Da ist er wieder: Thomas Piketty und die Ungleichheit

Wie die meisten Leser dieser Seiten vermutlich wissen, habe ich mich 2015 sehr kritisch mit den Thesen von Thomas Piketty auseinandergesetzt, was letztlich zu meiner Replik in Buchform geführt hat:

Die Schulden im 21. Jahrhundert

Auch bei bto sind einige immer noch relevante Kommentare erschienen:

„Piketty beschreibt Symptome, nicht Ursache“ – Makroökonom Daniel Stelter kritisiert Wirtschaftsbestseller

Credit Suisse und Piketty beschreiben Symptome

Piketty liegt falsch: “Deciphering the fall and rise in the net capital share”

Heute nun eine Besprechung der neuesten Zahlen des Reichtumforschers im Handelsblatt:

  • “Ein Team um den Wirtschaftsforscher Thomas Piketty veröffentlicht seit diesem Jahr einen jährlichen Bericht über die weltweite Entwicklung wirtschaftlicher Ungleichheit: den World Inequality Report.” – bto: Das ist unter Marketinggesichtspunkten eine gute Strategie; er besetzt das Thema und hält es aktuell.
  • “Auf globaler Ebene besteht die wichtigste Entwicklung der letzten Jahrzehnte darin, dass der Anteil der Menschheit, der in extremer Armut lebt, drastisch zurückgegangen ist. Im Jahr 1981 waren 44 Prozent der Weltbevölkerung – damals zwei Milliarden Menschen – von Armut betroffen. Bis zum Jahr 2015 ist diese Quote bei steigender Weltbevölkerung auf zehn Prozent gefallen. Das sind 700 Millionen Menschen – immer noch zu viele, aber der Fortschritt ist gewaltig. (…) Der Bericht erwähnt diesen Erfolg der Armutsreduktion nicht.” – bto: natürlich nicht! Es passt ja nicht in die Kampagne des Kapitalismusgegners und Umverteilungsapologeten.
  • Der “konzentriert sich (lieber) auf andere Aspekte der Ungleichheit – nämlich die Entwicklung der Anteile bestimmter sogenannter Perzentile. Analysiert wird die Einkommensverteilung innerhalb ausgewählter Länder am Gesamteinkommen. Soziodemografische und ökonomische Veränderungen wie beispielsweise eine wachsende Frauenerwerbsbeteiligung oder eine Veränderung der Arbeitslosenquote führen dazu, dass sich die Zusammensetzung dieser Gruppen verändert und damit auch deren Durchschnittseinkommen, ohne dass sich die Einkommen der ursprünglichen Personen im jeweiligen Perzentil verändert hätten. Es erfolgt also keine Betrachtung derselben Personen über die Zeit. Deshalb müssen diese Zahlen sorgfältig interpretiert werden“. – bto: so wie bei uns die Armen, die vor allem aus der zunehmenden Zahl der Migranten stammen.
  • “Gleichzeitig ist das Niveau der Ungleichheit hoch. Das wird deutlich, wenn man den Blick auf das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung richtet. Im Jahr 1980 entfielen darauf 16 Prozent des Gesamteinkommens, bis 2006 stieg dieser Anteil auf 22 Prozent. Seit dieser Höchstmarke ist er wieder auf 20 Prozent zurückgegangen, ist damit aber immer noch hoch.” – bto: Also hat die Finanzkrise doch gewirkt, was klar ist, führt doch Deleveraging (so es denn überhaupt erfolgt) zu geringeren Vermögenswerten.
  • “Zu den Verlierern der globalen Entwicklung gehören die unteren Einkommensschichten in den Industrieländern. Sie gehören zwar im weltweiten Vergleich zur oberen Mittelschicht, ihr Einkommensanteil ist aber gesunken.” – bto: Was ist die Antwort darauf? Umverteilung, Protektionismus oder bessere Bildung? Letztere müsste es sein.
