In einer Währungsunion, in der keiner sparen will, sind die Sparer die Dummen
Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung:
An den Börsen gab es unlängst plötzlich Alarmstimmung, dann beruhigte sich die Crash-Angst wieder. Wie erklären Sie die Entwicklung?
Aufgrund der Euphorie der Investoren über künstliche Intelligenz sind die Bewertungen vieler Unternehmen stark gestiegen. Die Hoffnungen über die Produktivitätswirkungen von KI waren aber wohl übertrieben. Der Auslöser für die Turbulenzen scheint die kleine Zinserhöhung der japanischen Zentralbank gewesen zu sein. Anleger haben sich Yen geliehen und damit in Technologieaktien investiert – nun mussten sie ihre Positionen schliessen. Dies zeigt, dass viele Finanzmarktakteure immer noch mit viel Fremdkapital und Krediten arbeiten.
Kredite haben sich doch durch die Zinserhöhungen der Zentralbanken in den letzten Jahren verteuert?
Trotz den Zinserhöhungen der Zentralbanken war und ist weiterhin sehr viel Liquidität im Markt. Die gute Entwicklung der Aktienkurse, insbesondere der Technologietitel, hat verdrängt, dass es grundlegende strukturelle Probleme gibt. Die Staaten, aber auch die privaten Haushalte sind in vielen Industrieländern stark verschuldet. Das macht das System anfällig für Krisen. Der Privatsektor wird höhere Zinsen auf Dauer nicht verkraften. Gleichzeitig dürften die Staaten das Schuldenwachstum nicht in den Griff bekommen.
Welche Länder meinen Sie?
Das gilt für Europa, aber auch für die USA. Die amerikanische Wirtschaft boomt und es herrscht Vollbeschäftigung, trotzdem beträgt das amerikanische Haushaltsdefizit 6 Prozent und mehr – der Staat macht also neue Schulden, anstatt sie abzubauen. Man könnte aber auch umgekehrt argumentieren, dass die USA solche Haushaltsdefizite haben müssen, damit die Wirtschaft überhaupt so gut läuft.
Trotz diesen Risiken haben sich die Finanzmärkte schnell wieder beruhigt. War es nicht einfach ein Fehlalarm?
Ich würde das eher als Warnschuss bezeichnen. Auf Überbewertungen folgen an der Börse historisch gesehen Korrekturen und Crashs. Nur haben die Zentralbanken solche Bereinigungen in den letzten Jahrzehnten oft verhindert, indem sie die Zinsen gesenkt oder die Märkte anderweitig beruhigt haben. Manche Marktbeobachter vergleichen die derzeitige Situation mit der Krise um Russland und den Hedge-Fund LTCM im Jahr 1998. Danach ging es zunächst mit Kurssteigerungen und Börseneuphorie weiter, bis die New-Economy-Blase dann im Jahr 2000 platzte.
Sie erwarten also eine Erholung an der Börse, bevor es dann zum Crash kommt?
Das weiss niemand. Ich schaue mir die Situation einfach an, wie sie ist. Das Finanzsystem hat mit dem jetzigen Zinsniveau schon Probleme, das sieht man an den Staatsfinanzen. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire hat beispielsweise gesagt, die Zinsausgaben des französischen Staats seien massgeblich schuld daran, dass das Haushaltsdefizit steige. Und mit jedem Monat, in dem die Zinsen höher bleiben, wird das Problem grösser, weil alte Anleihen auslaufen und neue Schulden mehr kosten. Hinzu kommt, dass die Produktivitätszuwächse in der Wirtschaft unbefriedigend sind.
In Europa oder den USA?
In der ganzen westlichen Welt. Allerdings gab es in den USA in den vergangenen zwei Jahren zumindest die Hoffnung, dass die Produktivität steigt. Von einer Trendwende zu sprechen, halte ich allerdings für verfrüht. Die riesigen Programme zur Unterstützung der Konjunktur in der Corona-Krise dürften hier eine wichtige Rolle gespielt haben.
Wie ist die Lage in Europa?
