Die Insider steigen aus
Dieser Beitrag erschien als letzter Kommentar von mir in der WirtschaftsWoche vor der Sommerpause. Vielleicht lag es daran, dass er nicht so großen Zuspruch gefunden hat, wie meine sonstigen Beiträge dort. Ich bleibe aber bei meiner Sicht: Es gibt keine Wundermittel zum Vermögenserhalt im heutigen Umfeld:
Erst seit ein paar Tagen merken wir auch am Wetter, dass Sommer ist. An den Finanzmärkten hingegen scheint die Sonne offensichtlich ewig. Wirklich?
Putsch (egal ob echt oder inszeniert) in der Türkei, Krieg in der Ukraine, Bürgerkrieg in Syrien, Terror nicht nur in Frankreich, Spannungen im “südchinesischen” Meer, demografische Bombe im Nahen Osten und Afrika, Überalterung in Europa, Krise der Rohstoffexporteure, zunehmender Protektionismus, schwaches Wachstum von Weltwirtschaft und -handel, Überschuldung weiter Teile der Welt, sinkende Produktivität trotz technologischer Revolution, Brexit und dysfunktionale EU, Not leidende italienische Banken, gescheiterter Euro, überforderte Politiker und Zulauf für Populisten und Extremisten … Die Liste der Probleme ist nicht mal vollständig.
Natürlich stimmt es auch, dass es der Menschheit trotz dieser Aufreihung noch nie so ging wie heute. Viel weniger Menschen sterben durch Terror und Krieg, viel weniger verhungern, viel mehr konnten sich aus Armut befreien, und die weltweite Ungleichheit ist so gering, wie seit der industriellen Revolution nicht mehr (innerhalb der Länder hat sie allerdings wieder zugenommen). Doch ist das Grund genug, um die Aktienmärkte auf luftige Höhen zu treiben, und die Anleihenmärkte gleich mit?
Wenn dann doch eines der oben genannten Themen wieder für kurze Zeit in den Vordergrund tritt, endet es jedes Mal sogar mit einer Verstärkung dieser Anomalie: Während die Aktienmärkte für ein paar Tage fallen, nur um wenig später ungerührt wieder nach oben zu streben, steigen ebenfalls die Kurse von Währungen und Anleihen, die als “sicher” gelten. Mit Blick auf die Schweiz, wo für 50-jährige Staatsanleihen mittlerweile auch eine Aufbewahrungsgebühr in Form negativer Zinsen anfällt, mag dies noch verständlich sein. Doch im Falle von Japan, einem Land, welches überschuldet in eine sich beschleunigende Schrumpf-Vergreisung übergeht, von einem “sicheren” Investment zu sprechen, ist blanker Hohn. Das Einzige was sicher ist, ist die völlige Monetarisierung der Staatsschulden nach vorherigem Einsatz der geldpolitischen Helikopter zum Flächenbombardement.
Wer dem deutschen Staat mit
- ungedeckten Verbindlichkeiten für Renten- und Gesundheitsleistungen in der Größenordnung von rund 400 Prozent des BIP,
- gigantischen latenten Lasten zur “Euro-Rettung”,
- einer verfehlten Einwanderungspolitik, die die Kosten weiter erhöht, statt die Lasten einer ebenfalls schrumpfenden und überalternden Gesellschaft zu tragen,
- einer politischen Führung, die mehr darauf aus ist, vorhandenen Wohlstand zu verteilen, statt neuen zu schaffen,
Geld dafür bezahlt, dass er ihm dieses für 10 Jahre leiht, dem ist nicht mehr zu helfen!
Natürlich ist das Geld dort sicherer aufbewahrt als auf dem Bankkonto, nicht nur in Italien, sondern in der ganzen Eurozone. Natürlich kann man auf eine breite Deflation und damit positive Realzinsen setzen, nur muss jedem klar sein, dass in diesem Fall mit einer werthaltigen Rückzahlung nicht zu rechnen ist. Auch in der Eurozone muss es zu einem Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern kommen – entweder organisiert, chaotisch oder über Inflation. Die Helikopter laufen sich auch hier warm. Egal wie, der Gläubiger verliert in dem Spiel immer. Und der Gläubiger sind wir.
Verglichen damit sind US-Staatsanleihen durchaus attraktiv. Zwar ist der Zins für 10-Jährige in den letzten Wochen auch unter zwei Prozent gesunken. Ein Blick auf Gesamtverschuldung (tiefer), Wachstum (höher), Demografie (günstiger), Innovationskraft (besser) und Attraktivität für qualifizierte Zuwanderer (deutlich höher) genügt, um in den USA trotz aller Probleme den besseren Schuldner zu sehen. Der berühmte Einäugige unter den Blinden.
