Hohe Schul­den und der Zins­schock sind ein Cock­tail für eine sehr gefähr­liche Situation

Morgen (5. November 2023) ist Tobias Straumann, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich in meinem Podcast zu Gast. Mit ihm spreche ich über den zunehmenden Populismus und die Lehren aus der Vergangenheit: dem Deutschland der 1920er- und 30er-Jahre.

Kürzlich hat Straumann in einem Vortrag bei einem Anlass des Vermögensverwalters Swiss Rock Parallelen zu einem anderen Zeitraum gezogen: den 1970er-Jahren. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fasste einige seiner Aussagen zusammen:

  • „Wie in den 1970er Jahren kämpfen die Zentralbanken auch heute gegen eine hartnäckige Teuerung und haben die Leitzinsen jüngst deutlich erhöht. Gleichzeitig ist die Wirtschaft in vielen Industrieländern ins Stottern geraten. ‚Hohe Schulden und der Zinsschock sind ein Cocktail für eine sehr gefährliche Situation‘, sagt Straumann.“ – bto: Und das ist m.E. ein großer Unterschied zu damals. Die Schulden sind weitaus höher.
  • „Investoren haben den Zinsanstieg unterschätzt: Die Investoren hätten lange nicht geglaubt, dass die Zinsen stark steigen könnten, sagt Straumann. ‚Man hat die Zentralbanken und ihren Willen, die Zinsen zu erhöhen, lange unterschätzt.‘ Nun seien die Akteure an den Finanzmärkten von einem der stärksten Zinsanstiege in der Geschichte überrascht worden. Innerhalb kurzer Zeit sind die Zinsen in den USA um 5 Prozentpunkte gestiegen. Diese Woche ist die Rendite von amerikanischen Staatsanleihen zum ersten Mal seit 2007 wieder auf den Stand von 5 Prozent gestiegen.“ – bto: In den 1970ern stiegen die Zinsen absolut mehr, aber relativ weniger. Hier haben wir es mit Zinssteigerungen um mehrere 100 Prozent zu tun.
  • „Steigende Gefahr von Finanzunfällen: Während es grundsätzlich positiv zu werten ist, dass Kapital wieder etwas kostet und dass die Zeit der Negativzinsen vorbei ist, so steigt durch den raschen Zinsanstieg doch die Gefahr von Finanzunfällen. Mit der Krise der amerikanischen Regionalbanken und dem Kollaps der Schweizer Grossbank Credit Suisse hat es in den vergangenen Monaten bereits solche Unglücke gegeben. Straumann zeigte sich allerdings überrascht, dass es angesichts der schnellen Erhöhung der Leitzinsen nicht noch mehr Unfälle gegeben hat. ‚Es kann aber gut sein, dass die grossen Schäden noch kommen‘, sagt er.“ – bto: Das würde ich ganz genauso sehen.
  • „Sorgen machen dem Wirtschaftshistoriker auch die politische Polarisierung in den USA und der mangelnde Einigungswille in der Politik: ‚Wenn man sich in der Politik nicht einigen kann, steigen die Defizite‘, sagt er.“ – bto: Das sieht man auch an den Diskussionen in Deutschland…
  • „Beunruhigend ist auch, dass das globale Schuldenniveau weiterhin so hoch ist. Laut dem Institute of International Finance (IIF), einer weltweiten Vereinigung von Finanzhäusern, lag die globale Verschuldung im ersten Halbjahr dieses Jahres bei rekordhohen 307 Billionen Dollar. Die deutlich höheren Zinsen treiben die Ausgaben für Zins- und Tilgungszahlungen nach oben. ‚Die Zeit der tiefen Zinsen ist vorbei, aber die Mentalität beim Schuldenmachen ist immer noch gleich‘, sagt Straumann dazu.“ – bto: Ich denke es ist weniger die „Mentalität zum Schuldenmachen“, sondern eher der Zwang, Schulden zu machen, um die Illusion der Bedienung aufrecht zu erhalten.
  • „Die Inflation ist indessen in den Industrieländern ein Stück weit gesunken, verharrt aber auf erhöhten Niveaus. Hier sieht Straumann Parallelen zu den 1970er Jahren. Damals entstand eine Lohn-Preis-Spirale: Löhne und Preise schaukelten sich gegenseitig nach oben, und die Inflation wurde lange nicht besiegt. In den USA habe sich damals das Federal Reserve Board (Fed) mehrmals zu schnell von seiner strafferen Geldpolitik verabschiedet und so der Teuerung zurückzukommen erlaubt, sagt Straumann.“ – bto: Diesmal dürften Unfälle und der Zwang zur Kriegsfinanzierung die Fed und die anderen westlichen Notenbanken dazu zwingen, Geld in das System zu pumpen.
  • „Der Preis für die Erhöhung der Leitzinsen sei in den 1970er Jahren eine tiefgehende Rezession mit deutlich höheren Arbeitslosenzahlen in Industriestaaten gewesen, sagte Straumann in seinem Vortrag. In Lateinamerika hätten die massiv erhöhten Zinsen in den USA in der Folge sogar eine Schuldenkrise ausgelöst. Aus seiner Sicht sei es ‚sehr erstaunlich‘, dass im gegenwärtigen Umfeld noch nichts in dieser Richtung passiert sei.“ – bto: Ja, aber es braut sich etwas zusammen, wenn man beispielsweise auf die US-Nebenwerte blickt.
  • „Auch die Immobilienkrise in China sieht der Wirtschaftshistoriker als Warnsignal. Er sei dem chinesischen Modell schon immer kritisch gegenübergestanden und habe daran gezweifelt, dass dieses nachhaltig erfolgreich sein werde. Die Immobilienkrise werde die chinesische Wirtschaft weiterhin stark belasten. Ihre potenziellen negativen Auswirkungen dürften auf keinen Fall unterschätzt werden.“ – bto: Das stimmt. Es erhöht auch den politischen Druck auf die chinesische Führung.

nzz.ch: „Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann: ‚Hohe Schulden und der Zinsschock sind ein Cocktail für eine sehr gefährliche Situation‘“, 28. Oktober 2023