In Europa gibt es eine solche Trendwende definitiv nicht. Hinzu kommt noch die demografische Entwicklung. Europa schrumpft, in den USA ist die Vergreisung nicht ganz so schlimm. Trotzdem haben beide Regionen das Problem, dass sie für diese alternde Gesellschaft nicht vorgesorgt haben. Das ist kein gutes Szenario.
Aus Ihrer Sicht drohen nun also magere Jahre?
Hinter uns liegen tolle Jahrzehnte mit dem Mauerfall, dem Eintritt Osteuropas und Chinas in die Weltwirtschaft. Die Grenzen öffneten sich, es gab Liberalisierungen, die Staaten bauten Handelshemmnisse ab. Das dreht sich nun um. Der Konflikt zwischen China und den USA wird sich weiterhin in höheren Zöllen und Technologieverboten niederschlagen und die Wirtschaft bremsen. Egal, wer in den USA die Präsidentschaftswahlen gewinnt: Diese Politik wird fortgesetzt werden, und sie wird auch Europa treffen. Die amerikanische Inflation Reduction Act ist ein sehr gutes Beispiel: Das ist nichts anderes als ein protektionistisches und schuldenfinanziertes Reindustrialisierungsprogramm für die USA, das zulasten Europas geht. Gleichzeitig wird es für Europa schwieriger, mit China Geschäfte zu machen.
Und China ist auch ein sehr ernstzunehmender Wettbewerber.
China hat solche Kostenvorteile, da spielen Zölle von 20 Prozent praktisch gar keine Rolle. Jetzt kann sich Europa hier abschotten. Nur bedeutet das weniger Wachstum in der Welt und höhere Inflationsraten. Dazu kommt noch die Klimapolitik, die ebenfalls für höhere Teuerungsraten sorgt.
Sie rechnen also mit dauerhaft höheren Inflationsraten?
Wir leben in einer Welt, in der die Schulden nur dann nominal zurückgezahlt werden können, wenn wir sie über Inflation entwerten. Für höhere Inflation braucht es nicht einmal eine Eskalation im Nahen Osten oder einen Ölpreis von 200 Dollar – wenn das eintritt, ist das Problem noch viel grösser. Auch die Höhe der derzeitigen Aktienkurse und Immobilienpreise ist nur dann gerechtfertigt, wenn man davon ausgeht, dass die Zinsen fallen.
Besteht aufgrund der hohen Verschuldung nicht auch die Gefahr von Staatsbankrotten?
Hier ist die Antwort ganz klar: Die Staaten werden nicht pleitegehen, weil die Notenbanken sie finanzieren. Und das wird auch in der Euro-Zone passieren. In einer Währungsunion, in der keiner sparen will, sind die Sparer die Dummen. Der Euro hat nur mit einer strukturell höheren Inflation eine Chance, zu überleben. Das Vermögen von Sparern im Euro dürfte sich also schleichend entwerten.
Sie sagen, die Zinsen könnten aufgrund der hohen Schulden gar nicht steigen. Wieso waren dann die deutlichen Leitzinserhöhungen der Zentralbanken in den vergangenen Jahren überhaupt möglich, ohne dass das System aus den Fugen gerät?
Der eine Grund, weshalb es ausser dem Kollaps einiger Regionalbanken in den USA nach den Zinserhöhungen bisher wenig Unfälle gegeben hat, ist die nach wie vor hohe Liquidität im System. Das zeigt beispielsweise der Financial Conditions Index der Zweigstelle der US-Notenbank Fed in Chicago. Der zweite Grund ist, dass viele Akteure in den Zeiten der Niedrig- und Negativzinsen schlau agiert und sich langfristig und günstig verschuldet haben. Viele Unternehmen in den USA haben sich damals regelrecht vollgesaugt mit Liquidität.
Und wie sieht es bei den privaten Haushalten aus?
In den USA zeigt sich das am Immobilienmarkt. Viele Finanzierungen werden dort mit 30-jährigen Festhypotheken gemacht. Derzeit sieht man, dass nur wenige Immobilienbesitzer ihre Häuser verkaufen. Wenn sie eine neue Liegenschaft kaufen würden, müssten sie eine neue Hypothek abschliessen, und das könnten sie sich aufgrund der gestiegenen Zinsen nicht leisten. Deshalb gibt es viel weniger Transaktionen im Markt, und die Immobilienpreise steigen weiter, obwohl die Zinsen höher sind.
