Best of 2015: „‚Unten links‘ – die deutsche Euro-Politik krachend gescheitert“

Nicht alle Leser gehen jeden Tag auf bto, was natürlich bedauerlich ist. Immerhin gibt es werktags zwei Beiträge zu aktuellen Themen aus der Wirtschaft. Deshalb zum Jahreswechsel eine kleine Auswahl der Highlights aus 2015. Bei der Sichtung habe ich festgestellt, wie zeitlos viele Beiträge sind. 

Dieser Beitrag erschien im Juli bei manager magazin online:

Nun steht es also fest: Die verfehlte Eurorettungspolitik geht in die nächste Runde. Zu spät hat die deutsche Regierung versucht, die Notbremse zu ziehen. Der Versuch ist gescheitert, der Druck war schlichtweg zu groß. Die Griechen bekommen mehr Geld im Gegenzug für erneute Reformversprechungen, deren Einhaltung nicht viel wahrscheinlicher ist als in den vergangenen Jahren. Die 50 Milliarden an angestrebten Privatisierungserlösen sind eine reine Luftnummer.

In Paris und Rom dürften die Korken knallen. Die heutigen Entscheide sind der endgültige Dammbruch in der Europolitik, der den deutschen Steuerzahlern in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch enorm teuer kommen wird. Der Weg in die Transferunion ohne ernsthafte Gegenleistungen ist damit frei.

Der Schaden, der nun eintritt, ist die direkte Folge einer von Anfang an zum Scheitern verurteilten Politik. Im Versuch, dem eigenen Wahlvolk die wahren Dimensionen der Eurokrise und die zu erwartenden Kosten zu verheimlichen, hat die deutsche Regierung in den letzten fünf Jahren den Schaden potenziert. Im Beraterdeutsch würde man sagen, die Europolitik von Schäuble und Merkel „ist unten links“.

Berater lieben es, Problemstellungen in einer einfachen Matrix mit vier Feldern darzustellen. Die Achsenbeschriftung wird dann so gewählt, dass die beste Alternative oben rechts positioniert ist, die Alternativen mit Vor- und Nachteilen entweder oben links oder unten rechts. Die Alternative, die man auf keinen Fall nehmen sollte, ist die unten links. Diese hat nämlich keine Vorteile, sondern nur Nachteile. Und hier befindet sich Deutschland nun nach fünf Jahren verfehlter Europolitik.

Lassen Sie uns zunächst die Ausgangslage im Jahre 2010 in Erinnerung rufen und die Achsenbeschriftung definieren.

Bereits 2010 war offensichtlich, dass die Einführung des Euro ein großer ökonomischer Fehler gewesen ist, der zu einem schuldenfinanzierten Konsum- und Investitionsboom geführt hat. Die Schuldenlast von Ländern wie Irland, Portugal, Spanien und Griechenland war bereits damals untragbar. In Italien und Frankreich zeichneten sich die Probleme der Staatsschulden deutlich ab. Schon damals hätte man sich an einen Tisch setzen können und müssen, um diese Schulden in einem geordneten Prozess zu bereinigen und zugleich die Frage zu klären, ob das Korsett des Euro, das jegliche Anpassung innerhalb Europas nur noch über einen langjährigen, schmerzhaften Prozess der „internen Abwertung“ verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit zulässt, wirklich für alle passt. Dies hat man nicht getan. Stattdessen hat man auf Zeit gespielt.

In diesem Spiel ging es aus deutscher Sicht letztlich um zwei Dimensionen: die Minimierung des finanziellen Schadens auf der einen Achse und des politischen Schadens – gemessen an der Akzeptanz und Beliebtheit Deutschlands in Europa – auf der anderen Achse.

Oben rechts wäre in diesem Bild eine Lösung, die politische Sympathien und Einfluss bringt und die finanziellen Kosten gering hält. Unten links eine Lösung, die sehr teuer ist und zugleich den politischen Einfluss und die Akzeptanz Deutschlands in Europa reduziert. Zielsicher haben wir uns in dieses Feld manövriert.

2010 hätten wir noch die Möglichkeit gehabt, den finanziellen Schaden zu begrenzen. Dazu hätten wir

  • uns eingestehen müssen, dass wir in einer Schuldenunion leben, in der ein immer größerer Teil der Schulden nicht mehr bedient werden kann, was zwangsläufig zu Verlusten bei den Gläubigern – also uns! – führt.
  • eine Strategie wie im Rahmen einer normalen Unternehmensinsolvenz verfolgen müssen. Die Schulden restrukturieren, um damit wenigstens einen guten Teil der Forderungen zu retten.
  • einen Schuldentilgungsfonds schaffen müssen, wie bereits vom Sachverständigenrat der Bundesregierung angeregt. Allerdings ergänzt um die faulen privaten Schulden, die eine Rekapitalisierung des europäischen Bankensystems erforderlich machen. Dieser Schuldenpool hätte eine Größenordnung von rund drei Billionen Euro gehabt, mit gemeinsamer Haftung aller Euroländer, einer gemeinsamen Finanzierung und solidarischer Tilgung. Die Kosten für Deutschland hätten dann realistisch bei 500 Milliarden Euro gelegen.
  • auf prozyklisches Sparen verzichten müssen. In einer Überschuldungssituation verschärft man so nur die Wirtschaftskrise und unterminiert die Schuldentragfähigkeit nur noch mehr.
  • im Gegenzug für unsere Solidarität Reformen der EU-Institutionen einfordern müssen, statt Reformen in den jeweiligen Ländern, die immer als Einmischung von außen verstanden werden.

