Statt Reformern dominieren Etatisten die Wahlkampfdiskussion
„Wir werden an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair!“, erklärte der damalige SPD-Vizekanzler Franz Müntefering nach der Wahl 2005. Die CDU hatte im Wahlkampf angekündigt, die Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent zu erhöhen. Die SPD hatte das abgelehnt. Der „Kompromiss“ war, die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent zu erhöhen. Beide Parteien haben ihr Wahlversprechen gebrochen.
Auch im aktuellen Wahlkampf wird viel versprochen. Im Raum stehen laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln 149 Milliarden Euro an Entlastungen bei der AfD, 138 Milliarden Euro bei der FDP, 90 Milliarden Euro bei der Union, 48 Milliarden Euro bei den Grünen und 30 Milliarden bei der SPD.
Nüchterne Beobachter werden diese Ankündigungen nicht für bare Münze nehmen. Bestenfalls kann man die Höhe der in Aussicht gestellten Entlastung als Indikator für den Widerstandswillen gegen weitere Abgabenerhöhungen verstehen.
Dennoch entbrannte umgehend eine intensive Diskussion. Medien und Ökonomen betonten, dass der Staat auf keinen Fall mit weniger Geld auskommen könne. Im Gegenteil wären weitere Milliardensummen nötig, damit dieser seinen Aufgaben – endlich – nachkommen könne. Wenn überhaupt, müssten dringend mehr Schulden gemacht werden.
Prominentester Vertreter dieser sehr staatsfokussierten Sichtweise ist der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher. In der „Augsburger Allgemeinen“ warf er den Parteien vor, die Wähler „hinters Licht“ zu führen. Der Staat brauche 70 Milliarden für Investitionen in Straßen, Schienen, Brücken und Schulen sowie für die Bundeswehr, „diese großen Beträge können nicht aus den laufenden Ausgaben herausgespart werden“, so die Behauptung.
Doch ist dem so? Wollte man 100 Milliarden Euro mobilisieren, entspräche das rund 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Nach Daten des Bundesfinanzministeriums ist die Abgabenquote in Deutschland von 38,5 Prozent im Jahr 2004 auf 40,1 Prozent des BIP im Jahr 2023 gestiegen. Würde man die Belastung auf das Niveau des Jahres 2004 zurückführen, entspräche dies bereits 1,6 Prozentpunkten vom BIP, rund 73 Milliarden Euro.
Es gibt deutliche Einsparpotenziale
Eine Analyse des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel zu den wichtigsten Ausgabenpositionen des Bundes zeigt deutliche Einsparpotenziale: Den größten Block bilden die Sozialausgaben mit 5,3 Prozent des BIP. Würde man diese auf das Niveau des Jahres 2019 senken, ergäbe dies eine Ersparnis von 22 Milliarden Euro. Orientierte man sich am Wert des Jahres 2000, in dem die Sozialausgaben bei 4,4 Prozent des BIP lagen, wären das fast 40 Milliarden Euro weniger.
Der zweitgrößte Ausgabenblock sind die Subventionen. Unglaubliche drei Prozent des BIP verwendet der Bund mittlerweile für die „Förderung der Wirtschaft“. Das Volumen lag 2024 mit 127,3 Milliarden Euro um fast 50 Prozent über dem Niveau des Jahres 2022 und doppelt so hoch wie im Jahr 2015. Eine Rückführung auf das damalige Niveau erbrächte Einsparungen von über 60 Milliarden Euro.
Eine Reduktion der „auslandswirksamen Zahlungen“ von 1,5 auf 1,3 Prozent vom BIP erbrächte weitere neun Milliarden Euro, die Rückführung der „Bundeszuschüsse für externe Organisationen“ auf das Niveau 2015 weitere 1,8 Milliarden Euro und ein Rückbau der übermäßig gewachsenen Bundesministerien weitere zwei Milliarden Euro.
In Summe ließen sich so über 100 Milliarden Euro finden, um mehr in das Land zu investieren, die Bundeswehr wehrfähig zu machen und Bürger und Unternehmen zu entlasten.
Natürlich müsste der Staat seine Rolle anders definieren. Weg von der Rolle des „Transformators“, der glaubt, Wirtschaft und Gesellschaft steuern und umbauen zu können, hin zur Rolle eines Rahmensetzers, der sich auf die Kernaufgaben fokussiert und diese auf Spitzenniveau erfüllt.
→ handelsblatt.com: „Bei den Sozialausgaben liegen die größten Einsparpotenziale “, 12. Januar 2025