischen digitalen Systeme einfach, so wie sie sind, auf Deutsch übersetzen und in Deutschland implementieren. Dänemark ist EU-Mitglied, Dänemark ist eine funktionsfähige Demokratie, Dänemark ist auch ein Sozialstaat. Vor dem Hintergrund: Ich wüsste nicht, was dagegenspricht, sich auf die digitale Erfahrungskurve der Dänen zu setzen und damit in Deutschland einen Durchbruch zu erreichen. Private Anbieter wie Google oder Microsoft, die so was sicherlich auch gut könnten, bin ich mir nicht ganz sicher, ob das nicht doch die deutsche Öffentlichkeit überfordern würde, wenn man in diese Richtung denkt. Ich glaube, wenn man dann sagt, Dänemark langt uns nicht, würde ich eher nach Estland, Litauen gucken und mich dort orientieren. Ich glaube nicht, dass wir einen Konsens bekommen werden, das an amerikanische Firmen outzusourcen. Vor dem Hintergrund glaube ich, ein Staat wie Dänemark oder eben Estland oder Litauen sind da sicherlich bessere, geeignete Vorbilder.
Keine Insellösungen in Kommunen, keine regionalen Computerbuden, die das machen, sondern ein ganzheitlicher Ansatz für das ganze Land, idealerweise organisiert, so wie es in anderen Ländern bereits seit Jahren gut funktioniert.
Klimapolitik
Der dritte Punkt, an dem wir dringend arbeiten müssen, ist natürlich die Klima- und Energiepolitik. Wir wissen es seit Jahren, wir haben hier eine hochemotional aufgeladene Diskussion. Das sehe ich jedes Mal, wenn ich das Thema im Podcast diskutiere, an den Zuschriften. Wir sollten einfach einen Schritt zurücktreten und einfach anerkennen, dass Energie Wohlstand ist. Das Zurverfügungstellen von sicherer und günstiger Energie ist ein wesentlicher Wohlstandstreiber. Wir sehen ja, wie der starke Anstieg der Energiekosten die deutsche Wirtschaft zurzeit belastet.
Deshalb müssen wir eine Politik einführen, die daraufsetzt, deutlich mehr Energie zur Verfügung zu stellen und nicht weniger – übrigens auch mit Blick auf die energieintensiven Prozesse wie künstliche Intelligenz. Wir haben dazu große Hebel. Wir könnten die noch nicht abgerissenen Atomkraftwerke retten und wieder ertüchtigen. Wir sollten darüber nachdenken, neue zu bauen. Wir sollten über Fracking nachdenken, auch das unnötigerweise tabuisiert. Wir sollten ein Programm aufsetzen, Sofortprogramm „Billige Energie für alle“. Nachdem das ein paar Jahre dauert, bis es so weit ist, würde ich dann auch sagen, dass dann auch Möglichkeiten ergriffen werden sollten, wie Abschaffung von Stromsteuern, Industriestrompreis und anderes. Hier sollten wir auch Schulden machen, um wirklich eine Brücke zu bauen in die Welt zurück zu billiger Energie, die wir früher einmal hatten. Dann würde es sich lohnen, einfach wie jetzt diskutiert eine Industriestrompreissubvention vorzunehmen. Ohne Aussicht jemals durch Angebotsausweitung wirklich tiefere Marktpreise zu haben ist natürlich sinnlos.
Also ganz konkrete Strategie: Energieangebot ausweiten, Energiepreise marktmäßig runterzubekommen und um eine weitere Abwanderung der Industrie, einen weiteren Wohlstandsverlust, zu vernichten – das entsprechend durchaus auch schuldenfinanziert subventionieren.
Wir reden generell hier von Milliardenbeträgen. Ich meine, ich habe gesagt, wir könnten ungefähr 60 % am Bruttoinlandsprodukt nochmal Geld in die Hand nehmen, um das Land voranzubringen für ganze Maßnahmenprogramme und einige Maßnahmen-Aspekte kommen ja jetzt noch. Und da reden wir über 60 %, reden wir überschlägig von 2.500 Milliarden Euro. Das ist ein Riesenbetrag, den wir mobilisieren können für die Strategie zur Verhinderung der Wohlstandsvernichtung hierzulande und das ist ein Aspekt und da kann man durchaus auch ein paar 100 Milliarden in die Hand nehmen, um die Deindustrialisierung zu stoppen, die Energiewirtschaft voranzubringen, das Energieangebot auszuweiten und eine Brücke zu bauen in die bessere Welt der sicheren und günstigen Energieversorgung.
