10 Jahre Lissabon-Vertrag – Wie ist die wirtschaftliche Lage der EU heute? Fakten zum Nachlesen
Heute Morgen erscheint die erste Ausgabe von STELTERS PODCASTS auf bto. Ab nun – so die Planung – einmal wöchentlich jeweils am Sonntag auf diesen Seiten und bei Media Pioneer, die den Podcast produzieren. Ich freue mich auf Feedback und Anregungen!
Wie Leser von bto es gewohnt sind, werde ich jeweils am Montag nach der Veröffentlichung des Podcasts die Fakten zusammenfassen, die ich zur Vorbereitung des Podcasts zusammengetragen habe.
In der ersten Ausgabe geht es um den Zustand der EU, zehn Jahre nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages und Jahrzehnte, nachdem sich die hiesigen Politiker ambitionierte Ziele gesetzt haben. Ich erinnere:
“Die Lissabon-Strategie war ein auf einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs im März 2000 in Lissabon verabschiedetes Programm, das zum Ziel hatte, die EU innerhalb von zehn Jahren, also bis 2010, zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Das Nachfolgeprogramm ist als Europa 2020 bekannt.
Das Ziel der Lissabon-Strategie besteht darin, die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu erhöhen. Das Bestreben ist daher, die Produktivität und Innovationsgeschwindigkeit in der EU durch verschiedene politische Maßnahmen zu erhöhen. Als Messlatte dienten die Konkurrenten Japan und besonders die USA. Mit dieser Strategie wollte die EU im Rahmen des globalen Ziels der nachhaltigen Entwicklung ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt sein.
Hauptfelder dieses Programms sind wirtschaftliche, soziale sowie ökologische Erneuerung und Nachhaltigkeit in den Bereichen:
- Innovation als Motor für Wirtschaftswachstum (basierend auf Joseph Schumpeter)
- Wissensgesellschaft
- soziale Kohäsion und Umweltschutz”
Quelle: Wikipedia: → Lissabon-Strategie
Im Februar 2010 wurde ein ernüchterndes Zwischenfazit gezogen: Die Kernziele (Erhöhung der Beschäftigungsquote auf 70 Prozent und der Investitionen für Forschung und Entwicklung auf drei Prozent) wurden deutlich verfehlt. Die Beschäftigungsquote stieg von 62 Prozent im Jahr 2000 auf 66 Prozent in 2008; der Anteil der Investitionen für Forschung und Entwicklung von 1,82 Prozent (2000) auf nur 1,9 Prozent (2008).
Deshalb wurde eine „Nachfolge-Strategie“ verabschiedet, um bis 2020 die Ziele doch noch zu erreichen: EUROPA 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Nachzulesen hier:
Intelligentes Wachstum: Entwicklung einer auf Wissen und Innovation gestützten Wirtschaft
Nachhaltiges Wachstum: Förderung einer ressourcenschonenden, ökologischeren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaft
Integratives Wachstum: Förderung einer Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und ausgeprägtem sozialen und territorialen Zusammenhalt.
Konkret sollten 2020:
- 75 % der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren sollten in Arbeit stehen.
- 3 % des BIP der EU sollten für F&E aufgewendet werden.
- Die 20-20-20-Klimaschutz-/Energieziele sollten erreicht werden (einschließlich einer Erhöhung des Emissionsreduktionsziels auf 30 %, falls die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind).
- Der Anteil der Schulabbrecher sollte auf unter 10 % abgesenkt werden, und mindestens 40 % der jüngeren Generation sollten einen Hochschulabschluss haben.
- Die Zahl der armutsgefährdeten Personen sollte um 20 Millionen sinken.
bto: Das sind durchaus ambitionierte Ziele. Es wäre der Beweis, dass die EU ihr Versprechen einlöst und Wohlstand für die Menschen schafft. Dabei wurden diese Ziele noch in sieben „Leitinitiativen“ konkretisiert.