  • “Der Report beginnt das Kapitel über Deutschland mit einem Vergleich über ein ganzes Jahrhundert: 2013 lag der Einkommensanteil der reichsten zehn Prozent bei 40 Prozent, ebenso hoch wie im Jahr 1913. Damit soll wohl vermittelt werden, es habe keine Fortschritte in Richtung größerer Einkommensgleichheit gegeben. Das ist jedoch irreführend.” – bto: und beabsichtigt. Das kennen wir auch von anderen Experten, die die Fakten so interpretieren, dass sie zur eigenen politischen Agenda passen. Verzichte jetzt mal auf konkrete Namen. Leser von bto wissen ohnehin, an wen ich denke.
  • “Erstens zeigt ein Blick auf das reichste Prozent, die der Bericht sonst in den Vordergrund rückt, dass dessen Anteil von 18 Prozent im Jahr 1913 auf 13 Prozent im Jahr 2013 zurückgegangen ist. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass im Report über Bruttoeinkommen berichtet wird. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es im Deutschen Reich keine progressive Einkommensteuer, wie wir sie heute kennen. Das Land Preußen erhob lediglich eine proportionale Steuer in Höhe von vier Prozent. Im Jahr 2013 lag der Spitzensteuersatz in Deutschland bei rund 47 Prozent. Die einkommensstärksten zehn Prozent zahlen damit mehr als die Hälfte des Einkommensteueraufkommens, das obere eine Prozent rund 25 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens. Deshalb ist der Anteil der einkommensstärksten Teile der deutschen Bevölkerung am Nettoeinkommen, auf das es letztlich ankommt, heute deutlich niedriger als 1913.” – bto: Dann kann man aber nicht nach höheren Steuern rufen, was natürlich blöd ist.
  • “In den letzten Jahrzehnten ist auch hierzulande eine Einkommensspreizung zu beobachten,(…) Vor allem im Zeitraum zwischen 1995 und 2005 hat die Einkommensungleichheit in Deutschland zugenommen. Das hat mit sinkenden Stundenlöhnen für Arbeitnehmer mit niedriger und mittlerer Qualifikation zu tun. Im Zeitraum seit 2005 hat sich die Lage verändert.” – bto: Seitdem steigen Löhne und Beschäftigung in dieser Gruppe wieder.
  • “(…) die wachsende Beschäftigung in Deutschland steigert die Einkommen vor allem in den unteren Einkommensschichten. Per saldo hat sich die Einkommensungleichheit in Deutschland seit Mitte der 2000er-Jahre stabilisiert. Im Vergleich zu anderen, vergleichbaren Industrieländern ist die Einkommensverteilung sehr ausgeglichen. Unter den G7-Staaten weist Deutschland bei den Nettoeinkommen sogar die niedrigste Ungleichheit auf.” – bto: hallo Politiker! Das genügt euch nicht? Hinzu kommt, dass die Armen vor allem Migranten sind, deren Anteil weiter anwächst.
  • “Hohe Belastungen durch Sozialabgaben und bei wachsendem Einkommen wegfallende Transfers führen teilweise dazu, dass höhere Bruttoeinkommen sich nicht in höheren Nettoeinkommen niederschlagenSo ist Deutschland ein Land mit moderater Einkommensungleichheit und einem stark ausgebauten Sozialstaat, der viel Geld umverteilt.” – bto: statt mehr Geld in die Zukunftssicherung zu stecken.
  • “Es wird immer wieder gefordert, in Deutschland umverteilende Steuern zu erhöhen – auf Kapital, Vermögen oder Erbschaften. In einer Welt mit hoher Mobilität von Kapital und Menschen mit hohen Einkommen oder Vermögen führt eine solche Politik aber zu Abwanderung und Kapitalflucht.” – bto: Dazu tragen weitere Fehlentwicklungen im Land bei.

Diese Analyse der Daten wird von der Politik wie immer nicht berücksichtigt werden. Es ist allemal leichter und populärer, nach noch mehr Umverteilung zu streben. Wahnsinn.

handelsblatt.com: “Ökonom Thomas Piketty: Neue Zahlen zum Thema Ungleichheit”, 19. Juli 2018

Kommentare (18) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Jens
    Jens sagte:

    Na ja.
    Bis zum Jahr 2015 ist diese Quote bei steigender Weltbevölkerung auf zehn Prozent gefallen. Das sind 700 Millionen Menschen – immer noch zu viele, aber der Fortschritt ist gewaltig.