Natürlich kann man auch im Ausland Atomkraftwerke bauen lassen, die uns dann beliefern. Wobei man dazu sagen muss, alle Umfragen zeigen ja jetzt, dass die Zustimmung der Deutschen zu Atomkraftwerken bei über 50 % liegt, also früher war es eher skeptisch, jetzt ist eigentlich die Mehrheit dafür, dass wir Atomkraft nutzen.
Und mit Blick auf die ganz offensichtlichen Folgen des Ausstiegs aus Atomkraft, einer Verteuerung der Energie, die gesamtwirtschaftlichen Folgen, die zum Zeitpunkt des Entscheides überhaupt nicht diskutiert wurden, gar nicht transparent waren, würde ich persönlich nicht ausschließen, dass wir auch in Deutschland entsprechende Kraftwerke wieder bauen können. Immer wenn man im Ausland ist mit Investitionen, läuft man immer ein gewisses Risiko, dann sich abhängig zu machen vom Ausland. Und ich finde es immer ganz spannend, die Leute, die gerade immer die Energiewende sehr stark hier befördern, argumentieren ja immer mit einer strategischen Autonomie vom Ausland. Ich glaube, das sollte bei Energie sicherlich eine Rolle spielen und um diese sicherzustellen, sollten wir auch daraufsetzen, auch in Deutschland wieder Atomkraftwerke zu betreiben.
Ein weiterer Aspekt, den ich dringend angehen würde, ist ein Umbau des Steuern- und Abgabensystems. Auch hier glaube ich, dass eine Reduktion von Steuern und Abgaben für alle den Umbau erleichtert. Und auch hier könnten wir so einen Umbau durch eine höhere Staatsverschuldung durchaus begleiten. Denn denken wir immer dran, die Grundüberlegung ist: Die Verschuldung im Euro wird ohnehin entwertet werden. Deshalb glaube ich, wir sollten entlasten und wir sollten dabei vor allem daraufsetzen, die Arbeitsanreize zu erhöhen. Es sollte höchst attraktiv sein, in Deutschland zu arbeiten. Für die, die schon hier sind, aber auch für qualifizierte Migranten.
Und wenn man so ein System schon umbaut, dann würde ich sagen, wir sollten auch dem Staat helfen, dass er einfacher Steuern erheben kann, Bürokratie abbauen und auf diese Art und Weise Mitarbeiter abbauen kann. Ich erinnere mich deshalb an mein Gespräch mit Paul Kirchhof, der im Podcast sehr schön dargelegt hat, wie ein zukunftsgerichtetes Steuersystem aussehen sollte. Das war in Folge 250 mit dem Titel „Die Reform, die fast alle wollen“. Eine Folge, die sich immer wieder lohnt, anzuhören.
Ich erinnere daran, dass die Sozialabgaben gerade im unteren Einkommensbereich die viel größere Last darstellen. Wir müssten hier das Abgabensystem auf die Kernaufgaben reduzieren. Versicherungsfremde Leistungen wie Bürgergeld-Empfänger, Kinder, Familienangehörige etc. sollten aus Steuern bezahlt werden und nicht nur von jenen, die zufällig im staatlichen Sozialsystem sind.
Generell gilt für mich bei Steuern und Abgaben das Motto: Gebt uns die Freiheit zurück. Die Politik verteilt massiv um und vor allem innerhalb der Mittelschicht. Das ändert letztlich nichts, sondern es ist nur die Beförderung von bestimmten Verhalten: Kinderkriegen, Elektroautokaufen oder ähnliches. Das sollte aufhören. Die Politik sollte sich hier deutlich zurückziehen und sollte sich darauf fokussieren, wirklich zielgerichtet zu helfen, also im Klartext, sich vor allem auf die wirklich Bedürftigen zu konzentrieren und umgekehrt bei der großen Masse der Bürger eben nicht mehr umzuverteilen. Wenn man so etwas macht, wenn man so einen Umbau vornimmt, dann kann man auch das Thema aufgreifen, ob man die Vermögensbesteuerung verändert. Es gibt immer wieder Diskussionen, hatten wir im Podcast auch, dass die Vermögenssteuer eine geringe Rolle spielt in Deutschland, also Steuern auf Vermögen. Bei genauerer Betrachtung und das hatten wir, stimmt das nicht so ganz, einfach deshalb, weil zum einen im Ausland auch mehr Vermögen ist, wenn man mehr Vermögen hat, relativ zur Wirtschaftsleistung, kann man auch mehr Vermögenssteuern haben, zum anderen dort eben Dinge als Vermögenssteuer ausgewiesen werden, die bei uns eigentlich unter Steuern und Abgaben fallen – Stichwort beispielsweise Müllentsorgungsgebühr in Großbritannien.