Heute schaue ich mir an, wie weit die EU auf dem Weg zu einer auf Wissen und Innovation gestützten Wirtschaft ist.
1. Innovationsunion
Ziele:
“‚Innovationsunion‘, um die Rahmenbedingungen und den Zugang zu Finanzmitteln für Forschung und Innovation zu verbessern und auf diese Weise sicherzustellen, dass innovative Ideen in wachstums- und beschäftigungswirksame Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden können.” – bto: Das ist unstrittig eine wichtige Voraussetzung für die Steigerung von Produktivität und damit künftigem Wachstum pro Erwerbstätigen sowie vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung eine wichtige Voraussetzung für die Sicherung des Wohlstands und auch der Finanzierung der Versprechen des Sozialstaates.
“Die Ausgaben für FuE belaufen sich in Europa auf unter 2 %, verglichen mit 2,6 % in den USA und 3,4 % in Japan, was vor allem auf geringere private Investitionen zurückzuführen ist. Dabei zählen nicht nur die Beträge für FuE in absoluten Zahlen – Europa muss auch die Auswirkungen und die Zusammensetzung der Forschungsausgaben ins Visier nehmen und die Bedingungen für FuE im Privatsektor in der EU verbessern. Unser geringerer Anteil an Hochtechnologie-Unternehmen ist verantwortlich für die Hälfte unseres Rückstands gegenüber den USA. (…) Die Kommission schlägt vor, das 3 %-Zielaufrechtzuerhalten und zugleich einen Indikator für die FuE- und Innovationsintensität zu entwickeln.” – bto: Dieses Ziel ist auf jeden Fall richtig und wichtig.
Ergebnis:
Es ist teilweise recht einfach, den Fortschritt zu messen. eurostat hat die Entwicklung bei den Forschungsausgaben kürzlich so zusammengefasst: → EuroStat
“Im Jahr 2017 gaben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) insgesamt fast 320 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung (FuE) aus. Die FuE-Intensität, d. h. der prozentuale Anteil der FuE-Ausgaben am BIP, lag im Jahr 2017 bei 2,07%, gegenüber 2,04% im Jahr 2016. Zehn Jahre zuvor (2007) hatte die FuE-Intensität 1,77% betragen.” – bto: Es gab also Fortschritt, aber längst nicht in dem Maße wie angestrebt.
„Ein Vergleich mit anderen wichtigen Volkswirtschaften zeigt, dass die FuE-Intensität in der EU wesentlich niedriger war als in Südkorea (4,22 % im Jahr 2015), Japan (3,28 % im Jahr 2015) und den Vereinigten Staaten (2,76 % im Jahr 2015). Sie war jedoch in etwa ebenso hoch wie in China (2,06% im Jahr 2015) und bedeutend höher als in Russland (1,1 % im Jahr 2015) und der Türkei (0,96 %).“ – bto: Man kann sich natürlich immer mit Schlechteren vergleichen, hier also Russland und die Türkei. Wenn es um die Zukunft geht, muss man sich aber an den Besten orientieren.
“Im Jahr 2017 war die FuE-Intensität am höchsten in Schweden (3,33 %) und Österreich (3,16 %), gefolgt von Dänemark (3,06 %) und Deutschland (3,02 %), wo die FuE-Ausgaben jeweils bei über 3 % des BIP lagen. In Finnland (2,76 %), Belgien (2,58 %) und Frankreich (2,25% im Jahr 2016) beliefen sich die FuE-Ausgaben auf zwischen 2,0 % und 3,0 % des BIP. Am anderen Ende der Skala lag die FuE-Intensität in acht Mitgliedstaaten bei unter 1 % des BIP: in Rumänien (0,5 %), Lettland (0,51 %), Malta (0,55 %), Zypern (0,56 %), Bulgarien (0,75 %), Kroatien (0,86 %), Litauen (0,74 %) und der Slowakei (je 0,88 %).” – bto: Es ist kein Zufall, dass der Wohlstand eines Landes mit den F&E-Aufwendungen korreliert ist.
