Ein Taiwan-Krieg ist eine reale Gefahr

Vor zwei Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, dass es wirklich zu einem großangelegten Angriff Russlands auf die Ukraine kommen würde. Selbst in den Wochen vor dem Angriff, als der Aufmarsch Russlands täglich im Fernsehen gezeigt wurde, glaubte ich noch an eine friedliche Lösung. An eine Drohgebärde – mehr nicht.

Dass China das Ziel verfolgt, eine „Wiedervereinigung“ mit Taiwan herbeizuführen, ist bekannt. Eine gewaltsame Vorgehensweise hätte massive militärische und wirtschaftliche Konsequenzen zur Folge – bis hin zu vermutlich umfangreichen Zerstörungen in Taiwan. Daher ging ich bisher davon aus, dass China eher auf Zeit setzt, um eine friedliche Lösung in den kommenden Jahrzehnten zu erreichen.

Könnte ich mich erneut irren? Könnte ein Krieg wahrscheinlicher sein? Könnte es sein, dass die chinesische Führung befürchtet, dass mit jedem Tag, der vergeht, die Chancen, mit einer militärischen Operation erfolgreich zu sein, geringer werden und nicht größer?

Die USA verstärken ihre Präsenz in der Region und schmieden neue Allianzen. Dennoch kommen Beobachter wie der ehemalige Harvard-Professor für Geschichte und Wirtschaft Niall Ferguson zu der Einschätzung, dass die USA noch zehn Jahre brauchen, um in der Position zu sein, China glaubhaft militärisch abzuschrecken. Stimmt diese Einschätzung, könnte das die Verlockung für China erhöhen, dem zuvorzukommen.

Ging die Welt noch bis vor Kurzem davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis China die USA als größte Wirtschaft der Welt ablöst, zeigt sich nun, dass das Wachstum deutlich nachlässt, die schrumpfende Bevölkerung die Entwicklung dämpft und die Produktivitätszuwächse gering sind. Gut möglich also, dass China im Vergleich zu den USA einen relativen Höhepunkt erreicht hat und die Führung diesen Moment nutzen muss.

China bereitet sich auf Konflikt vor

Die faktische US-Sanktionspolitik mit Blick auf Hochtechnologie dürfte ihre Wirkung nicht verfehlen. Zwar hat China in vielen Bereichen selbst eine starke technologische Position, doch vom Zugang zu Hightech-Chips dürfte alles abhängen. Bleibt dieser erschwert, könnte China zum Schluss kommen, dass es nicht lohnt zu warten.

Es ist auch unstrittig, dass sich China auf einen Konflikt vorbereitet. Die Landung in Taiwan wird geübt, das Militär aufgerüstet und die militärische Infrastruktur in den Provinzen an der Küste zu Taiwan ausgebaut.

Zugleich erweitert das Land seine Nahrungsmittelvorräte immer weiter, obwohl diese schon die größten der Welt sind und bereits heute für 18 Monate reichen, wie der „Economist“ schreibt. Die Kapazität an Kohlekraftwerken wird massiv aufgestockt – allein in den vergangenen sechs Jahren um so viel neue Kapazität, wie sie der Rest der Welt besitzt – um unabhängiger von Gasimporten zu werden, heißt es vom Beirat des China Center des Hudson Institute. 

Die Ölvorräte steigen und China hat systematisch daran gearbeitet, sich die Lieferung von Öl aus Staaten zu sichern, die sich nicht unbedingt einem westlichen Sanktionsregime anschließen – darunter einige große Adressen wie Saudi-Arabien. Russland ist ohnehin dem chinesischen Lager zuzurechnen.

Auch mit Blick auf das Finanzsystem sorgt China vor. Seit Jahren reduziert das Land seine Anlagen in US-Staatsanleihen und schichtet unter anderem in Gold um. Die bereits vor den Sanktionen gegen Russland laufenden Arbeiten an einer Alternative zum westlichen Swift-System für den Geldtransfer unter Banken wurden intensiviert. Sie sind Bestandteil der Bemühungen, um die BRICS-Allianz aufstrebender Schwellenländer herum eine neue, anti-westliche Allianz zu schmieden.

Defensive oder Offensive?

Es ist möglich, dass dies alles defensiven Charakter hat, dass China einen Angriff der USA fürchtet, weil die Vereinigten Staaten sich stärker in der Region engagieren. Ebenso kann es jedoch auch der Auftakt eines eigenen Angriffs sein, motiviert durch den Eindruck, nur noch jetzt die Chance zu haben, einen Krieg auch gewinnen zu können.

Kein Geringerer als der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hat jüngst gewarnt: „Angesichts der aktuellen Entwicklung der Beziehungen halte ich einen militärischen Konflikt für wahrscheinlich.“

Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Folgen der auf den Kriegsfall zu erwartenden westlichen Sanktionen gegen China, aber auch die wohl kaum zu vermeidenden Zerstörungen der global systemrelevanten Halbleiterindustrie Taiwans für die Weltwirtschaft und besonders für die deutsche Wirtschaft verheerend wären.