Deutsch­lands Kapital­stock ist älter als der Italiens

Am Sonntag (25. Juni 2023) geht es im Podcast um die Nachhaltigkeit der deutschen Staatsfinanzen und deren Bedeutung für die Zukunft des Euro. Nun wird man sagen: Was ist das Problem? Wir haben doch ein Rating von AAA, andere Staaten sind davon weit entfernt, vor allem Frankreich, wo die Staatsschulden schon seit längerem aus dem Ruder laufen.

Doch ist unser Rating noch angebracht? Zweifel sind angebracht angesichts des Zustands des Landes.

Gestern hatten wir an dieser Stelle eine aktuelle Studie des IW Köln zum Alter des Kapitalstocks und der Bedeutung für Produktivitätsfortschritte. Doch nicht nur das IW hat Studien durchgeführt, die das Offensichtliche zeigen. Auch der Verband der forschenden Pharmaunternehmen hat in diesen Tagen eine Studie vorgelegt, die zudem Deutschland mit anderen Ländern vergleicht.

Die „Highlights“, wenn man das so nennen möchte:

  • „Nach jahrelangen Spitzenwerten bei den Auslandserlösen hat die Energiekrise dafür gesorgt, dass die Importe deutlich teurer werden und da- mit der Außenhandelsüberschuss erheblich geringer ausfällt. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb Deutschland sich künftig bescheidener auf den Weltmärkten geben muss: Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts kommt von unterschiedlichen Seiten erheblich unter Druck: Energiewende, Demografie, verpasste Chancen in der Digitalisierung und teils zu einseitige Abhängigkeiten von anderen Ländern stellen das Geschäftsmodell Deutschlands vor Herausforderungen.“ – bto: Wir erwachen unsanft aus einem Traum. Diese Faktoren waren alle vorhersehbar.
  • „(…) Deutschland (lebt) bereits seit Jahren von seiner Substanz. Im Vergleich mit vielen anderen entwickelten Volkswirtschaften hat Deutschlands Kapitalstock in den vergangenen knapp 20 Jahren erheblich an Qualität eingebüßt.“ – bto: Jetzt kommen zwei sehr ernüchternde Darstellungen.

Zunächst die Feststellung, dass wir nur noch knapp vor Großbritannien liegen. Hinter Belgien, Italien, Frankreich… peinlich!

Quelle: vfa

Besonders erschreckend ist die Darstellung der Entwicklung über die Zeit:

Quelle: vfa
  • Prinzipiell ist eine rückläufige Modernität in entwickelten Volkswirtschaften durchaus plausibel, wenn Investitionen in anderen Wirtschaftsräumen attraktiver werden. So haben beispielsweise die bevölkerungsreichen Länder China und Indien zunehmend ausländische Direktinvestitionen anziehen können, die andernorts nicht getätigt wurden. Sorge sollte allerdings die Entwicklung in Deutschland bereiten. Wie vielerorts ging der Modernitätsgrad des Kapitalstocks zurück – hierzulande aber mit zwölf Punkten am deutlichsten.“ – bto: Und das deckt sich mit anderen Studien und wir können es jeden Tag selbst beobachten.

