Transferunion, wir kommen!
Henrik Müller zeigt in seiner Kolumne bei SPIEGEL Online, wohin die Reise geht: in Richtung deutliche Inflation und dies ungebremst von der Notenbank. Wie praktisch, dass der Krieg den Vorwand schafft, die letzten Grundlagen für eine stabile Währung abzuschaffen und vor allem auch die von Frankreich immer schon angestrebte Schulden- und Transferunion zu ebnen. Traurig, dass wir uns so einfach in eine solche Situation ziehen lassen. Böse Stimmen meinen gar, es sei kein Zufall, dass die Konferenz dazu in der vergangenen Woche in Versailles stattfand.
- „Funktionierendes Geld heißt: niedrige Inflation, stabile Finanzmärkte. Die allgemeine Preissteigerung sollte die Einkommen der Bürger nicht auffressen; Banken sollten nicht Pleite gehen, Staaten sollten sich finanzieren können. Wenn das gewährleistet ist, sollte sich die reale Wirtschaft ungestört durch monetäre Störungen entwickeln können.“ – bto: Wenn dies das Kriterium ist, haben wir schon lange kein „funktionierendes Geld“ mehr, denn von stabilen Finanzmärkten kann seit Jahren nicht die Rede sein. Sie sind nichts anderes als von Zentralbanken aufgeblähte Blasen.
- „Selten war die Unsicherheit über die weitere Entwicklung so groß wie heute. Noch nie seit Bestehen der Währungsunion war die Inflation in der Eurozone so hoch. Was sollten Lagarde & Co. jetzt tun? Was kann man von ihnen erwarten?“ – bto: Generell kann man nicht viel erwarten, denn das Problem haben sie schon vor langer Zeit geschaffen.
- „Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die daraufhin verhängten Sanktionen sind ein massiver Stresstest für die Weltwirtschaft, der sich unmittelbar in drastischen Preissteigerungen niederschlägt. Gas, Öl, Weizen, Industriemetalle und viele andere Rohstoffe werden knapp und teuer, weil Russland und die Ukraine als bedeutende Exporteure weitgehend ausfallen. Wie genau sich dies in internationalen Wertschöpfungsketten auswirken wird, ist bislang kaum vorherzusagen. Klar ist nur so viel: Lieferengpässe, die schon im Zuge der Pandemie im vorigen Jahr für allerlei Verspannungen gesorgt haben, werden gravierende Ausmaße annehmen.“ – bto: Dem ist nichts hinzuzufügen.
- „Es sieht so aus, als ob die Wirtschaft vor dem größten ‘Angebotsschock’ seit dem Zweiten Weltkrieg steht. Die Ölkrisen der 1970er-Jahre nehmen sich dagegen wie Kleinigkeiten aus.“ – bto: Wenn das so ist, bekommen wir deutlich eine zweistellige Inflation.
- „Die Folge damals war ein kräftiger, anhaltender Inflationsschub, der in vielen westlichen Ländern für zweistellige Preissteigerungsraten sorgte. In der Bundesrepublik fiel der Anstieg schwächer aus, weil die Bundesbank entschlossen dagegenhielt, doch auch hierzulande war der Preisauftrieb spürbar.“ – bto: Die EZB wird sicherlich nicht entschlossen dagegenhalten.
- „Unter friedlichen Umständen wäre es für die EZB nun längst an der Zeit, die Geldpolitik zu normalisieren: aus den Anleihekäufen auszusteigen und allmählich die Zinsen anzuheben. Eine Lehre der 70er-Jahre wäre, nicht panisch auf die steigenden Energiekosten zu reagieren, sondern angemessen gegenzusteuern. Dabei sollten sich die Notenbanken von der ‘Kerninflation’ leiten lassen, eine Größe, bei der die ständig schwankenden Preise für Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet werden, weil eine Notenbank daran ohnehin wenig ändern kann.“ – bto: Genau das hätte die EZB auch ohne Krieg nicht gemacht – wie damals ihre Vorgängerbanken in Frankreich und Italien.
- „Diese Kerninflationsrate ist im Euroraum zuletzt auf 2,7 Prozent gestiegen. Das ist nicht dramatisch, zeigt aber, dass sich die Lieferengpässe der Vergangenheit inzwischen in der Breite der Verbraucherpreise niederschlagen. Diese Effekte einzudämmen und zurückzudrängen ist der Job einer Notenbank. Indem sie die Kreditbedingungen verteuert und die Zinsen nach oben schleust, dämpft sie die Nachfrage und damit die Preisdynamik.“ – bto: Sie dämpft die Wirtschaft und genau das ist nicht gewollt. Hinzu kommen die Risiken für die Vermögensmärkte.