Quelle: → EuroStat
Doch es geht ja nicht nur darum, wie viel Ressourcen man reinsteckt, sondern auch darum, was dabei herauskommt, wie viele Innovationen wirklich entstehen. Nehmen wir als Maßstab die Patente pro Kopf:
Quelle: → WIPO WORLD INTELLECTUAL PROPERTY ORGANIZATION
In dieser Darstellung ist die EU nicht angeführt. Wenn man aber die bevölkerungsreichsten Länder nimmt, liegen diese deutlich hinter den USA (von Japan ganz zu schweigen). Deutschland kommt noch knapp vor den USA, allerdings muss man dabei im Hinterkopf haben, dass die hiesigen Patente sehr konzentriert sind auf Branchen der Vergangenheit:
Quelle: → Deutscher Anteil an in Europa vergebenden Patenten
Daten der EU zeigen, dass wir vor allem im Automobilbereich innovieren. Die Frage ist natürlich, ob diese Innovationen in Zukunft noch etwas wert sind? Der immer wieder zitierte John Authers von Bloomberg stellte kürzlich diese Fakten zusammen:
“But even if Germany is sending more on R&D than China, which is now a considerably larger economy, that R&D spending is heavily concentrated in its auto sector. No country is as reliant on cars and vehicles for growth as Germany.” – bto: Das wissen wir. Schwierig dabei ist, dass sein guter Teil dieser Innovationen eben auf die Technologie entfällt, der nicht die Zukunft gehört. Bei den Themen Elektro und autonomes Fahren liegt Deutschland nicht vorn.
“Meanwhile, if we look at the share of R&D spending devoted to information and communications technology, Germany lags.” – bto: was auch nicht verwundert, man denke nur an die Breitbandabdeckung.
Bleibt der Blick auf die Rolle Europas bei den besten Technologiefirmen weltweit. Thomson Reuters hat die Top-100-Firmen identifiziert und stellt fest: “The United States is by far the most prolific headquarter country for the top 100 technology leaders. Forty-five percent of these tech companies hail from this nation, including many of the likely suspects, such as Alphabet, Amazon, Facebook and Microsoft, as well as a number of others that have recently risen to technology prominence including HPE (Hewlett Packard Enterprise), Nvidia and Symantec. Japan and Taiwan are tied for the next two most active countries with 13 top 100 global tech companies each. They’re followed by India, with five leaders, and then a group of countries with anywhere from three to one tech toppers in their midst. When looking at technology leaders by continent, North America leads with 47, followed by Asia with 38, Europe with 14 and one from Australia.” – bto: 14 in Europa! Japan und Taiwan haben 13 und in Europa stammen von den 14 auch noch zwei aus der Schweiz. Die EU liegt also hinter Taiwan.
Was dann so aussieht:
Quelle: → 100 Global Tech Leaders
Aus Deutschland sind dabei: Infineon und SAP. Die anderen EU-Europäer sind: Accenture (die sitzen allerdings wohl mehr aus steuerlichen Gründen in Irland, ist die Beratung doch eindeutig US-amerikanischen Ursprungs), Atos (Frankreich), Computacenter (UK), Ericsson (Schweden), Gemalto (Niederlande), Nokia (Finnland), NXP Semiconductors (Niederlande), Sopra Steria (Frankreich) und Tieto (Finnland). Zählt man die zwei Schweizer Unternehmen dazu, kommt man auf 14 Europäer.
bto-Fazit: Es gab zwar Fortschritte bei den Investitionen in F&E. Dennoch liegt die EU deutlich hinter dem selbst gesetzten Ziel von drei Prozent der Ausgaben für F&E in Prozent vom BIP. Was schwerer wiegt: Der Mangel an Hochtechnologie-Unternehmen dauert an und bei den Patentanmeldungen besteht heute nicht nur gegenüber den USA, sondern auch gegenüber China ein deutlicher Rückstand! Damit ist es nicht gelungen, in den letzten 20 Jahren und auch im kürzeren Zehnjahreszeitraum seit der Krise, den wichtigsten Hebel zu aktivieren, den es für künftigen Wohlstand gibt.