Trotzdem kann man sagen, ja, ein Umbau des Steuersystems wäre sinnvoll, indem man Arbeit weniger besteuert und Vermögen höher besteuert. Entweder über Vermögenssteuern oder über eine Reform der Erbschaftsteuer, die eben dann auch weniger Ausnahmen hat, beziehungsweise gar keine Ausnahmen hat. Darüber kann man sprechen, und vor allem kann man darüber leichter sprechen, wenn man es verbindet mit einer gesamten Steuerreform, die eben das Steuersystem a) drastisch vereinfacht, und b) die Steuerlast eigentlich für alle senkt. Wenn sie für alle gesenkt wird und man dann hingeht und sagt, man kompensiert es teilweise eben über andere Steuern, wie zum Beispiel höhere Steuern auf Vermögen, dann ist das eine sinnvolle Politik. Ich erinnere daran noch mal, obwohl wir das vorhin schon besprochen haben: Die Vermögensentwicklung und die Ungleichheit der Vermögen hat aber eben auch ganz klare Ursachen im Geldsystem. Und hier wird ohnehin die Dekade der Vermögensvernichtung, die ja trotzdem kommen wird, dazu beitragen, dass die Vermögensungleichheit ohnehin abnimmt. Einfach deshalb, weil viele Vermögenswerte relativ zur Wirtschaftsleistung vermutlich entwertet werden.
Hinzu kommt, wir brauchen natürlich eine Strategie für mehr Vermögensbildung. Vermögensbildung, gerade mit Blick auf die Dekade der Vermögensvernichtung. Was bedeutet das?
Zum einen müssen wir mehr Vermögensbildung im eigentlichen Sinne des Wortes machen, also in Schulen und Medien muss mehr über Vermögen und Finanzen gesprochen werden. Ich bin immer wieder entsetzt über das geringe Bildungsniveau hierzulande, wenn es um diese Themen geht.
Zum anderen muss der Staat klarere Ansätze setzen für den Erwerb von Eigentum – Stichwort Wohnungsimmobilien. Hier, das wird auch gerade diskutiert, sollte man die Grunderwerbsteuer senken, bzw. für Erstkäufer abschaffen. Gleichzeitig sollte man bei Wohnungseigentum darüber nachdenken, statt, wie heute, die Teilung von Immobilien zu verhindern, zu verhindern, dass Häuser geteilt werden, die Wohnung verkauft werden, sollte man sagen: Das befördern wir und wir helfen den Mietern, die Wohnungen zu kaufen.
Das wären zum Beispiel ganz einfache Ansätze, mit denen man die Bildung von Vermögen in Deutschland fördern könnte. Das hat übrigens auch gesellschaftliche Implikationen, weil wir wissen, sobald Bürger über Vermögen verfügen, sind sie nicht nur glücklicher, sondern sie sind auch autonomer und unabhängiger vom Staat.
Hier liegt sicherlich auch der Grund, warum viele Politiker vom linken Spektrum immer so skeptisch sind, weil sie eigentlich lieber die Bürger in Abhängigkeit vom Staat halten wollen. Ich denke, wir brauchen Bürger, die viel mehr ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können und wollen. Und dazu sollte man sie befähigen und man sollte ihnen finanziell dazu auch die Möglichkeit geben.
Alterssicherung
Von Vermögensbildung ist es nur ein Schritt zum Thema Alterssicherung. Wir haben – auch das haben wir im Podcast schon oftmals diskutiert – das ganz große Problem, dass wir zum einen nicht vorgesorgt haben für die alternde Gesellschaft. Das Rentenniveau in Deutschland ist ohnehin nicht so richtig hoch. Trotzdem steigen die Lasten in den kommenden Jahren deutlich an für die, die noch arbeiten. Wir haben schon vor 30 oder 40 Jahren gewusst, dass das derzeitige System nicht nachhaltig ist. Getan wurde von der Politik nichts. Wir können aber, wenn wir nun so radikal denken, bezüglich der Reform Deutschlands, auch hier einen großen Wurf machen. Wir könnten nämlich die verlorenen 30 Jahre nachholen.
