Klimaschutzgesetz: Wir brauchen Effizienz statt Planwirtschaft
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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz zeichnet ein verstörend statisches, vor allem technikfeindliches Bild unserer höchsten Richter. Es passt zu einem immer planwirtschaftlicheren Vorgehen der politischen Akteure.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz zeugt von einem erschreckenden Weltbild: Durch Innovation und technologischen Fortschritt würden wir das gesetzte Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 nicht erreichen. Stattdessen ginge dies nur durch Verzicht und eine Einschränkung der Freiheitsrechte. Weil wir diese heute nicht ausreichend einschränkten, wären nach 2030 härtere Eingriffe erforderlich. Konkret erklärt das Bundesverfassungsgericht: “Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind”. Zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, “um diese hohen Lasten abzumildern”.
Der Reihe nach:
Annahme 1: Es gibt ein festes Budget an CO2. Das ist breiter Konsens und letztlich der Grundgedanke der Klimaabkommen, weshalb wir es als gesetzt annehmen.
Annahme 2: Dieses Budget ist effektiv und effizient auf Ebene von Ländern zu optimieren. Es handelt sich zwar um ein globales Problem, und es wäre weitaus effizienter und effektiver, global zu handeln – beispielsweise brächte die Modernisierung von Kohlekraftwerken in den Schwellenländern viel mehr als die Subventionierung der Elektromobilität in Europa. Es ist aber politisch so erwünscht. Deshalb nehmen wir das auch als gesetzt.
Annahme 3: Es ist nur dann gerecht, wenn der Verbrauch des Rest-Budgets an CO2 die Bürger gleich begünstigt. Würden doch zu langsame Maßnahmen am Anfang den heute Lebenden mehr Freiheiten des CO2-Ausstoßes zubilligen als den Menschen, die beispielsweise im Jahr 2045 hierzulande leben. Auch so weit kann man der Logik folgen.
Annahme 4: Klimaschutz wird immer teurer. Zunächst mag man das denken, wenn man sich die Kosten pro eingesparte Tonne CO2 anschaut. So sind die Kosten für die bessere Isolierung von Gebäuden und die Umstellung der Stromversorgung mit weniger als 200 US-Dollar pro eingesparter Tonne CO2 deutlich geringer als bei der Umstellung der Autoflotte auf elektrischen Antrieb, der rund das Fünffache pro eingesparte Tonne kostet. Das Gericht nimmt also an, dass wir a) nach Effizienz- und Effektivitätsgrundsätzen vorgehen und erst die günstigen Maßnahmen ergreifen, bevor wir die teureren angehen und b), dass diese Kosten sich nicht ändern.
Beide Annahmen sind offensichtlich falsch. So fördert der Staat bei der Gebäudeisolierung die Maßnahmen, die am wenigsten bringen am stärksten, statt auf die einfachen Hebel zu setzen. So sind wir erst aus der Atomkraft ausgestiegen und der Kohleausstieg kommt später. Unter CO2-Gesichtspunkten wäre die umgekehrte Reihenfolge angebracht. Extrembeispiel dürfte die finanzielle Förderung von Lastenfahrrädern durch den Berliner Senat sein, die jährlich mit 50.000 Euro pro Tonne eingesparten CO2 subventioniert werden. Wir lassen der nachfolgenden Generation also noch einfachere Hebel zur CO2-Reduktion.
Hinzu kommt, dass die Kosten nicht wie offensichtlich erwartet steigen; sie fallen. Beispiel: Wurde 2010 noch damit gerechnet, dass Solarstrom heute 195 US-Dollar/Kilowattstunde kostet, liegen die tatsächlichen Kosten in den USA und Europa zwischen 30 und 60 Dollar. Ähnlich dramatisch sind die Fortschritte in anderen Bereichen. Übersetzt bedeutet dies: Es wird billiger, nicht teurer, in Zukunft CO2 einzusparen.
Annahme 5: Finanzielle Lasten zählen nicht. Ebenfalls mitschwingend ist der Glaube an eine Begrenzung des CO2-Budgets bei gleichzeitiger Annahme, dass es keinerlei finanziellen Beschränkungen für Klimaschutz-Maßnahmen gibt. Doch auch hier haben wir eine Budgetrestriktion, können wir doch als Land unseren gemeinsamen Wohlstand nur einmal verteilen. Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und die Versorgung der alternden Gesellschaft müssen ebenfalls erwirtschaftet werden und es ist nicht eine Frage der Besteuerung, sondern der wirtschaftlichen Leistungskraft. Der BDI hat schon vor Jahren vorgerechnet, dass wir bis 2050 pro Jahr 45 bis 70 Milliarden Euro (1,2 bis 1,8 Prozent vom BIP) aufwenden müssen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Dabei basiert diese Rechnung auf der sehr wichtigen Annahme: „Die betrachteten Klimapfade sind volkswirtschaftlich kosteneffizient und unterstellen eine ideale Umsetzung unter anderem im Sinne sektorübergreifender Optimierung und ‘richtiger Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt’. Fehlsteuerungen in der Umsetzung – wie z. B. in der Energiewende durch Überförderungen und die Verzögerung des Netzausbaus – können die Kosten und Risiken erheblich steigen oder das Ziel sogar unerreichbar werden lassen.“ Wie gezeigt, kann davon in der aktuellen Politik keine Rede sein. Im Vordergrund stehen Maßnahmen, die Effektivität und Effizienz missen lassen.
