Deutsch­land: auf Verschleiß gefahren

Am Sonntag (25. Juni 2023) geht es im Podcast um die Nachhaltigkeit der deutschen Staatsfinanzen und deren Bedeutung für die Zukunft des Euro. Nun wird man sagen: Was ist das Problem? Wir haben doch ein Rating von AAA, andere Staaten sind davon weit entfernt, vor allem Frankreich, wo die Staatsschulden schon seit längerem aus dem Ruder laufen.

Doch ist unser Rating noch angebracht? Zweifel sind angebracht angesichts des Zustands des Landes. Als Beispiel heute eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln mit dem Titel: „Wirkungen öffentlicher Investitionen auf Unternehmen in Deutschland“.

Dort ist zu lesen:

  • „Die öffentliche Hand steht in Deutschland vor einem erheblichen Investitionsbedarf. Bereits im Jahr 2019 wurde dieser auf 450 Milliarden Euro für die folgenden zehn Jahre beziffert. Die mit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine einhergehenden Investitionsausfälle haben diese Notwendigkeiten zusätzlich verstärkt. Allein der Investitionsbedarf für die in die Jahre gekommenen Infrastrukturen, die Erneuerung und der Ausbau des Bahnnetzes, die Entwicklung der digitalen Infrastrukturen, die Modernisierung der Energieinfrastruktur sowie die Mehrkosten durch die Dekarbonisierung erfordern hohe öffentliche Ausgaben mit investiver Wirkung. Hinzu kommen mindestens weitere 39 Milliarden Euro pro Jahr zur Erreichung der verabredeten Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)….“ – bto: Das sind erhebliche Beträge.

Dabei ist die öffentliche Infrastruktur ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung:

  • „Längerfristig steigt infolge der öffentlichen Investitionen das volkswirtschaftliche Produktionspotenzial und die staatliche Kapitalstockbildung wirkt sich positiv auf das gesamtwirtschaftliche Leistungsniveau und die Produktivitätsfortschritte aus. So sind technische Infrastrukturen, wie sämtliche Verkehrs- und Versorgungsnetze, für Unternehmen eine wichtige Vorleistung und Voraussetzung für ihre arbeitsteiligen Produktionsprozesse. Die damit verbundenen Netzwerkeffekte können bedeutsame Standortvorteile darstellen, welche die Wettbewerbsfähigkeit und die Produktivität der Unternehmen erhöhen.“ – bto: … beziehungsweise, wenn diese fehlen, eben umgekehrt zu geringerer Wettbewerbsfähigkeit führen.
  • „Vor diesem Hintergrund werden in Abbildung 1 die Beiträge der Kapitalbildung von Kapitalgesellschaften und Staat zum Wachstum der Arbeitsproduktivität in Deutschland gezeigt. (…) Die Differenz zwischen den gesamten Produktivitätsveränderungen und den beiden in Abbildung 1 explizit dargestellten sektoralen Determinanten (Kapitalgesellschaften und Staat) resultiert aus den Beiträgen des technischen Fortschritts (Totale Faktorproduktivität) sowie aus dem Kapitalstockeffekt seitens der privaten Haushalte.“ – bto: Entscheidend ist der massive Rückgang in den letzten Jahren:

Quelle: IW
  • „Die Analyse für Deutschland im Zeitraum 1991 bis 2019 zeigt eine deutliche Abflachung der gesamten Produktivitätszuwächse und der Beiträge des Produktionsfaktors Kapital. Die gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritte waren in den vergangenen beiden Dekaden mit durchschnittlich rund 0,9 Prozent weniger als halb so hoch wie in den 1990er Jahren.“ – bto: Das bedeutet, dass der Kuchen nicht größer wurde.
  • „Abbildung 1 bringt des Weiteren deutlich zum Ausdruck, dass vonseiten der staatlichen Kapitalstockbildung zuletzt überhaupt keine Produktivitätsimpulse in Deutschland zustande kamen. (…) das vollständige Ausbleiben von staatlichen Investitionseffekten (kann) für die Produktivitäts- und Wohlstandsentwicklung als Problem diagnostiziert werden.“ – bto: Das ist zutreffend.
  • „Eine Modellrechnung zeigt, dass der staatliche Kapitalstock (reales Bruttoanlagevermögen) unter sonst gleichen Bedingungen in den 2000er Jahren um jährlich rund 25 Milliarden Euro stärker hätte wachsen müssen, um die gleichen Produktivitätseffekte wie in den 1990er Jahren zu erzielen. Für die 2010er Jahre wäre gemäß dieser kontrafaktischen Rechnung sogar ein zusätzliches Wachstum beim staatlichen Kapitalstock von 45 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich gewesen.“ – bto: Und das lag nicht am fehlenden Geld. Es lag an der Verwendung.

Hier zur Erinnerung die Entwicklung der Steuer- und Abgabenquote in Deutschland:

Quelle: Bundesfinanzministerium

  • „(…) Infrastrukturmängel (stellen) seit geraumer Zeit ein ernstzunehmendes Hindernis für die Geschäftsabläufe der Unternehmen in Deutschland dar. Gut ein Viertel der Unternehmen sieht derzeit hohe, über die Hälfte geringe Beeinträchtigungen besonders durch Mängel in der Straßen- und der Kommunikationsinfrastruktur.“ – bto: Ein vergammeltes Land.
  • „Die wirtschaftliche Dynamik und damit die Wohlstandsentwicklung des Landes werden in hohem Maß durch die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung bestimmt. Gerade in Zeiten des demografischen Wandels, in der ein kleiner werdender Anteil der Bevölkerung erwerbstätig ist und sich ein schnell größer werdender Teil im altersbedingten Ruhestand befindet, muss die Produktivität deutlicher ansteigen, um die zusätzliche demografische Lücke zu kompensieren. Statt einer Produktivitätsrevolution ist jedoch in den letzten Jahren ein kontinuierlicher Rückgang des Produktivitätswachstums zu beobachten.“ – bto: So ist es, wie wir gesehen haben.
  • „Der Beitrag des staatlichen Kapitalstocks zum Produktivitätswachstum fiel in den 2010er Jahren sogar minimal in den negativen Bereich. Um den gleichen Wachstumsbeitrag leisten zu können wie in den 1990er Jahren, müssten die öffentlichen Investitionen (…) Jahr für Jahr rund 45 Milliarden höher sein als bisher.“
  • „Aus der positiven Wirkung öffentlicher Investitionen auf die privaten Unternehmen und nicht zuletzt deren Investitionsbereitschaft folgt direkt, dass mit einer Erhöhung des öffentlichen Kapitalstocks auch ein Anstieg des privaten Kapitalstocks einhergehen wird. Darüber hinaus sind aber Anstrengungen erforderlich, die Investitionsbedingungen für Unternehmen in Deutschland kontinuierlich zu verbessern. Vor allem die kostenseitigen Standortfaktoren haben sich in den letzten Jahren negativ entwickelt. Aufgrund des hohen Anteils der privaten Investitionen liegt hier ein zentraler Schlüssel für zukünftiges Wachstum.“ – bto: Stattdessen macht man Energie teuer, spricht über die 4-Tage-Woche, lässt Bildungssystem und Infrastruktur vergammeln und redet über Steuererhöhungen wegen „Gerechtigkeit“. Wow.

→ IW: “Wirkungen öffentlicher Investitionen auf Unternehmen in Deutschland”, 2/23