    Das geht Größtenteils auf die Kappe von China. Die den Aufschwung durch das genaue Gegenteil von Freihandel erreicht haben. China hat sein Märkte nicht nur durch Zölle geschützt sondern auch durch strikte Kapitalverkehrskontrollen sowie diversen “Nickligkeiten” wie ein Patent”recht” das de facto Chinesen besser stellt als Ausländer und der Verfügung, dass ausländische Firmen nicht direkt investieren können sondern ihr KnowHow in Joint ventures an chinesche Partner abzuliefern haben und natürlich Subventionen in strategischen Feldern von gigantischen Ausmaßen. Das wird leider so gut wie nie erwähnt, wenn diese Erfolge der Armutsbekämpfung herausgestellt werden. Ohne China sieht der Erfolg der globalen Armutsbekämpfun eher mau aus.

    Das hat mit sinkenden Stundenlöhnen für Arbeitnehmer mit niedriger und mittlerer Qualifikation zu tun. Im Zeitraum seit 2005 hat sich die Lage verändert.“ – bto: Seitdem steigen Löhne und Beschäftigung in dieser Gruppe wieder.
    Ja, die Löhne steigen wieder aber nicht stärker als der Rest. Der Verlust an Kaufkraft im Vergleich zum Rest hat sich durch das Wachstum der Löhne in diesem Segment gerade mal stabilisiert. Ist das schon der Grund zum jubeln?

    So ist Deutschland ein Land mit moderater Einkommensungleichheit und einem stark ausgebauten Sozialstaat, der viel Geld umverteilt.“ – bto: statt mehr Geld in die Zukunftssicherung zu stecken.

    Das hängt aber auch mit der demografischen Entwicklung zusammen, die in Deutschland noch ungünstiger ist als in vielen anderen Ländern. Alte müssen eben auch irgendwie versorgt werden.

    „Es wird immer wieder gefordert, in Deutschland umverteilende Steuern zu erhöhen – auf Kapital, Vermögen oder Erbschaften. In einer Welt mit hoher Mobilität von Kapital und Menschen mit hohen Einkommen oder Vermögen führt eine solche Politik aber zu Abwanderung und Kapitalflucht.“ – bto: Dazu tragen weitere Fehlentwicklungen im Land bei.

    Höhere Steuern auf die Einkommen der Bürger wären sicherlich kontraproduktiv. Höhere Steuern für Unternehmen wären angesagt. Diese sind zu Nettosparern geworden und horten Cash. Das ist volkswirtschaftlich im Giralgeldsystem völlig unsinning. Entweder die Firmen investieren, was der Staat gegebnfalls steuerlich besser fördern könnte oder der Staat schöpft das über höhere Unternehmenssteuern ab und inverstiert es in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Noch eine Mütterrente brauchen wir nicht.

    Gruß Jens

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  2. Axel
    Axel sagte:

