„Negativzins, Bargeldverbot und die Hoffnung auf ein Wunder“
Braucht es den großen Knall, bis die Politiker endlich tun, was getan werden muss? Es sieht ganz danach aus.
Wenn das Medikament, welches Ihnen Ihr Arzt verschreibt, nicht anschlägt, kann es sein, dass er es mit einer höheren Dosis probiert. Geht es Ihnen dann noch nicht besser, werden Sie keiner weiteren Erhöhung der Dosis zustimmen, sondern eine andere Therapie probieren. Und wenn das nichts bringt, den Arzt wechseln.
Eine Selbstverständlichkeit, werden Sie denken. Nur leider gilt diese Selbstverständlichkeit nicht in der Ökonomie. Seit sechs Jahren kämpfen nun die Notenbanken der westlichen Welt gegen die Folgen der Finanzkrise, die eigentlich eine Überschuldungskrise war und ist. Immer tiefer wurden die Zinsen getrieben, immer länger die Bilanzen der Notenbanken. Das Ergebnis? Kann sich sehen lassen, wenn man es als Erfolg feiert, dass wir keine große Depression wie in den 1930er-Jahren erlebt haben. Stattdessen haben wir eine Depression in Zeitlupe.
In Deutschland haben wir das dank der enormen Exporterfolge, getragen von Globalisierung und schwächerem Euro, nicht so mitbekommen. Das Drama der Flüchtlingskrise mit eklatantem Politikversagen und medialer Dauerbeschallung tut ein Weiteres, dass wir den Sturm, der sich in der Weltwirtschaft zusammenbraut, nicht wahrnehmen. Dabei haben wir die Probleme, die in die Krise geführt haben, nicht verkleinert, sondern eher vergrößert. Statt eine Bereinigung der faulen Schulden und der Überkapazitäten zuzulassen, wurde die Krise, die durch zu billiges Geld und zu viele Schulden ausgelöst wurde, durch noch billigeres Geld und noch mehr Schulden bekämpft. Schulden und Ungleichgewichte sind größer als je zuvor.
Doch unsere Ärzte ticken anders. Statt die Therapie zu ändern, erhöhen sie die Dosis immer mehr. Genügt der Kauf von Staatsanleihen nicht? Dann kaufen wir auch Unternehmensanleihen. Reicht das nicht aus, dann kaufen wir Aktien. Nullzins ist nicht tief genug? Na, dann machen wir die Zinsen negativ. Das genügt nicht? Na, dann machen wir sie noch negativer. Was, die Sparer wollen da nicht so einfach mitmachen? Kein Problem, dann machen wir Bargeldnutzung so unattraktiv wie möglich. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.
So ist die Bank of Japan letzte Woche ebenfalls in den Klub der Notenbanken mit Negativzins eingestiegen. Damit sollen die Banken einen größeren Anreiz bekommen, Kredite zu vergeben. Dabei ist das Problem in Japan doch ein ganz anderes: Der Unternehmenssektor ist der größte Nettosparer. Die private Sparquote sinkt immer mehr, und der Staat macht dafür riesige Defizite. Noch tiefere Zinsen werden auf das Investitionsverhalten der japanischen Unternehmen dieselbe Wirkung haben, wie das Gelddrucken der letzten Monate: gar keine. Die einzige kurzfristige, sogleich verpuffende Wirkung war eine Schwächung des Yen, womit es im globalen Währungskrieg in die nächste Runde geht.
Wir sehen, dass zwar die Medizin nicht wirkt, wie sie soll, die Nebenwirkungen an den Finanzmärkten hingegen immer offensichtlicher werden. Doch noch hoffen Politiker und Notenbanken auf ein Wunder. Irgendwie muss es doch wieder aufwärtsgehen.
Immer mehr Entscheidungsträgern dämmert es langsam, dass es so nicht weitergehen kann und die bisher unterdrückte, aber nicht bewältigte Depression doch wieder ausbricht. So bereiten sie die Öffentlichkeit auf den nächsten Schritt vor: die direkte Finanzierung von Staaten durch die Notenbanken. Idealerweise sollen die Notenbanken dabei das Geld dem Staat nicht leihen, sondern gleich schenken. Was für Notenbanken, die ja per Definition nie illiquide werden können, kein Problem darstellt. Angesichts der schlechten Erfahrungen mit solchen Strategien von Weimar bis Zimbabwe wird es allerdings nicht so leicht sein, das umzusetzen. Eine Studie des IWF genügt nicht, die Hütte muss schon richtig brennen, bevor dies durchsetzbar wird.
Dies sieht auch die Bank of America in einem Kommentar so. Darin wird ein weltweit koordiniertes Handeln der G20 gefordert, um der Krise Herr zu werden. Bestandteile: eine einmalige, deutliche Abwertung der chinesischen Währung, um Spekulation und Unsicherheit aus dem Markt zu nehmen, Unterstützung der Notenbanken der Schwellenländer durch die Fed, um die Folgen des Kapitalabflusses zu dämpfen, ein Ende der Politik des starken US-Dollars, um Rohstoffpreise zu stabilisieren und den deflationären Druck in den USA zu mindern und letztlich groß angelegte Konjunkturprogramme in Europa, um die hiesige Nachfrageschwäche zu überwinden.
Problem aus Sicht der Bank of America: Die Finanzmärkte müssen erst in Panik verfallen, bevor die Politik sich zu diesem Handeln durchringt. Abgesehen davon, würden aus meiner Sicht solche Maßnahmen nur dazu dienen, das Spiel auf Zeit und das Hoffen auf ein Wunder in eine weitere Runde zu bringen.
Für uns als Geldanleger dürfte damit klar sein: Rettung von Notenbanken und Staaten naht, aber es könnte länger dauern, als es uns recht ist. Damit erhöhe ich taktisch die Liquidität, sichere meine Aktienpositionen ab und spekuliere etwas mit Währungen. Gold und Goldaktien habe ich bereits aufgestockt.
Anschnallen bitte zur Fahrt mit der Achterbahn, Ausgabe 2016.
→ WiWo.de: „Negativzins, Bargeldverbot und die Hoffnung auf ein Wunder“, 4. Februar 2016