Der Bund hat zu viel versprochen

„Wir haben einfach kein Geld mehr“, stellte der SPD-Politiker Carsten Schneider jüngst in der ARD-Sendung „Hart aber Fair“ fest. Das ist eine Aussage, die angesichts von prognostizierten Rekordsteuereinnahmen des Bundes von 964 Milliarden Euro in diesem Jahr, 20 Prozent mehr als 2019, verwundert. Bis 2028 sollen nach Schätzungen des Finanzministeriums die Steuereinnahmen um weitere 160 Milliarden steigen.

Es liegt also nicht an den Einnahmen. Die Politik hat die Ausgaben nicht im Griff. Entsprach der Bundeshaushalt 2019 noch 9,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so werden es, wenn man den Haushaltsplan und die Konjunkturprognosen der Bundesbank zugrunde legt, 2024 gut elf Prozent sein.

Der Anteil der Sozialausgaben in einem ohnehin schon stark wachsenden Budget stieg von 51,6 Prozent 2020 auf 54,3 Prozent 2024. Und dies vor dem Hintergrund einer geringen Arbeitslosigkeit. Noch dramatischer ist die Entwicklung der Subventionen. Diese steigen laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) von 27,1 Milliarden 2020 auf 67 Milliarden Euro im laufenden Jahr.

Das ist zwangsläufige Folge einer Politik, die glaubt, Bürger und Unternehmen über Vorgaben, Subventionen und Transfers steuern zu müssen und zu können. Unterstützt von einem Beamtenapparat, der seit Beginn der Ampelregierung um 11.500 gewachsen ist.

Kein Wunder, dass die Rufe nach einer Aufhebung der Schuldenbremse lauter werden. In der Aussage von Carsten Schneider steckt deutlich mehr Wahrheit, als er vielleicht selbst erkennt. Schaut man richtig auf die Verschuldung des deutschen Staates, kommt man keineswegs zu dem Schluss, dass „Deutschlands Schuldenstand völlig unter Kontrolle“ ist, wie es der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds in der vergangenen Woche im Handelsblatt behauptete.

Sowohl das Bundesfinanzministerium als auch die EU-Kommission berichten, dass die wahre Verschuldung – Versprechen für Pensionen, Renten und Krankenversorgung eingerechnet – ein Mehrfaches der offiziellen Verschuldung ausmacht.

Deutschland hat einen großen Rückstau an Investitionen

Professor Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg rechnet vor, dass die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte einschließlich Sozialkassen bei 448 Prozent des BIP liegt. Die Zuwanderung überwiegend unqualifizierter Menschen, die spät in den Arbeitsmarkt eintreten und im Schnitt deutlich geringere Einkommen erzielen als die hier bereits lebenden Menschen, erhöht laut der Analyse Raffelhüschens die implizite Verschuldung um weitere 50 Prozent des BIP.

Hinzu kommt der Rückstau an Investitionen, den das IW auf 450 Milliarden Euro beziffert, und die Sanierung der Bundeswehr, die wohl ähnlich viel kosten wird. Darüber hinaus fallen die Kosten für Energiewende und „klimagerechte Transformation“ an. Alles in allem sind das wohl weitere 50 Prozent einer Jahreswirtschaftsleistung.

Die Diskussion zur Staatsverschuldung fokussiert also auf die Spitze des Eisbergs, auf die offiziell ausgewiesenen Schulden. Dabei liegt die eigentliche Gefahr bei den verdeckten Lasten. Mit jedem Tag rückt der Zeitpunkt näher, an dem diese Verbindlichkeiten echte Zahlungen auslösen und die Haushaltsnöte der Politik verschärfen.

Echte Reform der Schuldenbremse braucht auch eine Verbindung zu verdeckten Verbindlichkeiten

Verschiebt man diesen Zeitpunkt, indem man die Schuldenbremse jetzt schon lockert, vergrößert man das Problem. Zeigt doch die Erfahrung, dass die zusätzlichen Mittel nicht dazu verwendet werden, die künftigen Lasten zu reduzieren, sondern um Wohltaten und politische Wunschprojekte zu finanzieren.

Eine echte Reform der Schuldenbremse sollte deshalb eine Verbindung zwischen höherer Verschuldung im laufenden Haushalt und gleichzeitiger Senkung der verdeckten Verbindlichkeiten herstellen. Beispielsweise könnte die Regel lauten, dass für zehn Prozentpunkte mehr offizielle Verschuldung die verdeckte um 30 Prozentpunkte zu senken ist. Durch Reformen im Renten- und Pensionssystem, durch einen Umbau der Krankenversicherung und eine Beschränkung des Beamtentums auf wenige hoheitliche Aufgaben, um nur einige Hebel zu nennen.

→ handelsblatt.com: „Der Bund hat zu viel versprochen“, 4. Februar 2024