- „Eine solche Straffung nach Lehrbuch fiel der EZB schon vor der Zuspitzung in der Ukraine nicht leicht – wegen der hohen Verschuldung einiger Eurostaaten, die rapide steigende Zinsen empfindlich treffen würden. Seit dem 24. Februar, dem Beginn der russischen Invasion, hat jedoch eine neue Zeitrechnung begonnen.“ – bto: Das mag sein, eigentlich ist es nur eine höchst willkommene Möglichkeit, um von den eigenen Fehlern der Vergangenheit abzulenken.
- „In einer Zeit, in der es um die Selbstbehauptung Europas geht, wird realistischerweise nicht mehr der Zwei-Prozent-Zielwert der EZB für die Inflationsrate im Mittelpunkt stehen. (…) Vielmehr rücken existenzielle Fragen in den Fokus. Es geht darum, Millionen Flüchtlinge zu unterstützen; die militärischen Kapazitäten der europäischen Staaten zu stärken, insbesondere an der Nato-Ostgrenze; die Energieversorgung für die gesamte EU aus außerrussischen Quellen sicherzustellen; die verhängten Sanktionen durchzusetzen und Gegensanktionen abzufedern, auch in anderen EU-Staaten, die besonders stark davon betroffen sein werden (…).“ – bto: Das mit der „Selbstbehauptung“ galt ja auch schon bei der „Eurorettung“ und nun also als Freibrief für billiges Geld. Klartext: Die vor uns liegende deutliche Inflation dient einem guten – weil europäischen – Zweck. Wie wir wissen, ist der Weg zur Hölle gepflastert mit guten Absichten. Auch hier wird die absichtlich befeuerte Inflation und die damit verbundene Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die soziale Stabilität und den Zusammenhalt im Euro nicht fördern.
- „Für einige Eurostaaten – Italien etwa, das stark von russischem Gas abhängig ist und zugleich hoch verschuldet – könnte es finanziell eng werden. Es ist denkbar, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten erneut in Situationen kommen wie in den Jahren 2010 bis ’12, als einige Euromitglieder immer wieder mit rasch steigenden Zinsen zu kämpfen hatten. Beendet wurde diese prekäre Spekulation erst, als die EZB ankündigte, im Zweifelsfall Ländern mit Zahlungsproblemen beizuspringen – ‘whatever it takes’, wie der damalige EZB-Chef Mario Draghi sagte.“ – bto: Das ist der Einstieg in die konstante Flutung der Märkte.
- „Die EU sollte maximale finanzielle Solidarität üben, falls nötig auch durch die Aufnahme weiterer gemeinsamer Schulden. Für Mitgliedstaaten der Währungsunion steht der Eurokrisenfonds ESM bereit und wenn nötig auch die Europäischen Zentralbank.“ – bto: Was mit dem „Wiederaufbaufonds“ begann, wird nun vollendet: die Enteignung des deutschen Steuerzahlers zugunsten Italiens und Frankreichs. Wenn man das macht, dann wie in der Schweiz und in den USA, aber nicht so, wie es sich jetzt abzeichnet.
- „Europas Widerstand gegen einen autoritären Aggressor darf nicht am Geld scheitern. Denn, wie zuvor erwähnt, es gibt ein paar Dinge, die sind noch wichtiger als Geld.“ – bto: So wird jetzt von denen, die immer schon für eine Schulden- und Transferunion waren, Kampagne gemacht. Die großen Verlierer sind die Deutschen, die nicht nur am meisten zusätzlich bezahlen, sondern auch das meiste wegen der Inflation verlieren werden. Das ist bewusste Vernichtung hiesigen Wohlstands.
So weit, so schlecht! Hier wird also vollen Ernstes die Meinung vertreten – nein, über SPIEGEL Online quasi als richtig und im deutschen Interesse verkauft – wir sollten und müssten unseren Wohlstand mit den anderen teilen, um das große Projekt zu retten. Das Problem dabei: Es ist ein Irrglaube, dass eine Transfer- und Schuldenunion die Eurozone stabilisiert, denn:
- Sie kann gar nicht groß genug sein, um die fehlenden privaten Kapitalströme zu kompensieren.
- Sie wäre sehr ungerecht, da die (relativ zum BIP) deutlich ärmeren Deutschen für die reicheren Franzosen, Spanier und Italiener bezahlen.