Besteht denn nicht die Chance, dass die Wirtschaft aus der Schuldenmisere herauswächst?
Glauben Sie mir, ich persönlich würde mir nichts sehnlicher wünschen als das. Um das Schuldenproblem zu lösen, müsste das Wachstum aber sehr, sehr hoch sein. Mit höheren Steuern lässt es sich auch nicht lösen. In der Euro-Zone dürfte es folglich auf eine Inflationierung hinauslaufen.
Das heisst dann im Umkehrschluss, dass der Euro immer stärker zu einer Weichwährung wird.
Diesen Weg hat der Euro längst eingeschlagen. In Europa steht die Schaffung von Wohlstand und dessen Erhaltung nicht auf der politischen Agenda, weder in Deutschland noch in anderen EU-Staaten. Das wird sich bitter rächen. Je weiter sich die EU von ihrem Versprechen entfernt, den Wohlstand der Menschen zu nähren, desto grösser wird das Risiko politischer Spannungen.
Was heisst das für die Schweiz?
Die Schweiz hat den Franken. Aber das Traurige ist, dass sie mitten in Europa liegt. Die negative Entwicklung in Europa zieht natürlich die Schweiz mit hinunter. Zwar profitiert das Land, wenn Unternehmen aus der Euro-Zone in die Schweiz abwandern. Die Schweizer Exportwirtschaft wird aber unter der weiteren Abwertung des Euro leiden.
Wird der Euro langfristig überleben?
Ich habe 2011 und 2012 gesagt, der Euro werde wahrscheinlich nicht überleben – und jetzt, zwölf Jahre später, gibt es ihn immer noch. Von daher kann er auch noch ein paar Jahrzehnte halten. In weiteren zwölf Jahren sind die Schulden in der Euro-Zone vielleicht auf dem japanischen Niveau von heute. Vieles spricht dafür, dass es keinen wirtschaftlichen Knall geben wird, sondern einen weiteren sanften Niedergang.
Was heisst das für die Bevölkerung?
Der Preis, um den Euro zu erhalten, ist eine Wohlstandserosion, die wir tagtäglich kaum bemerken. Es ist ein bisschen wie mit dem Frosch, der in einem Topf mit kaltem Wasser sitzt, das langsam zum Kochen gebracht wird. Viele der Babyboomer in Deutschland finden sich mit der Situation ab und versuchen, sich einzurichten – nach dem Motto «Für mich wird es schon noch reichen». Meine Sorge ist eben, dass das ein Irrtum ist.
Kann die deutsche Politik dem nicht entgegenwirken? Deutschland ist schliesslich immer noch der Stabilitätsanker der Euro-Zone.
Wie bereits gesagt: Wer im Euro spart, ist der Dumme. Das Problem an der Sache ist, wenn die Deutschen dasselbe machen wie die Franzosen und Italiener und auch nicht mehr sparen, dann wird das Vertrauen in den Euro schneller erodieren. Das ist ein Dilemma. Trotzdem finde ich, es wäre sinnvoll, Deutschland wirtschaftlich fit zu machen – das würde der Euro-Zone auch helfen. Dazu sollte man mehr in das Land investieren, beispielsweise in die Infrastruktur und in die Digitalisierung. Heute wird ein Grossteil des Staatsgeldes eben nicht produktiv verwendet. Der Staat hat keinen Geldmangel, das Geld wird falsch ausgegeben.
Für Sparer und Privatanleger ist es heute nicht leicht, Vermögen aufzubauen und zu sichern. Was raten Sie ihnen?
Die beste Lösung ist es, einen Teil des Vermögens kostengünstig und global diversifiziert in Aktien und Aktienprodukten anzulegen. Zudem finde ich es sinnvoll, einen gewissen Anteil an Gold im Portfolio zu haben. Von Immobilien in der Euro-Zone rate ich eher ab, die demografische Entwicklung und die Politik sprechen dagegen.