Der historische Fehler muss korrigiert werden

Der Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA), Fatih Birol, hat es im Gespräch mit dem Handelsblatt wie folgt auf den Punkt gebracht: „Der Ausstieg aus der Kernenergie war ein historischer Fehler. Deutschland hätte wenigstens die noch verbliebenen Atomkraftwerke am Netz lassen können.“ Historisch ist dieser Fehler allein schon deshalb, weil durch den Krieg in der Ukraine der Eckpfeiler der deutschen Energiewende, der Zugang zu billigem und sicher verfügbarem russischem Gas bereits hinfällig war.

Zeigten Studien der IEA vor dem Krieg noch, dass Strom aus Gaskraftwerken in Europa kostenmäßig auf dem Niveau der Kernenergie lag, so ist das seither nicht mehr der Fall. Wirtschaftlich war der Vollzug des Atomausstiegs damit nach dem 24. Februar 2022 nicht mehr zu rechtfertigen. Unter anderem teures Flüssiggas aus den USA schließt seither die Lücke.

Wer dachte, das sei ohne Risiken, wurde in der vergangenen Woche eines Besseren belehrt. Unter dem Vorwand des Klimaschutzes – der Transport des Flüssiggases nach Europa würde mehr Treibhausgase zusätzlich freisetzen, als die EU in einem Jahr emittiert – stoppte die US-Regierung Ausfuhrgenehmigungen für Flüssiggas.

Das ist eine wenig glaubhafte Begründung. Viel eher dürfte der Wunsch dahinterstehen, die US-Unternehmen und -Haushalte vor den perspektivisch weltweit steigenden Gaspreisen zu schützen und sich so Wettbewerbsvorteile und politische Unterstützung im Inland zu sichern. Gas, das nicht exportiert werden kann, drückt die Preise im Inland.

Für Deutschland bedeutet dies: Das Risiko strukturell höherer Gaspreise bleibt bestehen und damit der Wettbewerbsnachteil unserer Industrie. Die viel gepriesene Umstellung auf Wasserstoff verspricht keine Abhilfe.

Strom aus Atomkraft ist deutlich billiger

Im Gegenteil. Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts unterstreicht, dass Wasserstoff im günstigsten Fall rund dreimal so teuer sein wird wie Gas. Besteht man auf inländischer, grüner Produktion, ist er unbezahlbar.

Die rationale Lösung liegt auf der Hand: Es gibt keinen kostengünstigeren, CO2-neutralen Strom als den aus Kernkraftwerken, deren Nutzungsdauer durch Modernisierung verlängert wurde. Die IEA veranschlagt die Kosten pro MWh auf 30 bis 50 US-Dollar. Das ist niedriger als die Erzeugungskosten der erneuerbaren Energien.

Hinzu kommt, dass die deutschen Kernkraftwerke mit einer Auslastung von 87 Prozent zuverlässig Strom geliefert haben und damit perfekt zur Stabilisierung der Stromversorgung in einem von erneuerbaren Energien dominierten System beitragen könnten. Teure Speicher, zusätzliche Netze und Wasserstoff könnte man sich dann sparen.

Als Kurzfristmaßnahme sollten deshalb von den noch vorhandenen Kernkraftwerken in Deutschland so viele wie möglich ertüchtigt und wieder in Betrieb genommen werden. Außerdem sollten wir nicht abseitsstehen, wenn 20 führende Nationen von den USA über Frankreich bis Japan massiv in den Ausbau der Kernenergie investieren wollen, und wieder mit der Forschung und der Entwicklung neuer Kraftwerke beginnen.

Noch gibt es selbst in Deutschland Unternehmen wie das Berliner Start-up Dual Fluid, die künftige Generation von Kraftwerken entwickeln. Diese gilt es zu fördern.

Nach fast allen seit Beginn des Ukrainekriegs durchgeführten Umfragen in Deutschland ist die Mehrheit der Bevölkerung für die Nutzung der Kernenergie. Die Abschaltung der letzten Kraftwerke sah die Mehrheit kritisch. Mit CDU und FDP gibt es wichtige Parteien, die sich für die Kernkraft einsetzen. Wollen wir Industrie und Wohlstand im Land erhalten, handeln wir besser heute als morgen.

→ handelsblatt.com: „Der historische Fehler Atomausstieg kann korrigiert werden“, 11. Februar 2024