“Russland ins Depot”
Dieser Kommentar von mir erschien bei WirtschaftsWoche Online:
“Put your money where your mouth is” gilt auch für Stelter strategisch. Die Kolumne ist für mich immer wieder Anlass zur Standortbestimmung für meine persönliche Strategie der Geldanlage. Dies gilt für die grundlegende Überzeugung der Diversifikation in Aktien, Immobilien, Gold und Liquidität, den Grundsatz, möglichst wenig zu handeln, weil man den Markt ohnehin nicht timen kann und die feste Überzeugung, möglichst global anzulegen. Überwiegen doch die Risiken einer einseitigen Orientierung am Heimatmarkt (Anleger – raus aus Europa).
Dazu kommen dann taktische Überlegungen, wie die hier gerade in den vergangenen Wochen immer wieder gegebene Empfehlung, Risiken abzubauen und die Liquidität zu erhöhen.
Im Einkauf liegt der Gewinn
Bekanntlich liegt im Einkauf der Gewinn. Die Korrelation zwischen dem Preis, den man für ein Asset bezahlt, und der nachfolgenden Rendite ist eindeutig. Kauft man Aktien zu einer hohen Bewertung, folgen geringe Renditen und umgekehrt. Dabei ist es nicht so schwer, die künftigen Erträge zu schätzen. Aktienrenditen (also Ausschüttungen und Kursgewinne) werden von vier Faktoren getrieben:
– vom Wachstum der Gewinne
– von den Dividenden
– von der Veränderung der Profitmargen
– von der Veränderung der Aktienbewertung, also des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV).
Auf lange Sicht spielt dabei die Veränderung der Bewertung und der Margen keine Rolle. Hinter dem jährlichen realen Ertrag des S&P 500 von 6,3 Prozent seit 1970 stehen 3,4 Prozentpunkte aus Dividenden, 2,3 Prozentpunkte aus dem realen Wachstum, 0,5 Prozentpunkte aus der Verbesserung der Marge und nur 0,1 Prozent aus der höheren Bewertung.
Anders ist das auf kurze Sicht. Hier spielen die Veränderung der Bewertung und der kurzfristigen Profitabilität eine deutlich größere Rolle.
Besonders ausgeprägt ist das seit Beginn der Finanzkrise. Während es den Notenbanken, wie hier immer wieder erläutert, nicht gelungen ist die Realwirtschaft zu stimulieren, schlägt sich die Liquidität an den Assetmärkten nieder. Von den 13,6 Prozent, die der S&P 500 zwischen 2010 und 2017 zugelegt hat, stammen immerhin 3,8 Prozent aus einer höheren Bewertung und 3,2 Prozent aus höheren Margen.
Beides lässt sich nicht ewig fortsetzen, was ein wesentlicher Grund war und ist, an der US-Börse vorsichtig zu sein. Auch weil die Bilanzqualität der Firmen sich nachhaltig verschlechtert hat und die Investoren immer mehr auf Kredit spekulieren. Selbst ohne Crash ist klar, dass auf heutigem Niveau nur noch mit Minirenditen zu rechnen ist. Gleiches gilt für teuer eingekaufte Immobilien. Wer heute die 40-fache Jahresnettokaltmiete bezahlt, kauft sich garantierte geringe Erträge ein, wettet einseitig auf eine Inflation und übersieht die erheblichen Risiken von Besteuerung und Eingriffen in das Eigentum.
Schwellenländer immer noch billiger
Relativ attraktiver waren und sind die Schwellenländer, worauf ich in den vergangenen Jahren mehrfach hingewiesen habe. Hier paaren sich höhere Wachstumsraten mit günstigeren Bewertungen. Kein Wunder also, dass die Schwellenländer im vorigen Jahr deutlich besser performt haben als die US-Börse. In US-Dollar gerechnet legten die Schwellenländer 2017 beeindruckende 40 Prozent zu.
Dabei sind die Risiken erheblich, dass es zu unangenehmen Überraschungen kommt. Die Verschuldung in US-Dollar ist auf mehr als 15 Billionen gestiegen, was die Anfälligkeit der Märkte für eine Trendwende der US-Währung erhöht. Kommt es zu einem Crash an den westlichen Börsen, so geht es erfahrungsgemäß noch schneller in den Schwellenländern bergab. Die Märkte sind also nicht ohne Grund billiger.
Hinzu kommen die politischen Risiken, wie wir in der vergangenen Woche erneut schmerzhaft feststellen mussten. Die neuen Sanktionen der US-Regierung gegen Russland haben der dortigen Börse und dem Rubel einen heftigen Schlag versetzt. Und damit auch meinem Portfolio. Immer wieder habe ich auf Russland als günstigen Markt hingewiesen, zuletzt in meinen Prognosen für 2018. So schnell kann man sich irren!
Hinkte die Moskauer Börse im vergangenen Jahr zunächst hinterher, war die Entwicklung seit letztem Sommer sehr erfreulich. Die Aktien stiegen, getragen von höheren Ölpreisen und abnehmenden Spannungen, die Zinsen sanken und der Rubel stabilisierte sich. Damit war am vorigen Montag Schluss. Die Börse crashte und vor allem die Unternehmen auf der Sanktionsliste wurden arg gebeutelt. Der Aluminiumkonzern Rusal verlor mehr als die Hälfte, die Goldmine Polyus verlor 20 Prozent. Der Rubel fiel zum Dollar auf den tiefsten Stand seit Ende 2016.
Die Aktien, die schon vor dem Einbruch äußerst günstig waren, wurden noch billiger. Der Markt handelt unter Buchwert und das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Marktes liegt bei unter acht – der billigste Markt weltweit! Werte wie Gazprom werden zum vierfachen des für 2018 erwarteten Gewinnes gehandelt.
Wenn es kracht, trifft es die Schwellenländer zuerst
Solange es also zu keinem Krieg zwischen dem Westen und Russland kommt, wofür wenig spricht, sind die russischen Aktien ein Kauf. Käme es zu einem Krieg, dürfte der Verlust an der Moskauer Börse unser geringstes Problem sein.
Dividende, wenig Kursgewinne
Dabei sind die Aktien der russischen Börse vor allem unter Ertragsgesichtspunkten interessant. Die eigentliche Entwicklung der russischen Wirtschaft bleibt enttäuschend und das Land einseitig auf Rohstoffe fokussiert. Diese jedoch werden – allen Sanktionen des Westens zum Trotz – in der Welt weiterhin reißenden Absatz finden. Die Annäherung zwischen Russland, China und Indien ist in vollem Gange. Dies mag zwischenzeitlich bei steigenden Rohstoffpreisen zu höheren Kursen führen, dann aber getrieben von den Erträgen, nicht von einer Ausweitung der KGVs. Werden diese nicht mehr viel sinken, so ist auch das Aufwertungspotenzial beschränkt.
Wer das Risiko tragen kann und einen langen Atem hat, für den ist die Moskauer Börse einen Blick wert. Wie sagte Carl Mayer von Rothschild so treffend: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern, verkaufen, wenn die Violinen spielen.“