Wie würden wir das machen? Nun, mit dem sogenannten Alterssicherungsfonds. Stammhörer kennen meine Idee. Ich würde jedem Bürger unter 65 Jahren 25.000 € auf einem sogenannten Alterssicherungskonto einzahlen. Konkret wäre das so: Man würde Staatsanleihen ausgeben und auf diesen Konten deponieren. Die Bürger hätten keinen Zugriff auf dieses Geld, bevor sie 65 sind, bzw. mindestens zehn Jahre dabei waren. Einfach deshalb, weil wenn jemand mit 64 jetzt da einsteigen würde, müsste er trotzdem noch zehn Jahre mit dabei sein. Und wir würden dann diesen Alterssicherungsfonds gesamthaft anlegen, so wie Norweger das machen. Wir hätten ein professionelles Management, welche über Zeit anfangen würden, die Staatsanleihen am Markt zu verkaufen und würden im Gegenzug Aktien, Immobilien, Infrastruktur weltweit erwerben.
Vorteil Nummer eins: Wir profitieren an der wirtschaftlichen Entwicklung in der Welt. Wir wissen ja, trotz aller Reformen wird die Entwicklung in Deutschland und Europa aufgrund der demografischen Entwicklung allein schon nicht so rosig sein.
Zum zweiten würden wir wiederum Schulden machen. Diese Schulden würden sich entwerten im Zuge der absehbaren Inflation. Das heißt, wir hätten die Möglichkeit, hier für die Bürger real Vermögen zu schaffen und damit einen wesentlichen Beitrag zu leisten, dass, wenn sie in Rente gehen, sie über entsprechende zusätzliche Einnahmen verfügen.
Das wäre die Idee und ich glaube nach wie vor, diese Idee lohnt sich, zu verfolgen. Übrigens können wir in diesem Zusammenhang auch sagen, wenn wir nicht mehr Schulden machen wollen, dass wir auch hier die Target2-Forderungen mit verwenden könnten. Dieses Modell, was bereits im Podcast diskutiert wurde, eben über entsprechende Auszahlungen ins Ausland, auch hier einen Vermögenswert für uns alle zu aktivieren. Immerhin, die Target2-Forderungen waren ja auch mehr als 10.000 € pro Kopf aus.
Dieses System käme dann ergänzend zum gegebenen System der Umlagefinanzierung hinzu. Es wäre das, was die FDP in kleinen Schritten versuchen möchte. Mit der Aktienrente wäre es richtig durchgedacht und eben schneller umgesetzt und vor allem so umgesetzt, dass es auch für den Einzelnen einen spürbaren Unterschied macht, nämlich einen wesentlichen Betrag.
Natürlich könnte auch die Migration nach Deutschland einen Beitrag zur Alterssicherung leisten. Das wurde uns ja auch, als damals die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt hatte, 2015, von einigen führenden Ökonomen versprochen, nach dem Motto: Die Migranten, die Flüchtlinge, werden später mal die Renten der Boomer bezahlen. Nüchtern betrachtet wissen wir heute, dass die Migration, die wir bis jetzt hatten, dieses Ziel eben nicht erreichen wird. Selbst wenn die Migranten erwerbstätig sind, selbst wenn sie Beiträge leisten zu den Sozialkassen, lohnt es sich nicht, sagte Herr Raffelhüschen und hat entsprechend schon vorgerechnet. Das liegt daran, dass die Migration nach Deutschland überwiegend im Bereich der niedrig oder wenig qualifizierten Menschen erfolgt. Oder auch, man kann sagen, wie es schön heißt, bildungsfernen Schichten.
