„Lasst uns aus dem Euro austreten, bevor Italien es tut“
Dieser Beitrag erschien im August 2015 bei manager magazin online und ist immer noch aktuell:
Mittlerweile dämmert es auch den glühendsten Befürwortern des Euros, dass die Idee mit der Währungsunion zu einem Bumerang für die europäische Idee geworden ist. Statt Europa zu einen, führt das straffe Eurokorsett zum Gegenteil. Die Bilanz des Projektes „Euro“ ist für alle beteiligten Länder verheerend.
Die wirtschaftlichen Folgen des Euros führen zu politischen Spannungen und letztlich brechen längst überwunden geglaubte Animositäten zwischen den Völkern wieder auf. In den Krisenländern hat das viel zu tiefe Zinsniveau nach Euroeinführung einen gigantischen Verschuldungs- und Konsumboom bei Staaten und Privaten ausgelöst. Deutliche Lohnsteigerungen ruinierten die Wettbewerbsfähigkeit.
Deutschland hingegen musste auf einen ungünstigen Wechselkurs bei Eintritt in den Euro und anfänglich zu hohen Zinsen mit Reformen reagieren, die die Binnenwirtschaft drückten und die ungesunde Dominanz des Exports weiter verstärkten. Seit Beginn der Krise profitieren wir von der Schwäche des Euros, der zugleich jedoch immer noch zu stark ist, um eine wirkliche Belebung in den Krisenländern zu bewirken. Keiner ist Gewinner des Euros. Auch Deutschland nicht, wie an dieser Stelle bereits vor Monaten erklärt. Wir sind gefangen in einem System, welches nur durch den eisernen Willen der Politik und der EZB „alles zu tun“ zusammengehalten wird.
Doch dies wird nicht ewig gelingen. Denn die Grundsätze der Wirtschaft lassen sich nicht auf Dauer aushebeln.
Ist der Euro wirklich unumkehrbar? Schäuble ist der einzige wahre Europäer.
Das Mantra der Unumkehrbarkeit des Euros ist durch die letzte Rettungsaktion für Griechenland ins Wanken geraten. Erstmals lag offen der Austritt eines Landes auf dem Tisch. Zu Recht. Der ansonsten sehr kritische englische Telegraph erkannte, dass Finanzminister Schäuble der einzige wahre Europäer gewesen sei, weil er Griechenland eine Alternative zur Fortsetzung der Dauerdepression bot. Den Ausstieg.
In der Tat wäre es für Griechenland der beste Weg gewesen, denn das Land hätte Autonomie gewonnen und den Schuldenschnitt, den es so sehr wünscht und braucht, auch bekommen. Schäuble mag die Hoffnung gehabt haben, damit den Rest der Eurotruppe enger zusammenzuschweißen. Das ist allerdings eine falsche Annahme, denn Griechenland mag zwar das lauteste Problem in der Eurozone sein, aber nicht das größte. Erinnert sei an Portugal, welches nicht weniger pleite ist, als Griechenland.
Die Eurozone hat zwei Kernprobleme: zu viele Schulden von Staaten und Privaten und eine weit auseinanderlaufende Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder. Die politische Diskussion zur Lösung dieser Probleme verläuft entlang zweier Dimensionen:
- Bekommen wir eine gemeinsame Haftung für derzeitige und künftige Schulden von Staaten und Privaten (in Form einer gemeinsamen Haftung für Banken) im Euroraum?
- Bekommen wir eine politische Union in der Form, dass die Nationalstaaten Autonomie aufgeben und Kompetenzen, vor allem im Bereich Finanzen, an Brüssel delegieren? Dies dürfte auf eine Vereinheitlichung von Steuer- und Sozialsystemen hinauslaufen.
Offensichtlich sind die beiden Dimensionen nicht immer miteinander vereinbar. Könnte man denken. Rationale Beobachter würden zwei grundlegende Optionen sehen. Gemeinsame Haftung mit Aufgabe der Autonomie ODER Autonomie und jeder haftet für sich alleine.