Quelle: vfa

  • „Vor allen Dingen der öffentliche Kapitalstock wurde über Jahre vernachlässigt. Offensichtlich wird dies im Zustand von Schulen, Brücken oder der Bahninfrastruktur. Hinzu kommt, dass auch die Maschinen und Anlagen zunehmend länger als kalkulatorisch erwartbar in der Nutzung sind.“ – bto: Wir wissen ja, dass Unternehmen schon seit langem nicht mehr im Inland investieren.
  • „Die gute Nachricht ist, dass sich der Substanzverlust seit etwa 15 Jahren nur noch in den Bauten zeigt. Dieser bleibt aber so groß und die Bedeutung der Bauten am Kapitalstock insgesamt so gewichtig, dass er nicht durch einen leichten Aufwärtstrend bei der Modernität des Wissens aus Forschung und Entwicklung kompensiert werden kann.“ – bto: Und Bauen wird immer teurer. Umgekehrt zeigt sich hier auch, wieso die energetischen Auflagen zu so hohen Kosten führen werden.
  • „Die Industrie (stellt) gut 26 Prozent aller Fahrzeuge, Maschinen und Anlagen. Mit 59 Prozent ist sie mit Abstand der bedeutendste Sektor für die Entwicklung des geistigen Kapitals – genauer, des Kapitalstocks aus Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. An der Industrie führt daher kein Weg vorbei, wenn diese Investitionen in wirtschaftlich verwertbares geistiges Eigentum überführt werden sollen.“ – bto: Offensichtlich hat die De-Industrialisierung bereits vor längerer Zeit eingesetzt. Anders kann man das nicht erklären.
  • „Innerhalb der Industrie sind es die Wirtschaftszweige Pharma, Automobil und Maschinenbau, die einen überdurchschnittlichen Modernitätsgrad des Kapitalstocks aufweisen, gefolgt von EDV und dem sonstigen Fahrzeugbau. Verglichen mit dem Jahr 1991 konnten auch nur wenige Industrien den Modernitätsgrad des Kapitalstocks halten oder gar ausbauen. Positiver als im industriellen Durchschnitt haben sich die Bereiche Kfz, Pharma, Mineralölverarbeitung, EDV und die Metallverarbeitung entwickelt. Letztere hatte allerdings im Jahr 1991 bereits einen recht veralteten Kapitalstock.“ – bto: In Summe bleibt jedoch das unbefriedigende Ergebnis, das ein echtes Alarmzeichen ist.
  • „Überwiegend konnten also diejenigen Wirtschaftsbereiche ihren Kapitalstock erhalten, die in den vergangenen Jahren auch Wertschöpfungsanteile stabilisieren oder hinzugewinnen konnten. Diese haben den Verlust der übrigen industriellen Sektoren kompensiert. Der gesamtwirtschaftliche Verlust an Wettbewerbsfähigkeit ist also auch im industriellen Kern zu beobachten. Die Entwicklung des Modernitätsgrads des Anlagevermögens ist damit auch ein Indikator für strukturellen Wandel.“ – bto: … oder eben die Deindustrialisierung.
  • „Von größerer Bedeutung für die Zukunft ist die Entwicklung des Kapitalstocks geistigen Eigentums. Hier finden erhebliche Verschiebungen zwischen den Wirtschaftszweigen statt. Offenbar setzen die Branchen unterschiedlich stark auf ihre technologische Zukunftsfähigkeit. Industrieweit ist seit mehr als zehn Jahren ein Aufwärtstrend erkennbar, der Hoffnung für den Industriestandort Deutschland und dessen Technologieführerschaft in Schlüsselindustrien macht. Der Automobilbau aber auch Pharma und der Maschinenbau führen hier die Entwicklung an. In anderen Branchen hingegen ist der Substanzverlust deutlich erkennbar.“ – bto: Beim Autobau muss man aber anerkennen, dass es sich um den Versuch handelt, einen technologischen Rückstand aufzuholen. Bei Pharma ist es nett, aber diese Konzerne sitzen überwiegend im Ausland.
  • „Der Zusammenhang zwischen einem modernen Kapitalstock und der Produktivität einer Branche oder einer Volkswirtschaft ist naheliegend – und zeigt sich auch in der deutschen Industrie: Je moderner der Kapitalstock, desto höher die Wertschöpfung je Beschäftigten. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zu stärken, sollte eine zukunftsgerichtete Industriepolitik also Investitionen begünstigen und die Anreize gerade für die Entwicklung geistigen Eigentums stärken.“

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  • „Hierfür gibt es mehrere politische Handlungsfelder: Erstens sollte auf die Entwicklungen in den USA reagiert werden. Der Inflation Reduction Act setzt umfängliche Anreize für Investitionen bestimmter Branchen in den USA. Um die notwendige Modernisierung des Standorts Europa voranzutreiben und Investitionen auch hier attraktiv zu machen, könnten Superabschreibungen für Investitionen in moderne und nachhaltige Produktionsanlagen gewährt werden.“ – bto: … allemal besser als Milliarden für Intel.
  • „Damit Technologieführerschaft in Schlüsselbranchen erlangt werden kann, braucht es zweitens gezielte Unterstützung bei der Skalierung industrieller Fertigung und ein attraktives Umfeld für die Durchführung von Forschung und Entwicklung. Die steuerliche Forschungsförderung wäre hierfür großzügiger zu gewähren und eine mutige Nutzung sogenannter Important Projects of Common European Interest (IPCEI) notwendig. Drittens bedarf es großer öffentlicher Investitionen. Diese steigern die Produktivität des privaten Kapitals und wurden zudem in den vergangenen Jahrzehnten in viel zu geringem Umfang durchgeführt. (…) Ohne diese öffentlichen Vorleistungen werden private Investitionen selten rentabel.“ – bto: Das haben wir gestern beim IW deutlich gesehen.
  • „Nun braucht es politischen Mut, strukturellen Wandel zuzulassen und zu unterstützen. Dabei darf den Schlüsselindustrien des Landes nicht die Wachstumsgrundlage durch Bürokratie oder außerordentliche Belastungen entzogen werden.“ – bto: Wer würde da widersprechen?

vfa.de: “Alternder Kapitalstock: Wettbewerbsfähigkeit steht auf der Kippe”, 31. Mai 2023