Best of 2015: „Vollgeldsystem: Island als Vorbild“
Nicht alle Leser gehen jeden Tag auf bto, was natürlich bedauerlich ist. Immerhin gibt es werktags zwei Beiträge zu aktuellen Themen aus der Wirtschaft. Deshalb zum Jahreswechsel eine kleine Auswahl der Highlights aus 2015. Bei der Sichtung habe ich festgestellt, wie zeitlos viele Beiträge sind.
Dieser Beitrag erschien im April 2015 bei Cicero.de:
In Island zeichnet sich eine Revolution ab. Im Auftrag des Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson hat eine Kommission einen Reformvorschlag für das isländische Geld und Bankwesen gemacht. Grundidee: den Banken das Recht zur Geldschöpfung zu nehmen und dieses nur noch der Notenbank zu überlassen. Ein solches Geldsystem nennt man englisch „Sovereign Money“, auf Deutsch etwas blumiger „Vollgeld“.
Der Vorschlag stammt von einem Abgeordneten der regierenden Fortschrittspartei und trägt den Titel „Ein besseres Geldsystem für Island“. Ministerpräsident Gunnlaugsson bezeichnete die Ergebnisse als „einen wichtigen Beitrag zu den bevorstehenden Gesprächen“.
Im heutigen Geldsystem können Banken beliebig viel Geld aus dem Nichts schaffen. Wenn ein Kunde einen Kredit von seiner Bank bekommt, so leiht ihm die Bank nicht die vorhandenen Guthaben von Sparern aus, sondern schreibt ihm einfach Geld auf dem Konto gut. Damit steigt gleichzeitig die Geldmenge in der Volkswirtschaft. Nur ein Bruchteil des Geldes, welches im Umlauf ist, stammt von der Notenbank, also von der EZB oder der Federal Reserve in den USA. Der größte Teil des Geldes wurde von den Banken im Rahmen der Kreditgewährung geschaffen.
Seit der Aufhebung der letzten Bindung unseres Geldes an Gold in den 1970er-Jahren hat sich die Kredit- und damit Geldschöpfung immer mehr von der realwirtschaftlichen Entwicklung entfernt. Der isländische Bericht zählt in diesem Zeitraum 147 teils folgenschwere Bankenkrisen in 114 Ländern weltweit. Das Kreditwachstum lag und liegt um ein vielfaches höher als das Wachstum der Wirtschaft, wie zuletzt auch eine Studie von McKinsey gezeigt hat.
Das Dilemma der EZB: Die Geldmenge steigt nicht
Die Notenbanken können nur indirekt diesen Prozess der Geldschaffung beeinflussen: durch die Bestimmung des Zinsniveaus und indirekt durch den Aufkauf von Wertpapieren.
Das steckt auch hinter dem heutigen Dilemma der EZB: Sosehr sie sich auch bemüht, die Geldmenge (richtiger müsste man sagen „Kreditmenge“) zu steigern, es gelingt nicht. Wenn die Banken nicht wollen oder wegen schwacher Bilanzen nicht können, kann die EZB wenig tun. Sie kann Ihnen höchstens die schlechten Aktiva abkaufen, damit Sie wieder Raum haben für neue Kredite. Denn im bestehenden System der bankengesteuerten Geldschöpfung ist die Eigenkapitalquote – selbst wenn diese nur sehr gering sein muss – die letzte Bremse.
Ist ein guter Teil des Eigenkapitals schon weg, weil die vergebenen Kredite nicht mehr bedient werden, kann die Bank nicht mehr weitere Kredite vergeben. Genau deshalb werden „alternative Instrumente“ der Geldpolitik so aktiv diskutiert. Das derzeitige Programm des Aufkaufs von Staatsanleihen hilft hierbei nicht. Banken müssen für diese ohnehin kein Eigenkapital vorhalten, weshalb die Möglichkeit Kredite zu geben, die Eigenkapital erfordern, nicht gestärkt wird. Will die EZB der Wirtschaft und den Banken wirklich helfen, wird sie um den Aufkauf zweifelhafterer Assets nicht herumkommen.