    Ich habe mir kürzlich die “Bibel des Bösen”, Thilo Sarrazins “Deutschland schafft sich ab” durchgelesen. In erster Linie aus heuristischen Zwecken und um einfach mitreden zu können. Überrascht war ich, daß es sich hierbei nicht um Hetzpropaganda handelt, wie im öffentlichen Diskurs oft dargestellt, sondern um eine soziologische Streitschrifft. Analysen der Entwicklung Deutschlands in naher Zukunft werden mit einer Unmenge Tabellen und Statistiken untermauert. Es geht in erster Linie um sich verfestigende Armutszunahme und Bildungsferne in einer immer größer werdenden Unterschicht und die Konsequenzen daraus für eine schrumpfende Bevölkerung, die für die Finanzierung des wachsenden Präkariats aufkommen muß. Und ja, die muslimischen Einwanderer kommen dabei nicht gut weg und es sind in der Tat 1-2 polemische Bemerkungen enthalten (Die aber nicht falsch sein müßen). Sie wirken allerdings wie Fremdkörper in dem trockenen Faktendschungel.
    Sarrazin bleibt in allen wichtigen Aspekten jedoch dabei stets auf der objektiven Ebene der nackten Zahlen. Gehezt wird hier nicht. Rassismus? Juden, ostasiatische Migranten…kommen hier sehr gut weg und laßen in Punkto Bildung, kulturelle Fertigkeiten, etc. sogar die Deutschen alt aussehen!
    Die Schuld für die möglicherweise anstehenden gesellschaftlichen Spannungen gibt Sarrazin allerdings in erster Linie der deutschen Politik und läßt vor allen an der verfehlten Einwanderungs- und Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte kein gutes Haar. Natürlich mußten die Parteien unisono über ihn herfallen und die Nazikeule schwingen. Hätten sie ihm recht gegeben, hätten sie ja quasi ihr eigenes Versagen eingestanden. Die Courage hat aber im heutigen Berlin niemand mehr. Man einigte sich lieber auf die Strategie der Denunzation und und öffentlichen Ausgrenzung des Nestbeschmuzers. Ein Warnschuß und eine Drohung für jeden anderen, der sich ebenfalls wagen sollte die Politiker mit unangenehmen Themen aus ihrer Komfortzone zu locken!

    Das Buch ist wegen der Zahlenflut sperrig zu lesen. Es ist von aller linker, Idiologischer Schlacke und moralisch-ethischen Ballast befreit und fokussiert sich auf die nackten Zahlen und Analysen. Das erzeugt beim lesen eine gewiße Nüchternheit und Kälte, die nicht jedem behagt. Auch kann man bei der Lösung der kommenden Probleme, die Geburtenrate der bildungsfernen Unterschicht, die sich überproprtional vermehrt, mit politischen Mitteln zu drosseln, und die produktive, intelleigentere Schicht zum Kinder kriegen zu bewegen, Kritik anbringen, liest sie sich doch wie ein Zuchtprogramm. Böswillig könnte man hier Paralellen zur Naziidiologie der Züchtung einer Überrasse bemühen, oder unterstellen, er reduziere menschliches Leben auf die Nützlichkeit für die Gesellschafft.
    Aber um diese Aspekte geht es eben in dem Buch garnicht! Man darf ein wissenschaftliches Buch nicht mit moralischen Maßstäben meßen!
    Am Stil Sarrazins kann man sich so sicherlich reiben. Die Fakten sind jedoch gesichert und die Analysen folgen einer mathematischen Unbarmherzigkeit, die man gerne Verdrängt. Und nach 2015 scheinen sich die Konsequenzen einer schwarz/rot/grünen Politik dramatischer zu bewahrheiten, als er es sich vor 8 Jahren ausgemalt hatte.
    Ich fand es auf jedenfall mutig, gegen den Zeitgeist zu schreiben, seiner Überzeugung zu folgen und sich der öffentlichen Brandmarkung preiszugeben!.
    Eine Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit und Armutszunahme kann auf jedenfall nicht ohne die akribisch herausgearbeiteten Daten Sarrazins stattfinden.

    Mir fiel am Ende noch der Spruch Lao-Tses ein:

    Schöne Worte sind nicht wahr
    Wahre Worte sind nicht schön

    Antworten
    • Gregor_H
      Gregor_H sagte:

      @Axel
      So ein Zufall: Ich tat das gleiche wie Sie und las vor zwei Wochen “endlich mal” Sarrazins “Deutschland schafft sich ab”.

      Mein Gedanke ab ca. der Mitte des Buches:
      Sarrazin müßte ein Update seines Buches machen und die Tabellen mit den AKTUELLEN Zahlen versehen (es sind ja inzwischen acht Jahre seit dem Erscheinen vergangen).

      Täte er dies, so mein Verdacht, würden seine Thesen wohl eindrucksvoll bestätigt werden.

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  3. SB
    SB sagte:

    „Wahnsinn.“ – Ja, aber absichtlich und geplant. So schafft man Abhängigkeiten und kauft sich auf diesem Weg Wählerstimmen.

