Alle wissen es: Negativzinsen zerstören, statt zu heilen

Zum Abschied von Mario Draghi beschäftigen wir uns heute mit einem wichtigen Erbe von ihm: den Negativzinsen.

In Deutschland kreist die Diskussion beim Thema „Negativzinsen“ immer um den Aspekt der Enteignung der Sparer durch diese „Strafzinsen“ oder aber die Notwendigkeit der Banken gegen die EZB deshalb zu klagen. Die Befürworter halten entgegen, dass nur so die Eurozone gerettet werden kann und auch die Sparer indirekt profitieren, weil sie über Arbeit und Einkommen verfügen. Andere wiederum, wie der geschätzte Professor Fratzscher begrüßen die Umverteilung von der Mittelschicht nach unten, verwendet doch der Staat die gesparten Zinsen für höhere Sozialleistungen.

Alles fein. Es geht aber um mehr. Die Negativzinsen wirken nicht wie erhofft, wie Studien zeigen, die ich schon an dieser Stelle besprochen habe. Sie schaden auch noch, wie die FINANCIAL TIMES (FT) beschreibt:

  • “(…) negative rates can distort markets. As the Bank for International Settlements, the central banks’ bank, pointed out (…), the use of unconventional monetary policy runs the risk ‘of eroding incentives for the private sector to maintain adequate buffers against financial stress.” – bto: Die Marktteilnehmer gehen zu hohe Risiken ein. Ist doch gewollt, oder?
  • “But there is also another factor in play: psychology. When rates turn negative, it (…)  makes people feel so anxious that it undermines the benefit of cheaper loans. ‘People worry even more’ (…).” – bto: Nun, was sollen sie denn auch machen? Es ist doch wohl ein Zeichen, dass die Notenbanken im Krisenmodus sind, obwohl keine Krise zu sehen ist. Die müssen ja etwas wissen, was ich nicht weiß, also bin ich mal lieber vorsichtig.
  • “(…) the field of behavioural economics, which had existed for decades, became far more influential, bringing psychological insights into economic models. As the world has slid into uncharted territory with monetary-policy experiments, some central bankers are pondering how culture and consumer perception are affected. And a few central bank economists, such as Claudio Borio at the BIS, have questioned whether negative rates send a confusing signal to investors.” – bto: Ich würde nicht “confusing” sagen, sondern eindeutig ein Warnsignal. Es ist eben außergewöhnlich radikal. Also entsprechend ein Symptom dafür, dass etwas nicht richtig funktioniert. Konsequenterweise sind auch in Japan die Inflationserwartungen gefallen, nicht gestiegen, als die Notenbank die Negativzinsen durchsetzte. Im Euroraum dürfte es letztlich genauso sein.
  • “(…) the stories that central banks tell us have a strong influence on the economy. Consider Japan. When deflation emerged there in the 1990s, most economists blamed it on economic contraction and the financial crisis. That was, of course, partly true but I was living in the country at the time and noticed that many business leaders (as well as ordinary people) assumed that the authorities were concealing the level of bad loans in the system.” – bto: Und damit hatten sie letztlich auch recht. Genauso wie bei uns die Insolvenz des europäischen Bankensystems konsequent verschwiegen wird. Insofern ist meine Aussage auch eine Behauptung, keine Gewissheit. Wer aber auf die Qualität der hiesigen Stresstests blickt, bekommt Zweifel. Ich erinnere an die Studie des ZEW, die deutlich höhere Kapitalbedarfe errechnet hat als die offiziellen Stellen.
  • “This created such a corrosive attitude of mistrust that investors assumed prices had further to fall, exacerbating the deflationary conditions. Subsequently, the Bank of Japan unleashed monetary policy experiments to combat deflation, including, eventually, negative rates. However, this seemed to have little effect on consumer or corporate psychology; on the contrary, when I interviewed investors there, they seemed to be even more spooked than before, since they feared the radical experimentation suggested the BoJ knew something nasty that they did not.” – bto: Und im Falle der EZB dürfte mehr vermutet werden als nur die Hilfe für Italien, die zu offensichtlich wäre.
  • “Economic theory would suggest that negative rates ought to spur more companies and consumers to spend – after all, why would anyone save when banks are charging for holding cash? But you only need to read the German popular press right now to see how unpopular this experiment is. In fact, the risk is that negative rates simply fuel fears among investors that something is deeply – and permanently – wrong in this Alice-in-Wonderland world.” – bto: ein Aspekt, den auch die Befürworter der EZB-Politik nicht verdrängen dürfen. Es ist nun mal so, dass man nicht einfach nur nachweisen muss, dass die Realzinsen schon oft negativ waren, dass andere Teile der deutschen Wirtschaft profitieren etc. Es ist ein ernst zu nehmendes Gefühl der Unzufriedenheit. Also ernst zu nehmen!
  • “The obvious one is for politicians to stop delegating the heavy lifting to the central banks – and to start using other forms of economic stimulus (such as infrastructure spending) and intelligent structural reform to create growth. No doubt Christine Lagarde, the incoming head of the ECB, will hammer this point home when she arrives. But don’t hold your breath that this will happen any time soon given the state of western democracies.” – bto: Ich wäre da “optimistischer”. Ich denke, es wird früher kommen, als wir alle denken. Es genügt schon die nächste Krise und wir bekommen ein maximales Feuer an direkter Staatsfinanzierung. Alles, um das Klima zu retten, wird man dann schreiben und argumentieren. Es geht dabei nur um die Verhinderung des Kollapses von Euro und Schuldenwirtschaft.
  • “Perhaps central bankers should consider other options. One would be to avoid talking about negative rates and instead use techniques that provide support but which are so complex that mere mortals struggle to understand them (…).” – bto: was die Politiker am besten finden dürften. Ich denke da an eine EU-Klimaanleihe zu Nullzins mit 500 Jahren Laufzeit, gekauft von der EZB (wenn nötig über den Umweg über das Bankensystem, um den Anschein zu erhalten, es sei keine direkte Staatsfinanzierung). Man könnte auch positiven Zins vereinbaren, damit die Staaten auch noch eine höhere Gewinnausschüttung erhalten. Die Bevölkerung versteht es nicht und freut sich, dass endlich mehr für den Klimaschutz getan wird. Alles super.

→ ft.com (Anmeldung erforderlich): “The downside of negative interest rates”, 9. Oktober 2019