Das Bankensystem an sich wird nicht hinterfragt
Allen vordergründigen Diskussionen zu einer Reform des Bankenwesens zum Trotz ist nichts Grundlegendes geschehen, um dieses System infrage zu stellen. Alle Maßnahmen dienen dazu, die Banken bei Beibehaltung des heutigen Systems weniger anfällig für Krisen zu machen. Dabei stößt die Regulierung an ihre Grenzen: Als in Folge der Großen Depression in den 1930er-Jahren in den USA die Bankenregulierung verschärft wurde – der sogenannte Glass-Steagall-Act – genügten dafür 37 Seiten. Die heutige Regulierung, der Dodd-Frank-Act, benötigt hingegen 848 Seiten für den Versuch, die Bankrisiken zu begrenzen. Inklusive Ausführungsbestimmungen wird er auf 30.000 Seiten geschätzt. Deutlicher Beweis dafür, dass wir mit der Regulierung nicht in der Lage sind, die vielfältigen Ausweichreaktionen der Banken zu verhindern.
Konsequent zu Ende gedacht setzt eine wirkungsvolle Regulierung voraus, dass Banken bei Fehlmanagement Pleite gehen können. Solange dies nicht der Fall ist, profitieren sie von der impliziten Garantie des Staates, im Zweifel doch wieder einzuspringen. Die bisherigen Bemühungen, einen geordneten Abwicklungsprozess für Banken in Europa einzuführen, gehen zwar in die richtige Richtung. Sie bleiben jedoch angesichts von bis zu drei Billionen Euro an faulen Schulden in Europa immer nur ein Feigenblatt. Wenn es hart auf hart kommt, wird man doch die Steuerzahler zur Kasse bitten, um eine unkontrollierte Panik zu verhindern.
Es ist nicht das erste Mal in der Wirtschaftsgeschichte, dass eine Überschuldungssituation zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führt. Auf der Suche nach einem eleganten Weg kamen die Professoren Henry Simons und Irving Fisher im Jahre 1936 auf eine neue Idee: das Verbot der Geldschaffung durch die Geschäftsbanken. Die Banken dürften nur noch jenes Geld verleihen, welches sie wirklich als Einlagen in den Büchern haben. Diese Einlagen würden zu 100 Prozent von der staatlichen Zentralbank zur Verfügung gestellt. Die beiden Professoren sahen darin einen Weg, das Geld – gleich Kreditwachstum einer Volkswirtschaft – zu stabilisieren und Zyklen aus Boom und Krise zu verhindern.
Der Charme des Vorschlags liegt in der Möglichkeit, beim Übergang vom heutigen System zum System der völligen Zentralbankgelddeckung auch noch den lästigen Schuldenüberhang loszuwerden. Wie das?
- In einem ersten Schritt müssen die Banken sämtliche Ausleihungen zu 100 Prozent mit Einlagen decken. Da sie das bisher nicht tun, müssen sie sich das dazu erforderliche Geld beim Staat leihen.
- Da der Staat dann Kreditgeber und Schuldner zugleich ist (die Banken halten bereits jetzt im erheblichen Umfang Staatsanleihen), kann man eine Bilanzverkürzung vornehmen: Die Forderungen und Verbindlichkeiten werden einfach verrechnet.
- Bezieht man die nicht von Banken gehaltenen Staatsanleihen mit ein, ist der Staat ist damit schuldenfrei.
Zwei Fliegen mit einer Klappe: Finanzsystem für die Zukunft stabilisiert und Schuldenproblem gelöst? Bekanntlich wurde der Plan der Professoren aus Chicago nicht umgesetzt. Zu groß war damals schon der Widerstand der Banken. Schließlich gibt es kein profitableres Geschäft als die Produktion von Geld. Die Kosten liegen bei fast null – wohingegen die Erträge erheblich sind.
Umso interessanter, dass schon im Jahr 2012 zwei Forscher im Auftrag des IWF die Idee aufgriffen und für die heutige Zeit durchrechneten.
Das Paper ist gut geschrieben, sehr lesenswert und beinhaltet neben der Methodik einen kurzen Abschnitt zur Diskussion von Wesen und Art von Geld. Geld wurde schon immer aus Krediten geschaffen und nicht zum Zwecke der Erleichterung des Tauschs. Damit einhergehend gab es schon früh die Phänomene von Zins, Wucher und auch Eigentumskonzentration über Zeit. Dies ist unter anderem durch den prozyklischen Charakter der Kreditvergabe bedingt: In guten Zeiten gibt es Kredit im Überfluss; in schlechten Zeiten werden Kredite nicht verlängert oder nur zu sehr hohen Zinsen. Wer kennt nicht den Spruch vom Banker, der den Regenschirm bei Sonne verleiht und bei Regen wieder zurückfordert?