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  4. Thomas
    Thomas sagte:

    Wenn Erklärungen komplexer Sachverhalte gegen eine gute Story antreten, wird immer letztere gewinnen bzw. präziser: mehr Exemplare verkaufen…

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    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      @ Thomas

      So ist es.

      Und am besten verkauft sich die Story, die von Gewinnern und Verlierern handelt.

      Sie verkauft sich am besten, wenn differenzierende Überlegungen über den gedanklich verkümmerten Tellerrand hinaus strikt vermieden werden.

      Was ist denn z. B. von einem System zu halten, das Ungleichheit – sogar WACHSENDE Ungleichheit – bedingt, um die Lebensverhältnisse der in der Gesellschaft am SCHLECHTESTEN Gestellten deutlich zu VERBESSERN (Rawls)?

      Ist natürlich nicht mal anzudenken, denn es darf keine Ungleichheit geben.

      Was Piketty & Co. betreiben, ist MISSBRAUCH der Wissenschaft für ideologischen Starrsinn.

      Antworten
      • Thomas
        Thomas sagte:

        @Hr. Tischer:

        >Was Piketty & Co. betreiben, ist MISSBRAUCH der Wissenschaft für ideologischen Starrsinn.

        Genau den gleichen Gedanken hatte ich auch.

        Diese Menschen haben eine Agenda oder zumindest eine Story und machen sich dann auf, die passenden Zahlen hierfür zu finden. Wenn es diese nicht griffbereit gibt, definiert man ideologie-passend und erhebt neue Daten. Besonders leicht fällt das bei Forschung zu Einstellungen, aber auch bei vermeintlich objektiven Dingen wie Reichtum ist alles eine Frage der Definition und Analysebasis.

        Dies wird dann der Bevölkerung zur Beweisführung präsentiert, von den Medien automatisiert verteilt und von den anvisierten Zielgruppen einstellungsfestigend aufgenommen.

        Pseudowissenschaftliche Influencer würde ich Autoren daher nennen.

      • Thomas
        Thomas sagte:

        Korrektur: Pseudowissenschaftliche Influencer würde ich *diese* Autoren (wie Piketty und Co.) daher nennen.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Thomas

        Ich will einen Aspekt nicht unterschlagen und damit auch ein wenig der Komplexität gerecht werden:

        Nicht bestreitbare Ungleichheit MUSS ein Thema sein, weil sie Menschen umtreibt und daher ein Faktor gesellschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten ist.

        Entscheidend ist allerdings: WIE man sie zum Thema macht und WIE man sie in Gesamtzusammenhänge einordnet.

        Die monokausale, letztlich nicht lösungsorientierte Umverteilungsforderung aufgrund von Ungleichheit ist m. A. n. destruktiv.

        Stimmen wir auch darin überein?

      • Thomas
        Thomas sagte:

        @Hr. Tischer

        Jede Form von Umverteilung hat m.E. Reibungsverluste und kann damit netto auch destruktiv werden, weil sie systematisch betrachtet:
        -beim Geber Aktionen auslösen kann, der Umverteilung zu entgehen, oder die Motivation senkt, für dies oder jenes aktiv zu werden, sich anzustrengen
        -Aufwand für die Abwicklung erfordert (beim Geber, Empfänger und der Schnittstelle, also i.d.R. Staat)
        -beim Empfänger u.U. Motivation senkt (z.B. weil der Abstand von Arbeitseinkommen zu Sozialleistungen zu klein ist)

        Wenn man vernünftig umverteilt (einfacher Prozess und nicht zu viel Umverteilung) ist der Schaden durch Motivationsänderung und Möglichkeitenverlust beim Geber + Aufwand für Umverteilung kleiner als der Nutzen durch die neuen Möglichkeiten und Motivationssteigerung beim Empfänger.

        Soweit mein Kompaktmodell. Die Bereitschaft beim Geber, sich etwas wegnehmen zu lassen, hängt dabei sicherlich auch von den Empfängergruppen / der Mittelverwendung ab. Im Detail wird es wie immer komplex.

