„10 Jahre Merkel: Wohlstandsvernichtung, wohin man blickt“
Dieser Kommentar von mir erschien letzten Freitag bei Cicero Online:
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist angeschlagen. Die bayerische Schwesterpartei CSU meutert, die Umfragewerte sinken und die ersten Partei-„freunde“ gehen auf Distanz. Plötzlich sind alle schon immer der Meinung gewesen, die Kanzlerin würde die Probleme der Immigration kleinreden und die Leistungsfähigkeit Deutschlands überschätzen. Offensichtlich brauchte es für diese Erkenntnis erst die Ereignisse von Köln. Denn für einen kritischen Beobachter mit ökonomischer Brille ist das „Wir schaffen das“, mit dem die Bundeskanzlerin die Flüchtlingskrise bewältigen will, nur eine recht konsequente Fortsetzung ihrer generellen Wirtschaftspolitik: Die Aufrechterhaltung einer Wohlstandsillusion, in der Konsum vor Investition steht.
Fangen wir mit der Energiewende an. Ich will jetzt gar nicht in die Diskussion einsteigen, wie sinnvoll es ist, bei uns fernab von jedem Erdbeben- und Tsunami-Gebiet Atomkraftwerke abzuschalten, wenn in Japan ein Unglück passiert. Ich will auch nicht groß hinterfragen, ob wir wirklich umso sicherer sind, wenn andere Länder um uns herum dafür mehr auf Atomkraft setzen. Problematisch sind aber Umsetzung und Folgekosten. Der Kurswechsel über Nacht hat volkswirtschaftliches Vermögen in Milliardenhöhe vernichtet.
Nun mag dies nur für die Aktionäre der Energiefirmen unmittelbar relevant erscheinen. In Wirklichkeit schwächt diese Vermögensvernichtung eine ganze Branche und erschwert mehr, als es den Übergang zu wirklich neuen Technologien erleichtert. Die gleichzeitige Förderung der alternativen Energien war nichts anderes als ein gigantisches Subventionsprogramm, von dem vor allem die chinesischen Solaranbieter profitiert haben. Für den Standort Deutschland bedeutet sie dauerhaft deutlich höhere Energiekosten. Die Belastung für Unternehmen und Verbraucher wird von einigen auf eine Billion Euro geschätzt. Auch wenn diese Zahl umstritten ist, bleibt festzuhalten: Dieses Geld ist Konsum und fehlt an anderer Stelle. Wie weit Industrien für erneuerbare Energien davon wirklich profitieren, vor allem am Standort Deutschland, bleibt abzuwarten.
Ungelöste Eurokrise
Zweites Beispiel: die Verschleppung der Eurokrise. Es ist bekannt, dass die Schulden von Staaten und Privaten in der Eurozone zu einem guten Teil nicht mehr tragfähig sind. Statt dieses Problem anzugehen und über Schuldenschnitte und eine echte Reform der Eurozone zu beraten, hat die Bundesregierung immer auf Zeit gespielt. Dabei läuft die Zeit gegen den Gläubiger Deutschland: Die Reformbereitschaft der anderen Länder sinkt, je länger die Krise andauert, und der Berg an faulen Schulden wird immer größer. Bis jetzt haben deutsche Sparer rund 200 Milliarden Zinsverluste erlitten, weil die EZB mit immer billigerem Geld das Versagen der Politik kompensieren muss. Vorsichtig geschätzt dürfte uns die „Rettung“ des Euro mindestens eine weitere Billion Euro kosten.
Nicht zuletzt wegen der völlig verfehlten deutschen Europolitik ist in den letzten Jahren in Europa viel politischer Goodwill verloren gegangen. Seit die Flüchtlingskrise die Gewichte verschoben hat, können nicht wir den anderen sagen, wie es geht, sondern wir brauchen die Kooperation der anderen an den Außengrenzen Europas. Griechenland wird den Schuldenschnitt bekommen im Gegenzug für Auffanglager auf den Inseln. Europa wird die Schuldenunion bekommen, die teuerste für uns denkbare Variante. Gemeinsam werden wir die Politik des Sparens endgültig beerdigen für ein weiteres Leben auf Pump. Kombiniert mit der Bankenunion wird das für uns ein teurer Spaß.
Unterschätzter Strukturwandel
Der VW-Skandal sollte es dem letzten Skeptiker vor Augen geführt haben: Die deutsche Wirtschaft ist dominiert von der Automobilindustrie, und die steht vor erheblichen Herausforderungen. Technologischer Fortschritt, neue Wettbewerber und verändertes Konsumentenverhalten sind eigentlich die üblichen Treiber stetigen Wandels. Doch seit ein weltweit führendes Unternehmen wie VW zur Manipulation gegriffen hat, können wir nicht mehr sicher sein, dass die technologische Herausforderung auch zu bewältigen ist. Selbstfahrende Autos und der Verlust der Rolle als Statussymbol bei künftigen Generationen können die Industrie mehr als erschüttern. Zeit, neue Branchen zu entwickeln. Doch damit tun wir uns schwer. Stammen doch fast alle Industrien, auf die wir uns stützen, noch aus dem Kaiserreich: Maschinen und Anlagenbau, Chemie, die bereits zitierten Automobile. Neue Industrien stehen woanders.
Was wir bräuchten, wäre eine Investitionsoffensive von privater und öffentlicher Seite. Stattdessen fallen die Ausgaben für Investitionen seit Jahren kontinuierlich. Unternehmen investieren lieber in den Märkten der Zukunft außerhalb Deutschlands, der Staat konzentriert sich auf Konsum statt Investition. Der Verfall des Bildungswesens tut ein Weiteres.
