„Risiko neuer globalen Krise nicht mehr länger ignorieren“

 

Mittlerweile mehren sich Stimmen, die vor einer neuen globalen Krise warnen, so der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Beitrag, den vermutlich schon viele Leser von bto gesehen haben. Dennoch möchte ich einige Punkte herausgreifen, vor allem auch, weil sie schön zeigen, wie man bestimmte Entwicklungen immer auch aus einem bestimmten Blickwinkel betrachten kann, so man es für nützlich hält:

  • „In den USA hat die quantitative Lockerung weder den Konsum noch die Investitionstätigkeit angeregt. Dies liegt teilweise daran, dass der Großteil der zusätzlichen Liquidität in Form von Überschussreserven an die Zentralbanken zurückgeflossen ist. (…) Tatsächlich wurde angesichts des am Rande des Zusammenbruches stehenden US-Finanzsektors durch ein weiteres Gesetz – den Emergency Economic Stabilization Act von 2008 – der Stichtag, ab dem Zinszahlungen auf Reserven angeboten wurden, um drei Jahre auf den 1. Oktober 2008 vorgezogen. Infolgedessen stieg die Höhe der von der Fed gehaltenen Überschussreserven steil an, und zwar von durchschnittlich 200 Milliarden Dollar in den Jahren 2000 – 2008 auf 1,6 Billionen Dollar in den Jahren 2009 – 2015. Die Finanzinstitute ließen ihr Geld lieber bei der Fed liegen, als Kredite an die Realwirtschaft zu vergeben und haben so während der letzten fünf Jahre ohne jedes Risiko fast 30 Milliarden Dollar verdient.” – bto: Dieser Aspekt war mir nicht so deutlich bewusst. Das ist eine verdeckte Sanierungshilfe für die Banken gewesen.
  • „Angesichts der Tatsache, dass die quantitative Lockerung die Zinsen fast sieben Jahre lang in Nullnähe hielt, hätte sie die Regierungen in den entwickelten Ländern ermutigen sollen, Kredite aufzunehmen und in die Infrastruktur, Bildung und den sozialen Sektor zu investieren. Eine Erhöhung der Sozialleistungen hätte im Gefolge der Krise die Gesamtnachfrage angekurbelt und den Konsumverlauf geglättet.” – bto: Das hätte allerdings, wie das Beispiel Japans zeigt, das grundlegende Problem der Überschuldung nicht gelöst!
  • „Zudem zeigt der UN-Bericht eindeutig, dass überall in der entwickelten Welt die privaten Investitionen nicht so gestiegen sind, wie man das angesichts der ultraniedrigen Zinssätze hätte erwarten sollen. In 17 der 20 größten entwickelten Volkswirtschaften blieb das Investitionswachstum nach 2008 niedriger als vor der Krise; fünf dieser Länder erlebten in der Zeit von 2010-2015 einen Investitionsrückgang.” – bto: Wie schon oft erläutert, Investitionen müssen sich lohnen! Tiefe Zinsen genügen nicht. Und: Wenn man unsichere Aussichten hat und schon hohe Schulden, macht man es erst recht nicht …
  • „Das Volumen der von Nichtfinanzinstituten ausgegebenen Schuldpapiere – die eigentlich Anlageinvestitionen dienen sollten – hat sich im selben Zeitraum weltweit beträchtlich erhöht. Im Einklang mit anderen Belegen legt dies nahe, dass viele Unternehmen außerhalb des Finanzsektors die niedrigen Zinsen genutzt haben, um Kredite aufzunehmen. Doch statt zu investieren, haben sie das geborgte Geld für den Rückkauf eigener Aktien oder den Erwerb sonstiger Finanzwerte verwendet. Die quantitative Lockerung schuf also Anreize für eine steile Steigerung der Verschuldung, der Marktkapitalisierung und der Rentabilität des Finanzsektors.” – bto: Das ist übrigens in der heutigen Welt völlig rational. Denn nur wenn das Management den maximalen Wert erzielt durch operatives UND finanzielles Leverage, bleibt es im Amt und das Unternehmen unabhängig. Besteht ungenutztes Leverage-Potenzial ist es nur eine Frage der Zeit, bis dies von Aktivisten/Private Equity gehoben wird oder ein anderes Unternehmen übernimmt.
  • „Um den gewünschten Effekt zu haben, hätten mit der quantitativen Lockerung nicht nur offizielle Bemühungen zur Wiederherstellung der beschädigten Kreditvergabekanäle einhergehen müssen (insbesondere jener zur Kreditvergabe an kleine und mittelständische Unternehmen), sondern auch konkrete Kreditziele für die Banken.” – bto: Das klingt auf den ersten Blick einleuchtend. Auf dem zweiten wird allerdings klar, dass damit die Banken zu einer Politik gezwungen werden sollen, nämlich dem Riskieren ihrer Existenz, obwohl sie das nicht wollen. Wenn man natürlich erklärt, dass der Staat für alles geradesteht, dann kann man das machen. Wäre allerdings eine Kreditsteuerung, die nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun hat.
  • „Eine unbeabsichtigte, aber nicht unerwartete Folge der lockeren Geldpolitik war die steile Zunahme grenzüberschreitender Kapitalflüsse. Die Gesamtkapitalflüsse in die Entwicklungsländer stiegen von rund 20 Milliarden Dollar im Jahr 2008 auf über 600 Milliarden Dollar im Jahr 2010.” – bto: Ich denke, es war Absicht! Mehr Kreditvergabe in den Schwellenländern, um die Nachfrage anzuheizen und zudem, um die Währungen zu stärken und so den internationalen Handel zu beeinflussen. Natürlich war das (auch) ein Ziel der Fed.
  • „Weder die Geldpolitik noch der Finanzsektor tun, was sie eigentlich tun sollten. Es scheint, dass die Liquiditätsflut überproportional zu finanziellem Reichtum und Vermögensblasen beigetragen hat, statt die Realwirtschaft zu stärken. Trotz des steilen Rückgangs der Aktienkurse weltweit bleibt die Marktkapitalisierung als Anteil vom BIP hoch. Das Risiko einer weiteren Finanzkrise lässt sich nicht ignorieren.”