2. “Jugend in Bewegung”
Ziele:
“Im Bildungsbereich soll das Problem der Schulabbrecher angegangen und die Schulabbrecherquote von derzeit 15 % auf 10 % reduziert und gleichzeitig der Anteil der Bevölkerung im Alter zwischen 30 und 34, der ein Hochschulstudium abgeschlossen hat, von derzeit 31 % bis 2020 auf mindestens 40 % gesteigert werden.” – bto: Das Ziel, die Anzahl der Schulabbrecher zu reduzieren, ist sehr wichtig, weil dies lebenslange Wirkung hat. Der Akademisierungswahn hingegen ist nicht richtig. Es wäre besser, sich am deutschen dualen Modell zu orientieren, statt die Quantität der Hochschulabsolventen zu erhöhen.
“Ein Viertel der Schüler verfügt über zu geringe Lesekompetenz, und einer von sieben Jugendlichen bricht seine Ausbildung vorzeitig ab. Rund 50% der Schüler erreichen ein mittleres Qualifikationsniveau, das jedoch häufig nicht dem Bedarf des Arbeitsmarktes entspricht. Weniger als ein Drittel der Menschen im Alter zwischen 25 und 34 hat einen Hochschulabschluss (USA: 40 %, Japan: 50 %). Dem Shanghai-Index zufolge gehören nur zwei europäische Hochschulen zu den weltweit 20 besten.” – bto: Und diese zwei dürften demnächst nicht mehr zu „Europa“ gehören.
Ergebnis:
Schulabbrecher: Nach den letzten verfügbaren Daten liegt der Anteil der Schulabbrecher in der EU immer noch über zehn Prozent, aber nicht mehr auf dem Wert von 15 Prozent. Ein gewisser Fortschritt also. Besonders schlimm in Spanien, Malta, Rumänien und Italien.
Anteil Uni-Absolventen:
Ich habe jetzt nicht genau die Daten für die Kohorte der 30- bis 34-Jährigen gefunden, diese Darstellung zeigt jedoch einen Anstieg der Bevölkerung mit „tertiärem“ Bildungsabschluss über 30 Prozent. Das würde bedeuten, es ist gelungen, die Menge der Hochschulabsolventen zu steigern. Ob das wirklich sinnvoll ist, steht – wie gesagt – auf einem anderen Blatt. Ich erinnere an Kommentare bei bto, die sich mit dem Akademisierungswahn und der Flut an Einser-Abituren beschäftigt haben:
→ Der Akademisierungswahn und seine Folgen
→ Der Verfall des Bildungswesens in Zahlen
Wichtiger ist die Frage, welche Fächer studiert werden. Vor allem benötigen wir mehr Studenten in den sogenannten MINT-Fächern. Da sieht es so aus:
Quelle: → IdW, MINT Frühjahresreport 2019
Demnach liegt die EU vor den USA. Sicherlich liegt sie jedoch hinter Japan, China und Korea, wenngleich die Daten für Japan und China in dieser Tabelle fehlen. Selbst wenn in China der Anteil geringer sein sollte als in der EU, ist allein schon die Wirkung der großen Zahl zu berücksichtigen.
Anteil Top-20-Unis: Es ist gelungen, nunmehr drei Universitäten aus der EU in den Top 20 zu haben. Allerdings handelt es sich um eine weitere Universität aus Großbritannien, weshalb es der EU nichts nutzt. Nach dem Brexit befindet sich keine EU-Universität unter den Top 20, Kopenhagen ist auf Platz 26.