        Um den Bogen zurückzuspannen: “Die monokausale, letztlich nicht lösungsorientierte Umverteilungsforderung aufgrund von Ungleichheit ist m. A. n. destruktiv. ”

        Solch eine nur ideologische “begründete” Umverteilung (“Nur das ist fair. Gib schon her…”)
        a) schaut nicht auf die Wirkung bei den Gebern; der wird zu Recht verstimmt sein und sich womöglich sagen “geh ich woanders hin, mache ich weniger”
        b) erhöht ggf. Bürokratie (z.B. für zusätzliche Prüfungen, weil die Geber sich wegducken)
        c) hat anschließend mehr Geld in der Staatskasse, was dann je nach Gusto mehr oder weniger sinnvoll ausgegeben wird

        Da wir nicht gerade Niedrigsteuerland sind und die Welt globalisiert ist, sehe ich insbesondere bei a) die Gefahr und zu c) ist mein Erwartung auch kein sonderlich positive basierend auf den Aktionen der Regierungen der vergangenen Jahre.

        Abstrakte Gedanken.

        Aus der Praxis: Ein Bekannter meinte einmal zu mir, dass es ihn belaste, dass die Ungleichheit wächst und er gerne bereit wäre, mehr Steuern zu zahlen. Ich habe ihn dann gefragt, warum er dieses Geld nicht direkt bei sich in der Nachbarschaft einsetzt und z.B. mehr lokal bei den kleinen Händlern einkauft, Handwerker beauftragt, den Kinderspielplatz verschönern lässt etc. Ich sah wie er ernsthaft überrascht war und er meinte “Das ist ein interessanter Gedanke… Da muss man mal drüber nachdenken.”

        Ich hab’s ihm nicht übel genommen. Aber es zeigt, wie schwach ausgeprägt ökonomisch-liberales Denken in Deutschland ist. War bei mir ja auch gar nicht vorhanden und nur dank USA-Aufenthalt und viel Lesen und Denken bin ich dahin gekommen.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Thomas

        Dank für Ihre detaillierten, differenzierenden Ausführungen.

        Sie decken sich mit meinen.

        Mit wem sollen wir so etwas diskutieren, ohne gleich als besserwisserisch abgestempelt zu werden?

        Vielleicht ist es so, wie Sie es sagen:

        Man muss einmal die „liberale ERFAHRUNG“ gemacht haben in der angelsächsischen Welt, um überhaupt einen Zugang zum Liberalismus zu finden. Ich hatte das Privileg und konnte mich zudem noch intensiv mit den ideologischen Wurzeln dieser Auffassung zur Lebensgestaltung befassen. Es war unvergleichlich bereichernd.

        Ihr Bekannter:

        Der Staat müsste ihm starke Anreize setzen, umverteilend TÄTIG zu werden. Und die potenziellen Empfänger müssten sich anstrengen, ihn zu überzeugen, dass er für ihr Anliegen Geld ausgeben sollte.

        Geht nicht in Deutschland, der Staat hätte zu wenig die Hände im Spiel, unmöglich wegen der vermeintlichen Gerechtigkeit …

    • Wolfgang Selig
      Wolfgang Selig sagte:

      @Thomas: Bitte entschuldigen Sie diese neugierige persönliche Frage: Haben Sie auch unter diesem Namen auf Tichys Einblick die Umfragen zur kommenden Landtagswahl in Hessen kommentiert?

      Wenn ja, hätte ich die Bitte, dass Sie wenigstens in Teilzeit in die Politik oder in die Medien der politischen Willensbildung gehen (so Sie es mit Klarnamen nicht schon sind…). Auf Ihrem Level spielen nicht viele Menschen und die wird unser Land in den nächsten Jahren leider brauchen. Meine ich ganz ernsthaft.