Haftungsgemeinschaft und Autonomie – das heißt, weiter so mit dem Geld anderer Leute
Tatsächlich versuchen Politiker in Brüssel, eine andere Option zu realisieren: Haftungsgemeinschaft bei Belassen der Autonomie. Dies ist sogar die bevorzugte Version der Politiker der Peripheriestaaten und Frankreichs, erlaubt es doch die Fortsetzung der bisherigen Politik mit dem Geld anderer Leute.
Genau dies steht auch hinter der Forderung nach einem Euro-Parlament, in dem die Empfängerstaaten über eine solide Mehrheit verfügen. Wer wissen will, wie dieses Europa aussieht, kann es den Lösungsvorschlägen der linken Vordenker Yannis Varoufakis und Thomas Piketty entnehmen. Eine gigantische Umverteilungsmaschine ohne echte Einflussmöglichkeit der Geldgeber ist das Ziel.
Die anderen Staaten werden ihre Autonomie nicht aufgeben. Deutschland dürfte dann konsequenterweise einer Transferunion nicht zustimmen, doch angesichts der völlig gescheiterten Europolitik der Regierung kann man das leider nicht ausschließen.
Die politischen Spannungen werden immer größer
Das dachten sich wohl auch die Mitglieder des Sachverständigenrates der Bundesregierung, die in dieser Woche in einem offenen Brief in der F.A.Z. vor den Folgen von fiskalischer Integration ohne Ausgabe von Autonomie warnten: Solche übereilten Integrationsschritte verletzten den Leitgedanken der Einheit von Haftung und Kontrolle.
Verweigert die Bundesregierung die Transferunion, werden wir ein entschlossenes „Weiter so“ erleben. Damit fällt die Last der Eurorettung weiterhin auf die Schulter der EZB, die immer weitergehender in die Finanzmärkte intervenieren und in immer größeren Umfang die Staatsschulden aufkaufen wird. Dies ändert jedoch nichts an den beiden Problemen der Eurozone. Die Schulden werden nicht bereinigt, die Wettbewerbsunterschiede nicht gelöst, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die politischen Spannungen werden immer größer. Spätestens bei der nächsten Rezession wird es zu erheblichen Zerfallserscheinungen im Euro kommen.
Die Euroretter verweisen gerne auf die Fortschritte in Krisenländern wie Irland, Spanien und Portugal. Dabei übersehen sie jeweils, dass in allen Ländern die Gesamtverschuldung von Staaten und Privaten deutlich gestiegen ist. Ohne eine Bereinigung dieser Schuldenlasten werden die Länder sich nicht dauerhaft erholen können.
Spanien steht noch verhältnismäßig gut da, dank deutlich gestiegener Exporte, doch selbst dort dürfte es noch mehr als zehn Jahre dauern, bis die Krise überwunden ist. Politisch ist das eine unrealistische Zeit.
Italien steht im Unterschied zu Spanien deutlich schlechter da. Die Wirtschaftsleistung liegt immer noch elf Prozent unter dem Stand vor der Krise und liegt nun auf dem Niveau des Jahres 2000. Dies ist eine noch schlechtere Entwicklung als in Japan seit dem Jahre 1990 und sogar schlechter als die Entwicklung der italienischen Wirtschaft in den 1930er-Jahren. Ein solcher Einbruch ist ohne Vorbild für eine große Wirtschaft und die Hauptursache liegt in einem nicht wieder korrigierbaren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in den Anfangsjahren des Euros.
Beppe Grillo treibt den Euro-Austritt aktiv voran – für Italien würde es sich lohnen
Beppe Grillo, Gründer und Sprecher der Cinque-Stelle-Bewegung, fordert schon lange einen Austritt Italiens aus dem Euro. Angetrieben durch die Entwicklung in Griechenland hat er einen Plan zur Rückkehr zur Lira vorgelegt. Das Ziel: die Initiative ergreifen und in einem aktiven Kampf einen Euroaustritt zu den Konditionen Italiens zu erreichen, gegen die Interessen der anderen Eurostaaten, vor allem Deutschlands.