Quelle: → Shanghai Ranking
PISA: Bei PISA gab es bekanntlich einige Bemühungen, die durchaus in einzelnen Ländern zu Verbesserungen führten. Dennoch sind die EU-Länder hier nur Mittelmaß. Deutschland schlägt sich dank passabler Leistungen in den Naturwissenschaften noch recht gut:
Quelle: → IdW, MINT Frühjahresreport 2019
Viel bedeutender sind die mathematischen Spitzenleistungen, die in der TIMSS Studie erfasst werden. Leser von bto kennen diese Darstellung von Professor Heinsohn bereits:
Quelle: „Wettkampf um die Klugen“, Professor Heinsohn
Die mathematischen Fähigkeiten sind der wohl eindeutigste Indikator für die künftige Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft. Wo liegt die EU hier? Wenn wir Polen, Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Ungarn, Portugal, Irland, Dänemark, Niederlande, Bulgarien, Schweden, Finnland und Kroatien zusammenrechnen, kommen wir auf 1.028.000 Jugendliche in dem Top-Segment. Etwas mehr als Korea allein schafft und deutlich weniger als Japan, die USA. Von China reden wir in dem Zusammenhang nicht. Besonders enttäuschend ist, dass wir nicht nur weniger Kinder haben, der Prozentsatz der Kinder, die top Leistungen erbringen, ist besonders gering. Japan, angeblich vergreisend und dem Untergang geweiht, steht da signifikant besser da!
bto-Fazit: Es gibt Fortschritte bei dem Thema Schulabbrecher, was erfreulich ist. In jeder anderen Hinsicht muss man feststellen, dass es der EU auch nach 20 Jahren nicht gelungen ist, die angestrebten Ziele zu erreichen.
3. Digitale Agenda für Europa
Ziele:
„‚Digitale Agenda für Europa‘, um den Ausbau schneller Internet-Zugangsdienste zu beschleunigen und die Vorteile eines digitalen Binnenmarktes für Haushalte und Unternehmen zu nutzen.“ – bto: Unstrittig dürfte die Digitalisierung ein entscheidender Faktor für die Sicherung künftigen Wachstums und Wohlstands sein.
„Ziel ist es, einen nachhaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen aus einem digitalen Binnenmarkt auf der Grundlage des schnellen und ultraschnellen Internets und interoperabler Anwendungen zu ziehen, mit Breitbandanschlusses für jedermann im Jahr 2013, sehr viel höheren Internet-Geschwindigkeiten 30 Mbps (oder mehr) bis 2020 und einen Internetanschluss von über 100 Mbps für 50 % oder mehr aller europäischen Haushalte.“ – bto: Ich denke, hier können wir schon vor der Analyse der Zahlen nur skeptisch sein.
„Schaffung eines echten Binnenmarktes für Online-Inhalte und –Dienste (d. h. grenzenlose und sichere Märkte für EU-Webdienste und digitale Inhalte mit einem hohen Vertrauensgrad, ausgewogener Rechtsrahmen mit eindeutigen Rechten, Förderung multiterritorialer Lizenzen, angemessener Schutz und angemessene Vergütung für Rechtsinhaber und aktive Unterstützung der Digitalisierung des reichen europäischen kulturellen Erbes sowie Ausgestaltung der globalen Steuerung des Internet).“ – bto: Hier würde ich intuitiv sagen, dass in den vergangenen Jahren viel passiert ist. Mir persönlich ist dabei vor allem die DSGVO in Erinnerung geblieben, die allein mich gut 2000 Euro gekostet hat für entsprechende Klauseln und Funktionalitäten der Webpage. Ausgaben, denen bei vielen Bloggern wir mir keine Einnahmen gegenüberstehen. Aber es ist sicherlich unfair, daraus auf alles zu schließen. Versuchen wir also, etwas mehr herauszufinden.