      Antworten
      • Thomas
        Thomas sagte:

        Hallo Herr Selig,

        ich habe zwar früher gelegentlich auf Tichy als “Thomas” gepostet – das ist aber schon weit über ein Jahr her. Ich lese dort auch kaum noch Artikel, weil ich mittlerweile versuche Sites zu vermeiden, die sich (allzu) negativ auf meine Stimmung auswirken und zu kreisenden Gedanken führen…

        Vielleicht muss ich doch noch einmal zum Vornamen einen Zusatz schreiben, da mein Vorname recht häufig ist. Den vollen Namen mag ich offen gesagt nicht schreiben, weil der eher ungewöhnlich ist und ich beruflich auch mit Journalisten zu tun hab. Da – denke ich – muss ich öffentlich etwas vorsichtig mit freier Meinungsäußerung sein, auch wenn ich privat zu meinen Sichtweisen stehe.

        Ich hatte jetzt einmal geschaut; ging es um die Kommentare von Thomas Hellerberger? Nein, der bin ich nicht – das Niveau an Wahrnehmungs- und Beschreibungsschärfe habe ich wohl auch nicht. Seine Kommentare sind aber hochinteressant und seine Analyse der Parteien kann ich gut nachvollziehen.

        Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich persönlich auch desillusioniert (=in der Realität angekommen) bin, was Politik und Medien betrifft. Das große Erwachen für mich persönlich war das Entstehen und die Entwicklung der AfD und der mediale und politische Umgang mit der Partei. Die Vernunft kann man wohl nur aus der zweiten Reihe und leise beisteuern.

        Abschließend noch ein Zitat vom “Original” Thomas H., auf tichyseinblick.de gefunden: “Aber mein Weg weg von der CDU, hin zu AfD heute, begann auch, als mich mein Arbeitgeber 2002 krisenbedingt feuerte. Erst als ich dann erlebte, wie schnell der Weg nach unten durchlaufen werden kann, wurde mir klar, dass das Gottvertrauen in dieses System ein Selbstbetrug ist – und wem es nützt und auf wessen Kosten. Erst dann konnte ich den Weg aus der Komfortzone gehen. Millionen von Deutschen steht diese Erfahrung noch bevor.”

  5. Ondoron
    Ondoron sagte:

    Ihre Argumente wollen die Sozialisten hören. Sie hängen an der Zentralbank, wie sie im Kommunistischen Manifest beschrieben wird, und am FIAT-Money System. Der Keynesianismus, den Sarah Wagenknecht bewundert, feiert Urständ.
    Eigentlich wird es Zeit, dass dieses ganze marode System implodiert; das wird auch kommen. Und dann? Wohl eine sozialistische Diktatur, vorangetrieben von den 68ern und deren ungebildeter Hypermoralität.
    Die Dummheit soll man nicht verachten; sie hat einen Hang zum Monumentalen!

    Antworten
    • Alexander
      Alexander sagte:

      @Ondoron

      Die Großtat des Bezahlschreibers Karl Marx war es, die vorhandene demokratische Mehrheit gegen das einzige Modell für Wohlstand der Masse zu gewinnen. Man versperrte jede Chance, wenn das Ziel verteufelt wird.
      Noch im Jahrhundert des bürgerlichen Aufstieges, dem deutschen Zeitalter der Dichter und Denker, sollte Marx die Grundlage für Herrschaftsformen legen, die bis heute das Geldwesen bestimmen. Man könnte glauben es hätte keine Aufklärung gegeben. Perfekt, false flag.

      Piketty liefert bestellte Steilvorlagen, nicht anders als Fratzscher für Berlin. Selbstreferentialität in Echokammern.

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Alexander

        Wenn schon, dann war es die Großtat von Marx, die Massen mit wissenschaftlichem Anspruch IDEOLOGISCH für eine bestimmte Gesellschaftsform zu MOBILISIEREN.

        Gewonnen für diese Gesellschaftsform hat er sie nicht.

        Noch zu seinen Lebzeiten musste er erkennen, dass die Sozialdemokraten anders als die Sozialisten lieber die Kuh melken als sie schlachten wollten.

        Sie gewannen die Massen dafür.

        Andere, u. a. Bismarck mit der Sozialgesetzgebung, trugen ihren Teil dazu bei.

        Damit war ein Modell etabliert, dass den Massen Wohlstand verschaffte.

        >…sollte Marx die Grundlage für Herrschaftsformen legen, die bis heute das Geldwesen bestimmen>

        Das ist schlichtweg Unsinn.