- Sie überfordert uns, weil wir vor erheblichen eigenen Problemen stehen (Demografie, Strukturwandel, Energie …
- Sie führt zu Unzufriedenheit bei den Empfängern, weil es die Abhängigkeiten verfestigt und sie nie groß genug ist.
- Sie führt zu noch schlechterer Mittelverwendung. Warum müssen wir für die Modernisierung der Müllabfuhr von Rom bezahlen?
- Diese Liste ist nicht vollständig.
Doch Macron und Draghi haben die naiven Deutschen an ihrer Seite, wenn sie ihren Plan umsetzen wollen. Die GRÜNEN und die SPD haben die Opferung deutschen Wohlstands für eine Illusion explizit im Wahlprogramm. Die FDP wird sich nicht widersetzen. Das ist nach den ersten Regierungsmonaten klar.
Passend, dass der nächste Schritt in Versailles passiert. Augstein schrieb im SPIEGEL am 17. Oktober 2003:
“Le Figaro, altberühmte Tageszeitung Frankreichs, verglich Maastricht frohgemut mit dem Versailler Vertrag von 1919, der beträchtlich zum Zweiten Weltkrieg beigetragen hat. So ließ er sich vernehmen: _____‘Die Gegner von Maastricht fürchten auch, dass die ’ _____‘Einheitswährung und die europäische Zentralbank die’ _____‘Überlegenheit der Mark und der Bundesbank festigen ’_____‘würden. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn der ’_____‘Vertrag angewandt wird, muss Deutschland seine Geldmacht’ _____‘teilen, die es heute gebraucht und missbraucht, indem es’ _____‘sich die Wiedervereinigung vom Ausland bezahlen lässt.’ _____‘»Deutschland wird zahlen«, sagte man in den zwanziger ’ _____‘Jahren. Heute zahlt es: Maastricht, das ist der’ _____‘Versailler Vertrag ohne Krieg.’”
Doch wir wollen und sollen es nicht hören. Die WELT fasst es zusammen:
- “(…) angesichts des Krieges in der Ukraine und seiner wirtschaftlichen, militär- und energiepolitischen Folgen (sollen) nach dem Prinzip „Next Generation EU“ erneut Schulden auf EU-Ebene aufgenommen werden sollen. Denn wie Corona spielt auch der Krieg den Befürwortern einer EU als Haftungs- und Transferunion in die Hände. (…) Dabei sind die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds noch nicht einmal ausgegeben, aus diesem Topf stünden noch Milliarden Euro bereit. Es gibt keinen erkennbaren Grund, weshalb erneut europäische Gelder in Anspruch genommen werden sollten – außer den, jede sich bietende Chance zu nutzen, eine EU-seitige Schuldenaufnahme zu verstetigen und damit einen Gewöhnungseffekt zu erzielen.” – bto. Es gab auch keinen Grund beim Wiederaufbaufonds.
- “Kommen Macron und Draghi auch noch mit diesem Ansinnen durch, so geht für die Mitgliedstaaten jede verbliebene Motivation verloren, mit ihren jeweiligen Budgets auszukommen. (…) Das Nachsehen hätte Deutschland als (noch) wirtschafts- und bonitätsstärkste Nation mit dem größten Anteil am EU-Haushalt – und entsprechenden Haftungsrisiken. Diese addieren sich ja noch zu den ausstehenden Gefahren etwa aus der Griechenland-Rettung, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus () oder den Salden aus „Target2“, dem Zahlungssystem innerhalb des Euro, mit dessen Hilfe nationale Notenbanken Geldüberweisungen abwickeln.” – bto: Der Bundesrechnungshof hat es gründlich vorgerechnet, nachzulesen bei bto.
- (…) Bundeskanzler Olaf Scholz (…) sieht die Europäische Union schon lange auf dem Weg in eine gemeinsame Finanzpolitik. Und die Grünen im Europaparlament hatten schon vor Monaten gefordert, dass die Finanzströme aus Brüssel in die Mitgliedstaaten nicht abreißen dürften, selbst wenn die wirtschaftlichen Pandemiefolgen überwunden wären.” – bto: Deutsche Politiker, die vorgeben, Deutschlands Interessen vertreten zu wollen, disqualifizieren sich meiner Meinung nach in jeder Hinsicht.
→ spiegel.de: „Was macht eigentlich eine Notenbank im Krieg?“, 6. März 2022