Nun zu den Lösungsvorschlägen:

  • „Es gibt andere Strategien, die versprechen, ein nachhaltiges, weite Schichten einbeziehendes Wachstum wiederherzustellen. Diese setzen bei einer Neuformulierung der Regeln der Marktwirtschaft an, um eine stärkere Gleichheit, langfristigeres Denken und eine Zügelung des Finanzmarktes durch effektive Regulierung und angemessene Anreizstrukturen sicherzustellen.” – bto: Das ist Blabla, was konkret bedeutet „Neuformulierung der Regeln der Marktwirtschaft“?
  • “Doch bedarf es zugleich eines starken Anstiegs der öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und Technologie. Diese müssen zumindest teilweise durch Verhängung von Ökosteuern einschließlich von Kohlenstoffsteuern und von Steuern auf Monopole und andere Rentenerträge finanziert werden, die inzwischen überall in der Marktwirtschaft anzutreffen sind und enorm zur Ungleichheit und zum langsamen Wachstum beitragen.” – bto: Da bin ich teilweise dabei. Ich denke allerdings, die „Rentenerträge“ sind Folge von zu wenig Wettbewerb und dabei ein massives Versagen, der Anti-Trust-Behörden.

Was fehlt in der ganzen Argumentation? Das Wort „Schulden“ taucht nicht auf. Wieder werden nur Symptome beschrieben, anstatt zu sagen, worum es eigentlich geht.

 

→ Handelszeitung: „Risiko neuer globalen Krise nicht mehr länger ignorieren“, 13. Februar 2016