Klar ist aber, dass es nicht nur eine Gleichverteilung der Lasten für die CO2-Einsparung geben muss, sondern auch der finanziellen Lasten der Maßnahmen für den Klimaschutz. Dies wird völlig ausgeblendet, ist aber von ebenso grundlegender Bedeutung.
Annahme 6: Technischer Fortschritt spielt keine Rolle. Wer nur auf Verzicht und Begrenzung von Freiheitsrechten beim Thema Klimaschutz setzt, ist auf dem Holzweg. In allen maßgeblichen Studien der führenden deutschen Forschungsinstitute werden hohe Ausgaben für die Erforschung neuer Technologien angemahnt. International zeigen die Überlegungen der neuen US-Administration, wie sehr man auf Forschung und Entwicklung als Lösung für die Probleme setzt. Die Gelder, die dafür heute ausgegeben werden, erhöhen den Handlungsspielraum für künftige Generationen. Als Gericht im Jahr 2021 davon auszugehen, dass ab 2030 harte Eingriffe in die Freiheitsrechte erforderlich sein werden, um die Klimaziele zu erreichen, verkennt diesen entscheidenden Hebel. Vor allem weil davon auszugehen ist, dass für die Menschheit gesamthaft die Lösung nur in der Technologie liegen kann, werden doch nur wenige Länder erfolgreich und freiwillig einem deutschen Weg in eine Klima-Verzichts-Welt folgen. Folgerichtig hätte das Gericht fordern müssen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit Blick auf Generationengerechtigkeit zu erhöhen, nicht die Einschränkungen ab dem Jahr 2030 zu planen, die objektiv gesehen nicht planbar sind, weil weder der Umfang der dann gegebenen Einsparungsanforderungen noch die Instrumente zu ihrer Realisierung heute bekannt sind.
Annahme 7: Tabus bleiben. In die gleiche Kategorie fällt die implizite Billigung deutscher Tabus. Es ist offensichtlich, dass eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke bei gleichzeitig rascherer Abschaltung der Kohlekraftwerke das verbliebene CO2-Budget praktisch über Nacht deutlich entlasten würde. Der Weltklimarat IPCC sieht in der Kernenergie beispielsweise ein wesentliches Instrument im Kampf gegen den Klimawandel. Dabei müssten wir nicht wie unsere Nachbarn neue Kraftwerke bauen, wir könnten die vorhandenen nutzen.
Weitere Tabus wie der Einsatz grüner Treibstoffe und die Förderung von sogenannten Carbon-Capture Technologien werden ebenfalls nicht angetastet. Dabei könnte man doch von dem höchsten deutschen Gericht, wenn es schon eine gerechte Lastenteilung zwischen den Generationen anmahnt, erwarten, dass es auch hier für eine nicht-ideologische, am gesellschaftlichen Nutzen orientierte Politik eintritt.
Annahme 8: Klima ist alles. Führt zum letzten Punkt. Ungeachtet der Tatsache, dass wir selbst beim besten Willen nur einen unbedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten können, wird auf diesem Gebiet aus den internationalen Verträgen – Pariser Klimaschutzabkommen – ein Handlungszwang abgeleitet. Es wird festgestellt, dass eine Vereinbarung künftige Lasten bedeutet und diese umso höher sind, je weniger wir heute bereit sind, anders zu handeln. Doch warum gilt das nur beim Thema Klima? Ist es nicht so, dass alle heutigen Entscheidungen für die künftige Generationen Auswirkungen hat? Das Schließen der Schulen zur Pandemiebekämpfung senkt nachweislich Bildungsniveau und künftige Einkommensniveaus. Verfallende Infrastruktur und mangelnde Digitalisierung schwächen den Standort und führen zum Verlust künftiger Einkommen. Die alternde Gesellschaft und die politischen Entscheidungen der letzten Jahre erhöhen die finanzielle Last der kommenden Generationen. Mütterrente, Rente mit 63 und Grundrente sind alles erhebliche Einschränkungen künftiger finanzieller Freiräume der kommenden Generationen und damit auch eine Begrenzung der Freiheitsrechte. Das müsste das Verfassungsgericht mit gleichem Argument als das bezeichnen, was es nämlich wirklich ist: nicht nachhaltig und schon gar nicht generationengerecht.
Das Urteil zeichnet ein verstörend statisches, unökonomisches und vor allem technikfeindliches Bild unserer höchsten Richter. Es passt zu einem immer planwirtschaftlicheren Vorgehen der politischen Akteure, die sich sichtlich gefreut haben, ihren Planungshorizont gleich bis zum Jahr 2050 zu verlängern. Sektorale Zielvorgaben für den CO2-Ausstoß pro Jahr bis zum Null-Emissions-Jahr 2050 werden unsere Planungsbehörden demnächst mit dem „Gütesiegel“ des Bundesverfassungsgerichts vorlegen.
Das Erreichen der Klimaziele wird so aber nicht wahrscheinlicher, sondern noch unwahrscheinlicher. Ineffizienz und Ineffektivität werden zu einem unnötig hohen Ressourcenverbrauch führen und den Schwerpunkt auf symbolträchtige Einsparungsmaßnahmen legen, statt auf die eigentliche Lösung: Technik und Innovation. Gewinner werden einmal mehr die USA und China werden, die erkannt haben, dass im Letzteren der Weg liegt, Klimaschutz und Wohlstandssicherung zu verbinden.
→ manager-magazin.de: „Klimaschutzgesetz: Wir brauchen Effizienz statt Planwirtschaft“, 4. Mai 2021