„Am Dollar hängt doch alles – auch Öl(aktien)“
Nicht Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis für Öl, sondern die globale Geldpolitik. Wenn das stimmt, sind Ölaktien reine Währungsspekulation. Zeit, auszusteigen?
Jede Woche einen Kommentar zur Geldanlage zu schreiben, ist eigentlich eine komische Idee. Vor allem, wenn man wie ich davon überzeugt ist, dass wenige strategische Weichenstellungen für den langfristigen Anlageerfolg weitaus wichtiger sind als kurzfristiges Handeln, die Auswahl einzelner Aktien und vermeintliche Tipps. Deshalb verweise ich regelmäßig auf die Notwendigkeit einer Diversifizierung über Anlageklassen und Regionen hinweg und dies zu möglichst geringen Kosten. Letzteres setzt neben der Wahl der richtigen Bank auch einen Verzicht auf unnötiges Handeln voraus.
Trotzdem bin ich im letzten November von meinen selbst gewählten Grundsätzen abgewichen und habe das Pro und Contra einer Anlage in Ölaktien – und konkret in den Aktien von Shell – diskutiert. Auslöser war neben dem bereits stark gefallenen Kurs und dem tiefen Ölpreis die Tatsache, dass ich die Aktie selber in meinem Portfolio halte und ich mir die Frage gestellt habe: verkaufen oder nicht? Nach Diskussion der Gründe für Verkauf (Ende des Ölzeitalters, dauerhaft tiefer Ölpreis) und Halten (Öl werden wir noch lange brauchen, erhebliche Kostensenkungspotenziale in der Branche, Shell einer der besten Werte, hohe Dividende, die zudem seit 1945 nie gesenkt wurde) kam ich dann zum Schluss, die Aktie zu halten und eventuell sogar zuzukaufen.
Letzteres war zum damaligen Zeitpunkt jedoch keine gute Idee. Notierte die Aktie am 5. November noch bei 23,34 Euro erreichte sie den (vorläufigen) Tiefpunkt erst Mitte Januar 2016 mit 16,69 Euro. Ein gutes Beispiel dafür, dass man sich als Kolumnist nicht allzu weit aus dem Fenster legen sollte und zugleich dafür, dass das mit dem Timing an der Börse so eine Sache ist. Gelingt es doch den wenigsten, den Markt zu schlagen. Mir auch nicht.
Mittlerweile steht die Aktie von Shell wieder fast auf dem Niveau vom November letzten Jahres, wenn man die im Februar gezahlte Quartalsdividende mit einrechnet. Stellt sich für mich wiederum die Frage, ob ich die Aktie jetzt aus dem Portfolio werfen sollte. Schließlich habe ich gesehen, dass es noch viel tiefer gegangen ist, und von der Erholung des Ölpreises in den letzten Wochen hätte ich jetzt schon profitiert. Und ob er weiter steigt, ist mehr als fraglich, da sich doch keiner der fundamentalen Faktoren geändert hat: China kämpft weiter mit einer deutlichen Konjunkturabschwächung, Saudi Arabien will dem Iran das Geschäft vermiesen und zugleich den Weltmarktanteil und vor allem den wichtigen chinesischen Markt gegen Russland verteidigen. Der technologische Fortschritt macht die Alternativenergien auch ohne Subventionen wettbewerbsfähig.
Warum ist der Ölpreis überhaupt gestiegen, fragt man sich da. Bei meiner Suche nach einer Antwort bin ich auf einen interessanten Aufsatz von Ben Hunt gestoßen. Darin zeigt der Investmentmanager unter anderem ein beeindruckendes Bild von der Korrelation des handelsgewichteten Kurses des US-Dollars mit dem Preis für ein Barrel Öl. Die Korrelation liegt bei minus 0,96 Prozent! Will heißen: Steigt der gewichtete Kurs des US-Dollars, fällt der Ölpreis und umgekehrt. Von Anfang 2014 bis zum Januar 2016 zeigt das Chart einen steigenden US-Dollar und einen fallenden Ölpreis. Seither hat sich die Entwicklung umgekehrt. Der Dollar fällt und der Ölpreis steigt völlig losgelöst von Produktions- und Nachfragemengen. Das ist zumindest interessant.