Wollen wir also mit Migration einen Beitrag leisten, nicht nur zur Finanzierung der Alterung, sondern vor allem auch zur Stärkung des Wirtschaftswachstums hierzulande, müssen wir die Migration künftig mehr an unseren wirtschaftlichen Interessen ausrichten. Dies bedeutet qualifizierte Zuwanderer. Ein qualifizierter Zuwanderer verdient im Schnitt so viel wie die bereits hier lebende Bevölkerung, hat ein ähnlich hohes Einkommen, aber auch eine ähnlich hohe Erwerbsbeteiligung. Und genau das müssten wir erzielen. Und hier kommen wir wieder zurück zum Thema Steuern- und Abgabensystem. Wir brauchen ein Steuern- und Abgabensystem, welches so attraktiv ist, dass die qualifizierten Menschen in der Welt sich überlegen, oh, ich gehe nach Deutschland. Da kann ich zwar die Sprache nicht, aber ich kann durch meine eigene Arbeit mir ein Vermögen aufbauen, ich kann unabhängig sein, ich kann dort erfolgreich sein.
Um das sicherzustellen, müssen wir das Steuern- und Abgabensystem reformieren. Wir müssen die Migranten, die hier sind, besser integrieren, müssen sie auch mehr fordern, dass sie sich in Arbeitsmarkt integrieren und wir müssen die zukünftige Migration steuern. Jetzt wird man sagen, es gibt ja trotzdem den Bedarf an humanitärer Migration. Das sehe ich auch so, wir sollten sicherlich einen Beitrag leisten, doch statt im heutigen System, würde ich dafür plädieren, dass wir außerhalb von Europa, in Afrika beispielsweise, mehrere Migrationszentren machen, wo wir zwei, drei Dinge anbieten. Zum einen eine Berufsausbildung, zum zweiten Sprachkurse, und zum dritten Gesellschaftskurse, wo man lernt, wie es eigentlich bei uns gesellschaftlich zugeht – Stichwort Man gibt Frauen die Hand. Wer diese Kurse erfolgreich absolviert hat, also eine Berufsausbildung hat, Sprache gelernt hat und auch verstanden hat, wie unsere Gesellschaft funktioniert, der sollte dann auf legale Art und Weise nach Deutschland einwandern können. Das sind alles Vorschläge, die ich finde, man umsetzen könnte. Ich glaube auch, wir müssen sie umsetzen, denn die Art und Weise, wie zurzeit die Migration erfolgt, trägt nicht dazu bei, unsere finanziellen Probleme zu lösen, sondern erhöht die finanziellen Lasten und diese können wir uns, wie dargelegt, auf Dauer nicht leisten.
Sollten wir aus dem Euro austreten?
Nein, sollten wir nicht. Ich glaube nicht, dass wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einen europäischen Bundesstaat sehen werden. Der Appetit dafür ist in anderen Staaten, Stichwort Frankreich und Italien, sicherlich nicht gegeben. Das heißt, wir müssen uns damit abfinden, dass die EU bleibt, wie sie ist, bzw. dass eigentlich perspektivisch wieder viel mehr Autonomie an die Mitgliedstaaten gegeben wird.
Was bedeutet das für die Transferunion? Was bedeutet das für die Schulden?
Ich würde hier einen ganz anderen Vorschlag unterbreiten. Nachdem wir das Programm gefahren haben, was ich gerade dargelegt habe, haben wir so viel Schulden wie ungefähr die anderen auch. Und deshalb würde ich sagen: Lasst uns doch auf EU-Ebene die Altschulden gemeinsam in einen Topf werfen, also unsere Schulden, die Schulden der Franzosen, die Schulden der Italiener, der Spanier usw. Und für diese Schulden haften wir gemeinsam. diese Schulden werden wir gemeinsam abtragen, was natürlich nie der Fall ist, sondern wir werden sie über die Jahre durch die Inflation entwerten. Wir wissen ja, Staaten zahlen Schulden nicht zurück, Staaten schulden immer nur um.
Im Gegenzug hätten dann alle Staaten deutlich geringere Verschuldungsniveaus. Und dann würde ich sagen, lasst es uns machen wie in den USA, lasst es uns machen wie in der Schweiz. Es gibt keine Bailouts zwischen den Staaten. Man müsste es fest verankern in den Verträgen, dass sowas verboten ist und dass so was auch nicht morgens um drei in einer Nachtsitzung in Brüssel einfach beschlossen werden kann.
Damit hätten wir einen wirklichen Hamilton-Moment. Wir hätten auf europäischer Ebene die Schulden sozialisiert, in einen Topf geworfen und wir hätten gleichzeitig die Mitgliedsstaaten in der Autonomie belassen, dass sie selbst machen können mit ihrem Geld, was sie wollen, aber die Anleihengläubiger, die Kreditgeber wüssten von Anfang an, wenn Italien wieder in Probleme gerät, dann springt niemand ein. Das müsste dann auch bereits entsprechend in den Prospekten dieser Staatsanleihen vermerkt sein.