Fehlende Generationengerechtigkeit
Weitere Billionen wird die Versorgung einer immer älteren Gesellschaft verschlingen. Nirgendwo wurde für diese Kosten vorgesorgt. Studien rechnen vor, dass es enormer Kraftanstrengungen bedarf, um die Staatsfinanzen unter Kontrolle zu halten. Noch stehen wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern recht gut da. Wenn wir unsere Ausgaben für Renten, Pensionen und Gesundheitsleistungen für Alte auf dem derzeitigen Niveau der BIP einfrieren, können wir eine Explosion der Staatsschulden vermeiden. So die Berechnung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), angestellt vor der Rentenreform der Großen Koalition.
Statt dieses Problem zu verkleinern, wurde es unter Kanzlerin Merkel deutlich vergrößert. Obwohl jeder wissen müsste, dass längere Lebenserwartung, frühere Renteneintritte und weniger Kinder mathematisch einfach nicht zusammenpassen, gibt es nun die Rente mit 63 und die Mütterrente. Dieser Rückwärtsgang der Regierung Merkel kostet unmittelbar 300 Milliarden Euro. Und gibt ein fatales Signal für die drohenden Verteilungskämpfe, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand tritt.
Hinzu kommt der Raubbau an der Infrastruktur Deutschlands. In den letzten 15 Jahren sind die öffentlichen Investitionen nach einer Auswertung der KfW preisbereinigt nur um 7,8 Prozent gestiegen, im Verhältnis zum BIP sind sie gefallen. In den Kommunen, eigentlich die Hauptträger der öffentlichen Investitionen, sind sie nach einer Studie des DIW seit 2003 per saldo negativ. Dabei braucht gerade ein Industrieland gute Schulen, erstklassige Forschung und funktionierende Verkehrssysteme.
Effekte der Zuwanderung
Nicht wenige Politiker und Ökonomen sehen im Zustrom von Millionen mehrheitlich jungen Menschen eine Lösung für die ungedeckten Versprechen der alternden Gesellschaft. Damit wird ein Nutzen suggeriert, wo es eigentlich um eine humanitäre Aufgabe geht, die per Definition dem Teilen des eigenen Wohlstands mit Dritten entspricht.
Damit die Zuwanderung einen positiven Wohlstandseffekt für uns hat, müssten die Migranten auf Jahre hinaus einen produktiven Beitrag zu unserer Industriegesellschaft leisten. Sie sind idealerweise also jung, leistungsbereit, gut gebildet oder bildungsfähig und integrationswillig. Der entscheidende Hebel ist, den Anteil der produktiven Flüchtlinge möglichst hoch zu bekommen.
Setzen wir die Vollkosten pro Flüchtling mit 25.000 Euro an, ein Betrag, der neben den direkten Kosten (Verpflegung, Unterbringung und Schulbesuch) auch die indirekten Kosten (Verwaltung, Infrastruktur) mit umfasst, müsste mindestens die Hälfte der Flüchtlinge einer Beschäftigung nachgehen und dabei im Schnitt 40.000 Euro pro Jahr verdienen, damit es sich für die hiesige Bevölkerung rechnet. Arbeiten weniger oder liegen die Gehälter unter diesem Niveau, bliebe eine Nettobelastung. Über Jahrzehnte gerechnet können die Kosten mit über einer Billion Euro denen der deutschen Einheit entsprechen.
Investitionsmaßnahmen für Integration
Damit Migranten überhaupt einen positiven Beitrag leisten können im System Deutschland, müssten wir heute massiv investieren. In Deutschkurse, die Vermittlung der Werte des Grundgesetzes und in Berufsausbildung. Nichts davon passiert und schon gar nicht im erforderlichen Umfang. Heinz Buschkowsky, der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin Neukölln rechnet vor, dass es alleine an 20.000 Deutschlehrern fehlt.
Angesichts geringer Qualifikation dürfte eine weitere Errungenschaft aus den zehn Jahren Merkel´scher Kanzlerschaft – der Mindestlohn – für eine schnelle Integration wenig hilfreich sein. Mit 8,50 Euro schon immer recht hoch für relativ unproduktive Tätigkeiten, ist er nun völlig illusorisch. Kein Unternehmer kann es sich leisten, zu diesen Kosten Mitarbeiter ohne Sprachkenntnis und mit unklarer Qualifikation zu beschäftigen.
Zwar werden die Ausgaben für Verpflegung, Kleidung und Unterkunft der Flüchtlinge tatsächlich die Wirtschaftsleistung steigern; die Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten dadurch in 2016 eine Steigerung des BIP um bis zu 0,5 Prozentpunkte. Doch auch dies ist nur Konsum und ein weiteres Beispiel für kurzfristige Optimierung zulasten künftiger Generationen.
Das ist das eigentliche Defizit zehn Jahre Merkel´scher Kanzlerschaft: Wir verteilen unseren vorhandenen Wohlstand freimütig und versäumen es, die Grundlagen für den zukünftigen Wohlstand zu legen. Wenn man es versucht zusammenzurechnen, kommen mehrere Billionen Euro an Wohlstandsverlusten als Folge der verfehlten Politik zusammen.
Das Erwachen aus der Wohlstandsillusion wird hart werden und massive Verteilungskonflikte zur Folge haben.
→ Cicero.de: „10 Jahre Merkel: Wohlstandsvernichtung, wohin man blickt“, 29. Januar 2016