Ergebnis:
Breitbandanschlüsse: Es gab Fortschritte bei der Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen:
Quelle: → Digital Single Market
Allerdings kann von viel höheren Internet-Geschwindigkeiten 30 Mbps (oder mehr) bis 2020 und einen Internetanschluss von über 100 Mbps für 50 Prozent keine Rede sein:
Quelle: → Digital Single Market
Es haben nicht mal 50 Prozent der Bürger einen 30 Mpbs-Anschluss, nicht 100 Prozent wie angedacht. Auch vom Ziel, 50 Prozent mit 100 Mbps oder mehr zu erreichen, sind wir trotz deutlicher Fortschritte weit entfernt.
Im internationalen Vergleich sieht es so aus:
Quelle: → Digital Single Market
In Japan, Russland und China steht es nicht viel besser, aber es ist davon auszugehen, dass der Wettbewerb sich intensiviert. Fortschritte gab es in der EU, wenn auch weit weniger als ursprünglich gedacht.
Digitaler Binnenmarkt: Es ist schwer, den Fortschritt beim Thema „digitaler Binnenmarkt“ nachzuhalten. Es gibt auf jeden Fall eine Abarbeitung der Projekte, die die Kommission sich vorgenommen hat. Die Frage ist jedoch, ob die auch dazu führen, dass die EU im Bereich der Digitalwirtschaft wettbewerbsfähiger wird. Was wir bisher gesehen haben, spricht nicht dafür.
Was man findet, ist ein Bericht zum Fortschritt beim Thema E-Government. Ein durchaus wichtiger Bereich und vor allem in der Hand der Regierungen, die direkt handeln und Standards setzen könnten.
Es sieht aber nach einem langsamen Fortschritt aus. Leider wird in der Studie auf die relative Performance der einzelnen Länder abgehoben. Man vergleicht sich also untereinander und nicht mit den Besten der Welt. Dennoch kann man es ahnen.
Zunächst die Feststellung zur Verbesserung gegenüber dem Vorjahr (das ist die linke Achse) und zum Durchschnitt. Die EU liegt im Schnitt bei 65 Prozent Zielerfüllung. Ich denke, dies sagt alles. Deutschland brauche ich nicht extra erwähnen, ist hierbei keineswegs Vorreiter:
Quelle: → E-Government Benchmark 2019
Noch ernüchternder ist der Blick auf diese Abbildung. “Penetration reflects the degree to which the online channel is used for government services and is determined using Eurostat data. Digitisation captures the degree of digitisation of the back- and front- office of Public Administration. It is determined using the data from the eGovernment benchmark indicators.” Links unten hat man weder die eigenen Prozesse digitalisiert, noch können die Bürger viel online erledigen. Man erkennt auf einen Blick, dass die großen Länder nicht im grünen Bereich sind:
bto-Fazit: Es ist peinlich. Wenn man weltweit unterwegs ist, stellt man rasch fest, dass es um Internetgeschwindigkeit und Mobilfunkabdeckung bei uns schlecht bestellt ist. Konkret merke ich zwar, dass es noch Länder gibt, in denen es schlechter als in Deutschland ist, namentlich in Großbritannien beim Thema Breitband und Mobilfunk. Doch ist der Rückstand des (baldigen?) Ex-Mitglieds UK und des vermeintlichen Musterschülers Deutschland nicht alleine schuld daran, dass die EU gesamthaft so schlecht dasteht.
4. Wettbewerbsfähigkeit:
Keines der offiziellen Ziele der sieben Punkte – vermutlich um sich nicht erneut lächerlich zu machen – wird Wettbewerbsfähigkeit dennoch in dem Papier explizit als Ziel angeführt:
Ziel:
“In Anbetracht des zunehmenden Drucks auf die Exportmärkte müssen wir für eine immer breitere Palette von Vorleistungen unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber unseren wichtigsten Handelspartnern durch höhere Produktivität verbessern. Wir müssen das Problem der relativen Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone und in der gesamten EU angehen. (…) Die EU sollte ihre Führungsrolle auf dem Markt für umweltfreundliche Technologien beibehalten, um Ressourceneffizienz in der gesamten Wirtschaft zu gewährleisten, Engpässe in wichtigen Netzinfrastrukturen zu beseitigen und auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie zu stärken.” – bto: Man ahnt natürlich angesichts der bisherigen Diskussion, dass die EU hier auch nicht so richtig vorangekommen ist.
