Am Brexit-Theater verdienen nur die Broker

Aufgrund der Aktualität ausnahmsweise heute auch bei bto und nicht wie üblich am Montag. Mein Kommentar für die wiwo.de:

Ein wahres Trommelfeuer an Analysen und Artikeln zum Brexit ist über uns niedergegangen. Heute ist endlich Schluss damit. Denn genutzt hat es nur den Banken, die ihre Kunden zu unnötigem Handeln getrieben haben. Wieder einmal gilt: Außer Spesen, nichts gewesen.

Wenn ich morgen früh in die Maschine von Berlin nach London steige, steht das Ergebnis vielleicht schon fest. Spätestens wohl am Nachmittag. Dann werde ich Zeuge der emotionalen Reaktionen auf den Straßen Londons. Sei es, dass bei einem „remain“ die einen ihrer Enttäuschung Luft machen und die anderen sich verhalten freuen; sei es, dass bei einem „leave“ die einen jubeln und die anderen ihre Angst zeigen vor den Folgen.

In beiden Szenarien gilt, dass dieses Referendum ein entscheidendes Datum für die weitere politische Entwicklung Europas sein wird. Doch wie hier schon ausführlich erläutert, dürften die wirtschaftlichen Folgen geringer sein als befürchtet, und die eigentlichen Probleme Europas – die Überschuldung vieler Länder, das starre und dysfunktionale Korsett des Euro und die fehlende Antwort auf eine Migrationskrise historischen Ausmaßes –bleiben davon unberührt. Die Krise des Euros und Europas brodelt weiter, nur notdürftig unterdrückt von der EZB, der das Bundesverfassungsgericht praktischer Weise erst vor zwei Tagen einen faktischen Freibrief ausgestellt hat.

An den Finanzmärkten hat sich das Gespenst des Brexit schon vor dem heutigen Tag verflüchtigt. Sobald die Umfragewerte wieder in Richtung „remain“ gedreht hatten, konnten sich die völlig überverkauften Märkte – wie erwartet – erholen und ein bisschen von dem vorwegnehmen, was ich für die verschiedenen Szenarien vorhergesagt habe.  Die Trading-Empfehlung, die ich an dieser Stelle vor zwei Wochen gegeben habe gilt für morgen noch immer: Im Falle eines Brexit eine Position in Pfund und englischen Qualitätsaktien aufbauen, denn mittel- bis langfristig sind die Chancen gut.

Dabei dürfen wir natürlich nicht vergessen, dass wir uns in einem angespannten Umfeld bewegen. Der Brexit war nur ein Aufhänger für die Märkte, Risiko abzubauen und zu konsolidieren.  Wie letzte Woche diskutiert, liegt gerade in den mit viel Schulden gehebelten Finanzmärkten der eigentliche Grund für die zunehmende Volatilität .

Diese Unsicherheit bleibt bestehen, mit oder ohne Brexit. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis andere Themen wieder zu ähnlichen Verwerfungen führen. Erhöht die Fed die Zinsen nun doch? (Stelter: nein), crasht China und wir gehen mit unter? (Stelter: noch nicht), gewinnt Madame le Pen die Präsidentschaftswahlen (Stelter: nein). Themen über Themen, die im Niedrigzins- und Niedrigertragsumfeld der Eiszeit die Volatilität erhöhen. Profitieren von dieser Unsicherheit tut nur die Bank. Volatilität treibt zum Handeln; wenn niemand handelt, verlieren die Banken eine weitere Ertragsquelle. Also gibt es nichts Schöneres als Krisen, mit denen die Banker den Kunden Sorgen machen können.

„Hin und her macht Taschen leer“, wissen die Profis. Nur äußerst selten gelingt es Privaten, Kauf und Verkauf so zu timen, dass nach Spesen ein positiver Ertrag heraus kommt. Empirisch gesehen verkaufen Privatanleger in den fallenden Markt hinein und verpassen dann den Wiedereinstieg. Am schlimmsten wirkt sich dies in Extremsituationen aus. Beispielsweise im Oktober 2008, als der S&P 500 im Zuge der Lehman Pleite um 16,8 Prozent fiel. Die meisten Investoren verkauften in den fallenden Markt und verpassten die Rally am Monatsende, weshalb sie nach einer Studie des Analyseinstituts Dalbar mit 24,2 Prozent deutlich größere Verluste realisierten. Ähnlich war es beim Crash im Oktober 1987, während der Asienkrise im November 1997 und der Russlandkrise vom August 1998. Genauso wird es auch in Zukunft sein.

Timing bleibt etwas für Spekulanten, nicht für die langfristige Mehrung des Vermögens. Hinzu kommt, dass man gegen die echten Profis wettet, die nicht selten einen Informationsvorsprung haben. Im Falle des Brexit geht das Gerücht, dass große Fonds eine eigene Befragung der Wähler planen, um so vor der Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse basierend auf einer eigenen Hochrechnung zu handeln.

Aus strategischer Perspektive ist es wichtiger, sein Portfolio so auszurichten, dass es gegen starke Ausschläge in die eine oder andere Richtung, an dem einen oder anderen Markt gerüstet ist. Das ist weit weniger spannend als das schnelle Reagieren auf Panik, dafür schläft man besser und erzielt höhere Renditen. Und wenn die Banker die sprichwörtliche nächste Sau durchs Dorf treiben – einfach Augen, Ohren und Nase zuhalten!

WirtschaftsWoche online: Am Brexit-Theater verdienen nur die Broker, 23. Juni 2016