        Marx hat nicht die Grundlage für heutige Herrschaftsformen gelegt, weil, wie gesagt, die (seine) sozialistische Herrschaftsform – „Diktatur des Proletariats“ – nicht verwirklicht wurde in den westlichen, also bis heute maßgebenden Volkswirtschaften.

        Wenn etwas das Geldwesen bis heute bestimmt, dann ist es der bereits vor Marx entstandene Kapitalismus, der das Geldwesen auf der Basis werthaltigen, d. h. beleihbarem Eigentums nutzt und mit Hilfe staatlicher Regulierung und Institutionen – u. a. den Notenbanken – expansiv einsetzt.

      • Alexander
        Alexander sagte:

        @ Diemtar Tischer

        > Andere, u.a. Bismarck mit der Sozialgesetzgebung, trugen ihren Teil dazu bei….Damit war ein Modell etabliert, dass den Massen Wohlstand verschaffte.

        Bismarck schuf aus einem Flickenteppisch von Fürstentümern das II dt. Reich und damit die Motive anderer Hegemonialmächte eben dieses Deutschland für immer zu zerschlagen (I+II Wk). Das Reichsfinanzamt in Berlin hatte zu Bismarcks Zeiten weniger als 100 Beamte…Haupteinnahmequelle waren Zölle. Das Zusammenspiel zwischen dem Arbeiterführer Lasalle und Bismarck sollte der Reichsverwaltung durch die Einführung einer Sozialversicherung geldwerte Macht zuführen. (vgl. Niall Ferguson, der falsche Krieg).

        Zum Zwecke von Zentralmacht entmündigte Bismarck die Arbeiterschaft von jeder Selbsthilfe, was ihm ohne Zuarbeit nie gelungen wäre.
        https://ef-magazin.de/2013/05/23/4229-alternative-arbeitervereine-zu-beginn-zerstoerte-die-spd-jede-selbsthilfe .. .der nationale Sozialismus war um 1900 fertig ausgeprägt (vgl. Ludwig v. Mises Brevier)

        Bevor sie ihr wilden Urteile fällen, Herr Tischer, lesen sie das komunistische Manifest…z.B.

        5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol

        Solche Ideen entwickelte Karl Marx zu seiner Zeit am Weltfinanzplatz Nr.1, in London dem Zentrum des britischen Weltreiches (größer als Rom)

        Die Aufklärung erlaubte Eigentum, zuvorderst das Selbsteigentum und damit das Recht die eigene Arbeitskraft zu beleihen. Kredit als Treibstoff für Entwicklung (Eigentumsökonomik) wurde sogleich und rein zufällig durch Monopole eingehegt und bis zum äußersten missbraucht. Die barbarischen Austrians beobachteten nur die Deflationen ihrer Zeit…..z.B. die große (globale) Depression von 1973-1896…und mussten vor den Sozialisten ihrer Zeit ins Exil flüchten.

        Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich.
        (Mark Twain)

      • Alexander
        Alexander sagte:

        @ Dietmar Tischer
        Nachtrag, die große Depression war natürlich von 1873-1896
        https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fe_Depression_(1873%E2%80%931896)

        >Damit war ein Modell etabliert, dass den Massen Wohlstand verschaffte
        Natürlich verschafft nicht Umverteilung Wohlstand, sondern Produktivität und Massenarbeit. Je höher Qualifikation, desto mehr Wohlstand=Einkommen als Umlage für soziale Versicherungen (staatliche & private).

        Die Industrialisierung war keine Leistung Bismarcks oder wäre irgendwelchen Geburtsrechten entsprungen.

        Landflucht als Folge verlorener Bauernkriege fand statt, weil nur die Städte Perspektive für Arbeit und Bildung der Kinder boten. Keine Stadt war auf das Wachstum infrastrukturell vorbereitet, genauso wenig wie heute auf die Flucht aus der Subsahara Zone. Die Zustände waren entsprechend und nicht mangelnder Regulierung geschuldet. Kinderarbeit keine Erfindung gierigster Kapitalisten, sondern Form historischer Ausbeutung….

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