Fazit
Soweit mein sicherlich nicht vollständiges Programm zur Sanierung Deutschlands, in Verbindung mit Strategie in der Dekade der Vermögensvernichtung. Doch wie realistisch ist das? Kann das funktionieren?
Kritiker werden sofort sagen: Sobald Deutschland mehr Staatsschulden macht, ist der Euro Geschichte. Denn der Euro hängt letztlich nur noch an der finanziellen Solidität von Deutschland. Ich finde, das kann kein Argument sein.
Denn was würde es bedeuten? Es würde bedeuten, dass der Euro daran hängt, dass wir der Vermögensvernichtung tatenlos zusehen. Und irgendwann, wenn unsere Vermögen dann weg sind, wenn unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weg ist, dann würde der Euro spätestens zerfallen. Das heißt, wir würden nur Zeit kaufen und das ist doch sicherlich keine Strategie. Ich glaube, dass unsere Strategie dazu führt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands nachhaltig zu stärken. Das stärkt die EU, das stärkt den Euro und wenn wir es dann auch schaffen, eine Lösung für die Altschulden in Form dieses Altschuldentilgungsfonds auf EU-Ebene zu schaffen, dann ist es im Gegenteil nicht etwas Schädliches für die EU und den Euro, sondern etwas Positives. Das Vertreten deutscher Interessen ist nicht gegen die EU, es ist die Voraussetzung für eine funktionsfähige EU.
Wenn wir an diesen großen Hebeln drehen, wenn wir bereit sind, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen und die grundlegenden Themen des Landes anzugehen, nur dann können wir den Vermögensschaden vielleicht nicht ganz verhindern, aber doch mindern. Tun wir das nicht, so droht, wie ich befürchte, nicht nur ein erheblicher Vermögensschaden, sondern eine weiter zunehmende Polarisierung und Radikalisierung im politischen Spektrum dieses Landes.
Ist es realistisch, dass das, was ich hier ausgeführt habe, wirklich stattfindet? Ich fürchte, nein. Und selbst, wenn es diesen Politiker oder diese Politikerin gäbe, so würde er oder sie vermutlich scheitern. Das liegt daran, dass es bei uns in der Gesellschaft nach wie vor kein Verständnis gibt für die Größe der Herausforderung. Das sieht man auch an der öffentlichen Diskussion. Wir diskutieren immer noch Wolkenkuckucksheim-Projekte, statt die grundlegenden Herausforderungen des Landes anzugehen. Wir müssen erst einmal eingestehen, dass unser Wohlstand drastisch gefährdet ist. Wir müssen uns eingestehen, dass, um es flapsig auszudrücken, die Hütte brennt.
Noch immer glauben zu viele Menschen, wir bräuchten nur mehr Staat und mehr Umverteilung und dann wären alle unsere Probleme gelöst. Doch genau das ist nicht der Fall. Wenn nun aber nicht gehandelt wird, wenn wir also weitermachen wie bisher in dem Umfeld von weltweit hoher Verschuldung, dysfunktionaler Eurozone und Deglobalisierung, dann muss jeder Einzelne von uns die Schlussfolgerung für sich selbst daraus ziehen. Nach dem Motto: Rette sich, wer kann.
beyond the obvious ist kein Geldanlage-Podcast. Ich bin dazu wirklich nicht qualifiziert, aber ich denke, wer nüchtern auf Deutschland blickt, und auf die Lage blickt, der muss zwei Dinge tun. Er muss aus Deutschland und der EU herausdiversifizieren. Und zum Zweiten muss er sich darauf einstellen, dass die Inflation zurückkehrt. Ich denke, mit diesen beiden Informationen kann man schon sehr gut über die eigene finanzielle Strategie nachdenken.
Bleibt mir, Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, sollten Sie bis zu diesem Punkt zugehört haben, zu danken. Ich bin gespannt auf Ihr Feedback, Ihre Fragen, Ihre Kritik und Ihre Anregungen. Und ich freue mich auf den kommenden Sonntag, wo die Podcasts wieder normal sein werden. Ich habe das Interview mit meinem Gast schon geführt. Das heißt, in der kommenden Woche haben Sie sprachlich und inhaltlich wieder deutlich mehr Abwechslung. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute.
Ihr Daniel Stelter