Problematisch an dieser Sicht ist jedoch, dass sie mittlerweile “Common Sense” ist, also jeder Marktteilnehmer so denkt. Ging man vor sechs Monaten noch von einem Zinserhöhungskurs der Fed aus – „Stelter strategisch“ übrigens nicht – so glaubt heute kaum jemand an steigende Zinsen, und jeder rechnet einem vor, wie relativ gut US-Anleihen doch sind. Dabei spricht dieser Optimismus und die Elliott-Wave-Theorie, so man dieser glaubt, eher für eine deutliche Korrektur der Anleihenkurse in den USA, also für steigende Zinsen. Aus meiner Sicht ist zumindest angesichts des verbreiteten Optimismus taktische Vorsicht angezeigt.
Doch was machen wir mit einer Welt, in der sich die Finanzmärkte offensichtlich in einem eigenen, notenbankfinanzierten Paralleluniversum befinden, wo die reale Welt, wenn überhaupt, nur als Begründung für weitere Liquiditätsspritzen dient? Realwirtschaftliche Implikationen hat das Geldangebot der Notenbanken bekanntlich nicht. Ein Kommentator auf meinem Blog fasste es so zusammen: “Hier teilt sich – beinahe messerscharf – die Nachfrage auf: Die Einen, die mit Krediten die Assetpreise nur so in die Höhe treiben und die Anderen, die keine Kredite (mehr) bekommen oder wollen, weil sie mit den Schulden genug zu tun haben. „Gute“ Investitionen mit Wachstumspotenzial bleiben dann natürlich aus.”
Fragt sich: Können die Finanzmärkte ewig im Paralleluniversum bleiben? Natürlich nicht! Es ist auch hier nur eine Frage wann und nicht ob es zu einer Anpassung von Realität und Finanzmärkten kommt. Wenig spricht dafür, dass die Realität sich den Märkten annähert.
Die allseitige Beschwörung der Alternativlosigkeit, diesmal nicht der Merkel-Politik, sondern der Aktie als Geldanlage, muss deshalb zu denken geben. Wenn wir vor dem Punkt stehen, an dem die Notenbankpolitik für alle offensichtlich scheitert und die direkte Staatsfinanzierung als nächster Schritt droht, könnte es sehr wohl sein, dass die Finanzmärkte im Gleichschritt nach unten gehen: die Aktien, weil die Bewertungen nicht mehr zu halten sind, die Anleihenmärkte, weil klar wird, dass der Lender of Last Resort doch nicht alles zu jedem Preis aufkaufen wird. Dieses Risiko scheinen führende Spekulanten zu erkennen. George Soros und Stanley Druckenmiller sind die prominentesten Skeptiker, die auf fallende Kurse setzen und gleichzeitig ihr Engagement in Gold und Goldminen ausbauen.
Diese Insider brauchen Käufer, wenn sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen. Die Banken brauchen Umsätze, um wenigstens etwas Geld zu verdienen. Propaganda für die Aktien und die als sicher angesehenen Anleihen hilft dabei sicher. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Mit welcher Allokation gehen wir also in den Sommer? Strategisch halte ich an der hier immer wieder beschworenen Diversifikationsstrategie fest, sowohl mit Blick auf die Assets – Aktien, Immobilien, Cash, Gold – wie auch die regionale Streuung. Taktisch glaube ich noch nicht an die rasche, erfolgreiche Inflationierung. Bevor es so weit ist, dürften wir noch mindestens eine Talfahrt erleben, ausgelöst durch einen der genannten Krisenfaktoren oder einem weiteren, an den wir gar nicht denken. Die Aktien behalte ich und sichere mich für die kommenden Monate ab, den Cashbestand halte ich weiterhin nur bei den sichersten Adressen. Ansonsten bleibe ich wachsam, um im Falle einer deutlichen Korrektur zu handeln, und meinen Anteil an Assets, die keinem Kontrahentenrisiko unterliegen und einen Schutz vor Inflation bieten, aufzustocken. Langfristig bin ich bei Soros und Druckenmiller, weshalb ich an Gold und Goldminen festhalte.
So aufgestellt können wir uns getrost in die Sommerpause verabschieden und die wichtigeren Dinge als das Geld genießen. Wir sehen weiter, wenn diese Kolumne Ende August wieder ihr Erscheinen aufnimmt. Bis dahin wünsche ich Ihnen allen schöne Sommertage!
→ WiWo.de: “Die Finanzmärkte sind im Paralleluniversum”, 21. Juli 2016