Der Charme einer solchen Lösung ist offensichtlich: Man beschränkt sich auf die Bereinigung der Altlasten und eine Reform der Institutionen. Mit Letzterem hätte man eine Wiederholung der Krise weitgehend ausschließen können. Vor allem hätte man keinen Freibrief und keine Haftungsgemeinschaft für die Zukunft etabliert. Zugleich hätten die anderen Länder selbst über den Reformweg entscheiden können und müssen, ohne Einmischung von außen. Deutschland wäre der großzügige und konstruktive Partner gewesen, der die Eurokrise gelöst hat. Mit diesem Pfund hätten wir wuchern können.

Bekanntlich haben wir das nicht getan. Stattdessen haben wir im großen Stil private Gläubiger durch staatliche Gläubiger ersetzt, auf drastischen Sparmaßnahmen in den Krisenländern bestanden und uns in die Ausgestaltung derselben eingemischt. Statt es den dortigen Politikern zu überlassen, ihre Länder wieder auf Kurs zu bringen, haben wir uns als Sündenböcke angeboten, mit denen und gegen die sich bestens Politik machen lässt. Man denke nur an die Plakate in den Wahlkämpfen in den Krisenländern, die nicht gerade ein positives Bild von Deutschland entwerfen. Diese Entfremdung geht so weit, dass amerikanische Nobelpreisträger in Beiträgen in der New York Times davon sprechen, dass Deutschland Griechenland zum zweiten Mal in einem Jahrhundert zerstört habe!

Natürlich ist das Blödsinn. Genauso wie das Gerede von dem vermeintlichen Eurogewinner Deutschland. Wie früher an dieser Stelle erläutert, ist Deutschland keineswegs der Gewinner des Euros. Gesamtwirtschaftlich haben wir bei objektiver Betrachtung erheblich an Wohlstand verloren. Es zeigt aber, wie groß die Spannungen bereits sind und wie diese in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen werden. Die Dämonisierung Deutschlands als böse Hegemonialmacht findet immer breitere Zustimmung. Ein Blick in die Kommentare von heute genügt, ganz zu schweigen vom Shitstorm, der sich in den sozialen Medien über uns ergießt.

Doch nicht nur die politischen Sympathien haben wir verspielt. Wir haben auch die Kosten des Euro für uns maximiert. So sind die Schulden seit 2010 in allen Krisenländern deutlich gestiegen. Würden wir heute einen Schuldentilgungsfonds auflegen, dürfte die Größenordnung eher bei fünf Billionen Euro liegen. Wir haben auch keine Möglichkeit mehr, eine Sozialisierung nicht nur der vergangenen, sondern auch der künftigen Schulden zu verhindern. Wie hier schon in der letzten Woche gemutmaßt sind die Griechen keineswegs alleine mit ihrem Wunsch. Italien und Frankreich wünschen sich nichts mehr als eine völlige Schuldensozialisierung und eine Transferunion in Europa. Die EZB soll die Finanzierung übernehmen und ein Europarlament, in dem die Transferempfänger zwangsläufig die Mehrheit haben, die Ausgaben bestimmen.

Damit sind wir auf dem Weg in eine massive Umverteilung auf europäischer Ebene. Unser angeblicher Nutzen durch Exporte entpuppt sich nun als das, was es ist: ein Subventionsprogramm für die Exportwirtschaft, welches wir letztlich selbst bezahlen. Alle Versuche, die Wirtschaftspolitik in den anderen Ländern zu mehr Solidität zu verändern, werden zu noch mehr politischen Abwehrreaktionen führen. Hohe finanzielle Kosten und maximaler politischer Schaden sind also das Ergebnis der deutschen Europolitik.

Natürlich kann so nur ein rationaler Bürger argumentieren, kein Politiker. Die Matrix, die ich oben skizziert habe, gilt aus ökonomischer Sicht desjenigen, der die Kosten zu tragen hat. Für die Politiker sind diese Kosten zweitrangig. Die politische Matrix ist eine andere: Die eine Dimension ist die Minimierung des kurzfristigen politischen Schadens für den agierenden Politiker, die andere die größtmögliche Verzögerung des langfristigen politischen Schadens. Mindestens so lange, bis der Nachfolger sich um das Problem kümmern muss.

Nach diesem Prinzip haben noch alle Politiker gehandelt. So war im Jahre 2010 der politische Entscheid klar. Aus Angst vor der Rache der Wähler wurde alles getan, um die Kosten der Eurorettung zu verschleiern und damit kurzfristig eine gute politische Stimmung zu erhalten. Verbunden wurde dies mit der Hoffnung, dass sich die Krise durch ein Wunder löst oder aber es lange genug gut geht. Beides wurde nun enttäuscht. Mit dem heutigen Entscheid wird der Marsch in die falsche Richtung noch schneller fortgesetzt.

Die gute Nachricht für die Regierung ist, dass weite Teile der Bevölkerung ohnehin nicht mehr durchblicken angesichts der Milliarden, die über die verschiedensten Institutionen verschoben werden. Doch spätestens, wenn Irland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich auch die Hand aufhalten, wird auch dem Letzten klar werden, welchen hohen Preis wir alle für die politische statt der ökonomisch vernünftigen Lösung bezahlen. Dann aber entschieden zu spät.

→ manager magazin.de: „‚Unten links‘ – die deutsche Euro-Politik krachend gescheitert“, 13. Juli 2015