Hunt erklärt dies zum einen mit der Tatsache, dass Öl weltweit nachgefragt wird und deshalb eigentlich ein Währungskorb für den Preis herangezogen werden müsste, zum anderen mit der Politik der relativen Währungsabwertung, wie sie gerade von Japan und der EZB in den letzten Jahren betrieben wurde. Die Eskalation in einen Währungskrieg wurde beim G20 Gipfel in Shanghai gerade noch verhindert. Zu groß war die Gefahr, dass die Chinesen nun ihrerseits in den Wettlauf einsteigen. Da sie bisher den Yuan recht eng an den Dollar binden, war es die elegantere Lösung, gemeinsam zu akzeptieren, dass der US-Dollar schwächer wird. So ließen EZB und Bank of Japan eine Dollarabwertung zu, und die US-Notenbank hat mit ihrer faktischen Absage an weitere Zinserhöhungen einen Rückgang des US-Dollars befördert. Gute Nachrichten nicht nur für Ölproduzenten, sondern auch für die hoch in US-Dollar verschuldeten Schwellenländer. Das zeigt Hunt mit einer ebenfalls beeindruckenden Korrelation von minus 0,89 zwischen besagtem handelsgewichteten Dollar und dem MSCI Emerging Markets ETF.
Bliebe diese Korrelation auch in Zukunft bestehen, wäre die Anlageentscheidung zu Shell faktisch eine Spekulation auf den Wechselkurs des US-Dollars. Schwächt er sich weiter ab, dürfte der Ölpreis und damit auch Ölaktien weiter zulegen. Kehrt die Stärke des US-Dollars zurück, wäre es jetzt wirklich an der Zeit, sich von der Branche zu verabschieden. Der eben zitierte Hunt ist da recht nüchtern. Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir zu einer neuen Runde im globalen Währungskrieg ansetzen.
Auch ich halte die Runde kompetitiver Währungsabwertungen noch nicht für beendet. Die ungelöste Schuldenkrise, die sich immer mehr in die Realwirtschaften des Westens hineinfrisst, lässt kaum eine andere Wahl. Es ist – politisch betrachtet – für Notenbanken und Politiker allemal attraktiver, über einseitige Abwertung zum Beispiel des Euro einen zumindest temporären Vorteil im globalen Wettbewerb zu erzielen, anstatt infolge international abgestimmten Wohlverhaltens die eigene Volkswirtschaft zu schwächen.
Hinzu kommt, dass im Szenario einer erneuten globalen Rezession – nicht so unwahrscheinlich angesichts von Schuldenlast und Unterinvestition – die Furcht vor einem massiven Abgleiten in eine Deflation umgehen wird. Diese aber würde zu einer Flucht in den US-Dollar – und natürlich vor allem Gold – führen, da dieser unter den großen Währungen noch relativ am besten dasteht. In diesem Szenario kämen alle Rohstoffwerte, für die die genannte US-Dollar Abhängigkeit ebenfalls gilt, massiv unter die Räder.
Bleibt nur die Frage nach dem Timing. Wechselkursprognosen sind schon ohne die Marktmanipulation der Notenbanken kaum möglich. Dies gilt heute also erst recht. Der einzige Indikator ist m. E. die Euphorie der Marktteilnehmer. Als fast alle erwarteten, dass es in den kommenden Monaten zu einem Euro/US-Dollar Kurs von 1:1 kommt – Sie erinnern sich? – war der Zeitpunkt gekommen, dagegen zu spekulieren. Noch sind keine Abgesänge auf den Dollar zu hören, könnte die Schwäche also noch etwas andauern. Zeit, die wir nutzen sollten, das eigene Portfolio auf einen wieder schwächeren Euro und stärkeren Dollar einzurichten, meint nicht nur Ben Hunt.
→ WiWo.de: „Am Dollar hängt doch alles – auch Öl(aktien)“, 19. Mai 2016