In der Tat hat die Bank of America schon vor Jahren vorgerechnet, dass sich ein Austritt aus dem Euro für kein Land so sehr lohnen würde wie für Italien. Noch verfügt das Land über eine solide industrielle Basis im Norden. Durch eine Abwertung der eigenen Währung könnte es sofort auf den Weltmärkten wieder Fuß fassen. Da der Staat einen Primärüberschuss vor Zinszahlungen im Haushalt aufweist, ist er nicht von ausländischen Geldgebern abhängig. Die italienischen Privathaushalte haben geringe Schulden und ein höheres Pro-Kopf-Vermögen als die Deutschen. Italien könnte also sehr gut und schnell auf eigenen Beinen stehen.
Damit liegt der „Duft der Revolution“ über Europa. Sollte es zu Euroaustritten kommen, werden diese nicht geordnet ablaufen, sondern per Definition zu erheblicher Ansteckung in anderen Ländern führen. Es käme zu einer Kapitalflucht wie in Griechenland, zu erheblichen Forderungsausfällen und Bankenpleiten. Die Folge wäre ein Absturz in eine tiefe Rezession, aus der sich die Länder, die abwerten und sich entschulden können, schneller erholen als Deutschland, welches nicht nur erhebliche Forderungen, sondern über Nacht auch die Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Wer die Eurozone nüchtern betrachtet, kann nur zu der Auffassung gelangen, dass es schiefgehen muss. Die Politik hat es in den letzten sechs Jahren nicht geschafft, die Währungsunion zu vervollkommnen. Heute werden die Bevölkerungen der Euroländer den Schritt zu mehr Integration nicht mitgehen. Selbst wenn Deutschland – was leider nicht ausgeschlossen werden kann –, einer Transferunion ohne Integration zustimmt, würde es unsere finanzielle Leistungsfähigkeit deutlich übersteigen. Es würde weiter teuer Zeit erkauft, das grundlegende Problem würde jedoch nicht gelöst.
Deshalb wird es mit Sicherheit zu Euroaustritten kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Je später diese erfolgen, desto größer wird der finanzielle und vor allem politische Schaden für alle.
Wäre es da nicht besser, Deutschland würde austreten?
Ich höre schon den Sturm der Entrüstung bei diesem Gedanken. Die einen fürchten um den Frieden in Europa, weil Deutschland – wieder einmal – den Störenfried gibt. Die anderen fürchten einen Einbruch bei den Exporten und eine schwere Rezession. Dem kann ich nur entgegenhalten, dass die politischen Spannungen in Europa und die Kritik an Deutschland im Gegenteil bei der Beibehaltung eines ökonomisch nicht lebensfähigen Konstrukts viel größer werden, als bei der geordneten Abwicklung.
Den Einbruch bei den Exporten und die Rezession bekommen wir so oder so, auch hier gilt es, lieber zu unseren Konditionen zu handeln, als es von anderen Ländern aufgezwungen zu bekommen. Natürlich müsste dieser Schritt im Einvernehmen mit den anderen Euroländern geschehen und gut organisiert werden. Ein wichtiger Punkt wäre ein offizieller Verzicht auf die ohnehin uneinbringbaren Forderungen an die Krisenländer. Zugleich müssten wir die gute Haushaltslage dazu nutzen, ähnlich wie 2009 mit Steuersenkungen und Ausgabenprogrammen die Anpassung zu erleichtern. Die hohen Exportüberschüsse würden sinken, zugleich aber die Kaufkraft der deutschen Bevölkerung wachsen. Die Anpassung wäre schmerzhaft. Sie wäre aber zu organisieren.
Am Ende hätten wir ein Europa, das wieder das Versprechen der Wohlstandsmehrung für alle erfüllt und sich auf die weitere politische Integration konzentrieren kann, ohne das Korsett einer Währungsunion, das allen schadet und die politische Energie in Serien an Krisengipfeln bindet.