Ergebnis:
Produktivität: Weltweit sind die Produktivitätsfortschritte seit Jahren rückläufig. Das ist auch in der EU nicht anders. Blickt man auf den entscheidenden Indikator der Wettbewerbsfähigkeit pro Erwerbstätigen, wird der Rückstand der EU mehr als offensichtlich:
- Italien: 2000: 99.382 US-Dollar (konstant 2011) und 2019 96.469 US-Dollar, macht ein Plus von -2.913 bzw. -3 Prozent.
- Deutschland: 2000: 82.268 US-Dollar (konstant 2011) und 2019 92.718 US-Dollar, macht ein Plus von 10.450 bzw. 13 Prozent.
- Frankreich: 2000: 85.586 US-Dollar (konstant 2011) und 2019 97.408 US-Dollar, macht ein Plus von 11.822 bzw. 14 Prozent.
- Spanien: 2000: 76.568 US-Dollar (konstant 2011) und 2019 87.113 US- Dollar, macht ein Plus von 10.545 bzw. 14 Prozent.
- UK: 2000: 70.742 US-Dollar (konstant 2011) und 2019 82.217 US- Dollar, macht ein Plus von 11.475 bzw. 16 Prozent.
- Niederlande: 2000: 83.714 US-Dollar (konstant 2011) und 2019 99.030 US- Dollar, macht ein Plus von 15316 bzw. 18 Prozent.
Im Vergleich dazu:
- Japan: 2000: 66.277 US-Dollar und 2019 77.384 US-Dollar, macht ein Plus von 11.107 bzw. 17 Prozent.
- USA: 92.141 US-Dollar und 2019 117.227 US-Dollar, macht ein Plus von 25.086 bzw. 27 Prozent.
- Süd-Korea: 44.384 US-Dollar und 2019 72.270 US-Dollar, macht ein Plus von 27.886 bzw. 63 Prozent.
Quelle: → THE WORLD BANK
Relative Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone: Hier spare ich mir die immer wieder gemachten Hinweise auf die zunehmende Divergenz innerhalb der Eurozone. Es kam also nicht zu einer Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Mitgliedsländern, sondern zu einer Auseinanderentwicklung. Nachzulesen hier: LINK
Wettbewerbsfähigkeit der EU: Nach den oben aufgeführten Fakten dürfte unstrittig sein, dass die EU in den letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit verloren, nicht gewonnen hat. Als Indikator mag die Entwicklung des Anteils am Welt-BIP dienen: Er muss sinken, weil die Schwellenländer, namentlich China und Indien, so stark aufholen. Dennoch zeigt der Marktanteilsverlust der EU deutlich, dass diese aufgrund des Versagens bei der Erhaltung von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft auf der internationalen Bühne rasch an Gewicht verliert.
Quelle: → IMW, Statista
bto-Fazit: Es ist kein Grund zur (Schaden-)Freude. Die EU steckt in einer existenziellen Krise, hat große Vorhaben, nur, um dann umso spektakulärer zu scheitern. Blickt man auf die Agenda der neuen Kommission, kann man schon heute die Vermutung formulieren, dass wir in zehn Jahren auch ein schlechtes Zeugnis ausstellen müssen. Wer glaubt, angesichts von Schrumpf-Vergreisung, eklatanten Bildungsmängeln, fehlenden Zukunftstechnologien, die Welt belehren und retten zu können, dem fehlt jeglicher Realitätssinn. Weder haben wir die Ressourcen für ausreichende militärische Kraft, noch können wir alle Migranten der Welt aufnehmen, schon gar nicht im Alleingang das Weltklima retten. Diese Schwerpunkte, gepaart mit der Illusion, die EU zu einem Umverteilungsparadies zu machen, sind geeignet, den Zusammenbruch zu beschleunigen.