Eben aus diesem Grund waren Zinsverbote und Jubeljahre schon im Altertum bekannt. Kernaussage des historischen Abrisses: Die Idee von Vollgeld und staatlichem Geldmonopol ist nicht neu und hatte in der Vergangenheit prominente Unterstützer, wie Benjamin Franklin, David Ricardo und Thomas Jefferson und später der Nobelpreisträger Milton Friedman (1967).
Die Modellierung des Chicago Plans mit den heutigen Mitteln der Ökonometrie führt zu folgender Erkenntnis:
- Die Umstellung auf ein Vollgeldsystem würde funktionieren und der Nutzen sogar über dem von Fisher und Kollegen erwarteten Werten liegen.
- Im Fall der USA würde es sogar eine teilweise Tilgung der privaten Schulden ermöglichen, da der Finanzsektor in Summe Verbindlichkeiten von rund 200 Prozent des BIP hat. Gleiches gilt erst recht für Europa, wo der Bankensektor noch viel aufgeblähter ist.
- Die Forscher erwarten mittelfristig gar eine Stärkung der Wirtschaftsleistung der USA um zehn Prozent (geringere Realzinsen, weniger Besteuerung, geringere Kosten der Kreditüberwachung, weil weniger zweifelhafte Kredite vergeben werden) und keinerlei Beeinträchtigung der Kernfunktion des Bankensektors: der effizienten Verteilung von Krediten.
Letztlich kann man sagen, dass es sich um eine „Monetarisierung“ der bestehenden Schulden handelt. Das muss keineswegs inflationär sein, da Inflation sich nur aus einer Mehrnachfrage und damit letztlich Kreditwachstum ergibt. Ohnehin läuft die derzeitige Strategie der Notenbanken über den Aufkauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren, im Fachjargon „Quantitative Easing“ genannt, auf eine Monetarisierung hinaus.
Diese wird von anerkannten Experten wie Adair Turner, dem ehemaligen Vorsitzenden der englischen Finanzmarktaufsicht, seit Jahren gefordert und demnächst in Japan wohl ausprobiert. Auch Martin Wolf, Chefökonom der Financial Times, spricht sich für einen Systemwechsel aus.
Die offene Frage bleibt, ob ein solches System das Vertrauen der Bevölkerung genießen würde. Voraussetzung ist, dass der Staat mit der nun gegebenen Möglichkeit der monopolisierten Geldschaffung vorsichtig umgeht. Zu groß ist die Gefahr, dass die Politik der Versuchung nicht widerstehen wird, durch großzügiges Geldmengenwachstum Scheinblüten zu erzeugen und damit die Krisen noch zu vergrößern.
Diesem Argument halten die Autoren des IWF-Papiers zwei Punkte entgegen. Erstens könne man in einem Vollgeldsystem die Geldpolitik nicht Kriminellen überlassen, die wie der Schotte John Law in Frankreich zwischen 1717 und 1720 überteuerte Aktien für vermeintliche Goldminen in der Kolonie Louisiana ausgab, wo sich tatsächlich nur Sümpfe und Alligatoren fanden. Zweitens könne und sollte man in einem Vollgeldsystem keine Kriege führen, geschweige denn verlieren. In beiden Fällen ist das Wachstum der Geldmenge viel zu hoch und eine Entwertung die zwangsläufige Folge.
Ich finde, dass es sich zumindest lohnt, diesen Weg genauer anzuschauen. Vielleicht ist es der schmerzfreieste Weg aus der Situation der völligen Überschuldung?
Island ist mit den Gedanken nicht allein. In der Schweiz wird eine Volksabstimmung zu diesem Thema vorbereitet. Die Unterstützer kommen aus allen politischen Richtungen und argumentieren ähnlich wie die Wissenschaftler des IWF und Irving Fisher mit einer einmaligen Entschuldung des Staates, mehr Finanzstabilität und der Sozialisierung der Geldschöpfungsgewinne, die heute vor allem bei den Privatbanken anfallen. Bei einem Wirtschaftswachstum von ein Prozent läge dieser in der Schweiz demnach bei sieben Milliarden Franken pro Jahr. Wenn man das auf die Bundesrepublik skaliert, entspräche dies rund 40 Milliarden Euro.
Unabhängig vom Ausgang sind die Initiativen in Island und der Schweiz ein ermutigendes Signal. Dass so fundamentale Fragen der Wirtschaftsordnung breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Es wird Zeit, dass das Thema auch in die deutsche politische Diskussion Eingang findet.
Dieser Beitrag erschien auch bei Cicero online:
→ Cicero online: „Vollgeldsystem: Island als Vorbild“, 8. April 2015