Der Draghi-Plan gefähr­det den Fort­bestand der EU

Im Jahr 2000 versprachen die Regierungschefs der Europäischen Union in Lissabon, die Staatengemeinschaft innerhalb von zehn Jahren zur „wettbewerbsfähigsten Region“ der Welt zu machen. 2010 verlängerte man angesichts der akuten Euro-Krise den Zeithorizont bis 2020, als dann die Coronakrise die Schlagzeilen beherrschte.

Heute braucht es keine umfassende Analyse, um festzustellen, dass die EU alle Ziele weit verfehlt hat. Weder bei Bildung noch bei Innovationen oder der Anzahl europä­i­scher Technologiekonzerne gab es Fortschritte. Kräftige Zuwächse gab es nur bei Regulierung, Büro­kratie und Sozialstaat.

Nun wurde der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, bemüht, um aufzuschreiben, was jeder nüchterne Beobachter schon lange weiß: Die EU wird nach hinten durchgereicht.

Draghi, heute Berater der EU-Kommission, hat geliefert, was die Auftraggeber von ihm erwartet haben: eine Beschreibung des relativen Abstiegs der Europäischen Union und eine Lösung, die mehr EU, mehr Staat, mehr Staatsausgaben und mehr gemeinsame Schulden beinhaltet. Hätten diese Instrumente in der Vergangenheit funktioniert, hätte die Gemeinschaft ihr Lissabon-Ziel schon lange erreicht.

Im Kern basiert das Konzept von Draghi auf der Solidität Deutschlands. Unsere verbliebene Kreditwürdigkeit soll gemeinsame Schulden der EU garantieren, die deutschen Transfers den bereits hochverschuldeten Staaten helfen. Verweigern sich die Deutschen dieser Rolle, so droht laut Draghi das Ende der EU.

Die deutsche Wirtschaftspolitik gefährdet die EU

Dabei geht es inzwischen gar nicht mehr nur um die Bereitschaft, sondern auch um die Fähigkeit, diese Rolle zu übernehmen: Die deutsche Wirtschaftspolitik der verganenen zwei Jahrzehnte gefährdet nicht nur akut den hiesigen Wohlstand, sondern die gesamte EU.

Die auch von Draghi monierten viel zu hohen Energiekosten aufgrund einer verfehlten Energiewende führen immer offensichtlicher zu einem Verlust hochproduktiver und gut bezahlter Arbeitsplätze im Inland. Die hohe Abgabenlast steht in keiner Relation zum Zustand von Infrastruktur und Bildungssystem.

Die Politik gefällt sich in der Rolle des Regulierers und Gestalters und scheitert damit genauso wie Planwirtschaftler in anderen Ländern. Die einzige Wachstumsbranche neben dem immer mehr wuchernden Staat dürfte bald die Insolvenzberatung sein.

Deutschland befindet sich in einer Strukturkrise, und die Deindustrialisierung ist eine reale Gefahr, wie nun auch der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt – nachdem er viel zu lange nicht nur geschwiegen, sondern die falschen politischen Prioritäten mitgetragen hat.

Deutschland muss sich zuerst selbst sanieren

Deutschlands Antwort auf die Vorschläge von Draghi muss deshalb anders ausfallen als von Brüssel und den hochverschuldeten Staaten wie Frankreich und Italien erhofft. Statt gemeinsamen Schulden zuzustimmen, muss sich die Bundesrepublik erst einmal in den Zustand versetzen, der EU weiterhin helfen zu können.

Dafür muss Deutschland seine verbliebene Kreditwürdigkeit für sich selbst mobilisieren – durch Sonderschulden für Investitionen in Infrastruktur sowie in Bildung und Digitalisierung. Außerdem müssen dringend durch ein Umsteuern der Energiewende die Energiepreise dauerhaft gesenkt werden. Das wäre durch den Bau von neuen Kraftwerken im Süden Deutschlands statt des teuren Netzausbaus möglich.

Die EU gibt es nur mit einem wirtschaftlich starken Deutschland. Wenn wir Draghi folgen und Schulden für andere machen, riskieren wir die EU.