Der Davoser Konsens ist eine Illusion

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero:

Nach dem Weltwirtschaftsforum in Davos verkündete Grünen-Chef Robert Habeck, außer US-Präsident Donald Trump stehe die globale Elite geschlossen hinter dem deutsch-europäischen Versuch, den Klimaschutz mit staatlicher Regulierung und einer Verbotspolitik zu fördern. Cicero-Ökonom Daniel Stelter legt dar, warum diese Einschätzung an der Realität vorbeigeht:

Nach der Rede des US-Präsidenten Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos sorgte ein Kommentar des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck für viel Aufregung. Er erklärte den US-Präsidenten „zum Gegner“, wörtlich: „Er ist der Gegner. Er steht für all die Probleme, die wir haben.“

Nachdem diese Aussage für einige Diskussionen gesorgt hat, zeichnete Habeck im Interview mit dem Deutschlandfunk das Bild eines „Davoser Konsenses“ zur Klimapolitik, um Trump als einzigen Ewiggestrigen zu charakterisieren. Es lohnt sich, seine Darstellung genauer unter die Lupe zu nehmen:

These 1: Die Unternehmen wollen eine Abkehr von der Marktwirtschaft

Habeck: „(…) Unternehmen (…) haben verstanden, dass sie aus prinzipiellen Gründen die marktwirtschaftlichen Prozesse überdenken müssen, dass sie den Kapitalismus regulieren müssen, dass sie technische Innovationen lenken müssen und dass Wachstumsfetischismus (…) falsch ist.“

Robert Habeck hat in Davos also mit vielen Vertretern von Unternehmen gesprochen und diese haben dann ihm gegenüber – so seine Aussage – erklärt, dass sie die bestehende Wirtschaftsordnung für ungeeignet halten, den Klimawandel zu begrenzen. Ich will jetzt gar nicht bezweifeln, dass solche Aussagen gefallen sind, jedoch muss man sie hinterfragen:

  • „Marktwirtschaftliche Prozesse“ bedeutet nichts anderes, als dass der Markt den effizientesten Weg findet, um beispielsweise den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Bekannte Instrumente sind Steuern auf CO2 oder Emissionszertifikate. Diese Instrumente haben bisher schon funktioniert. Die Tatsache, dass wir beispielsweise in Deutschland in einigen Bereichen hinter den Zielen zurückliegen, ist darauf zurückzuführen, dass sie – wie beispielsweise der Verkehrssektor – noch nicht in den Zertifikatehandel einbezogen sind. Es steht zu erwarten, dass die Unternehmensführer in diese Richtung gedacht haben, nicht in Richtung einer Planwirtschaft.
  • Dies ist es auch, was hinter der „Regulierung des Kapitalismus“ steht. Wenn Unternehmer sich für mehr Regulierung einsetzen, tun sie dies nicht ohne Hintergedanken. Denn wem nutzt diese „Regulierung“? Erfahrungsgemäß nutzt sie jenen, die schon im Markt sind, werden sie doch vor Wettbewerb geschützt. Beispielsweise bin ich als Produzent von Gütern in Europa daran interessiert, vor kostengünstigeren Wettbewerbern aus anderen Gegenden der Welt „geschützt“ zu werden. In Davos treffen sich überwiegend jene, die von der Verteidigung des Status quo profitieren – also die etablierten Unternehmen. Da darf man sich über Zuspruch für wettbewerbsbegrenzende Regulierung nicht wundern.
  • Technische Innovationen werden auch heute „gelenkt“. Und zwar in die Bereiche, die am meisten Ertrag versprechen. Diese Lenkung erfolgt schon heute überwiegend durch die Unternehmen, ist also nichts Neues. Wichtig ist das Preissignal, weshalb es ökonomisch richtig ist, dieses Preissignal über eine CO2-Abgabe zu setzen.
  • Was den „Wachstumsfetischismus“ betrifft, ist noch größerer Zweifel an Habecks Aussagen angebracht. Die Vertreter der Wirtschaft wissen – und übrigens auch die meisten Politiker – dass nur mit mehr Wachstum die Armut in der Welt weiter reduziert werden kann und die Verteilungskonflikte in den alternden und hoch verschuldeten Gesellschaften des Westens bewältigt werden können. Sie wissen auch, dass wir seit Jahren eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch haben! Obwohl wir mehr Wirtschaftsleistung haben als vor 20 Jahren, brauchen wir dafür deutlich weniger Energie und Rohstoffe. Diesen Weg gilt es weiterzugehen. Wenn ein Unternehmensführer ernsthaft antritt und sagt, dass sein Unternehmen nicht mehr weiter wachsen will, dürfte seine Amtszeit rasch enden. Und das zurecht.

Was Habeck hier als „Konsens“ darstellt, ist eine Illusion. Die Unternehmen befürchten Wettbewerbsverzerrungen zu ihren Lasten und hoffen auf Wettbewerbsvorteile durch staatliche Eingriffe. Beides ist legitim, aber kein Beweis für einen breiten Konsens. Vor allem mit Blick auf eine Abkehr von Marktwirtschaft und Wohlstandssteigerung.

These 2: Der Staat weiß es besser

Habeck: „Die Frage ist, kann das die Wirtschaft alleine machen, und das glaube ich wiederum nicht. Das ist quasi die Grenze von Davos. Ich glaube, es braucht politische Steuerung. Sonst werden die zarten Pflanzen, die da sind, gleich wieder zertrampelt unter den Kräften von unregulierten Märkten.“ Und später: „Es braucht sicherlich Ausstiegsfahrpläne für die verschiedenen Techniken, Verbrennungsmotoren, Kohlekraftwerke und so weiter.“

Habeck freut sich zwar über die Tatsache, dass die Wirtschaft ernsthaft etwas tun möchte gegen den Klimawandel, spricht sich aber erneut für staatliche Planwirtschaft aus. Die Politik soll „steuern“, weil sonst die „zarten Pflanzen“ zertrampelt werden. Was die Frage aufwirft, wann dies denn der Fall wäre. Es wäre dann der Fall, wenn sich der Umstieg beispielsweise auf erneuerbare Energien nicht rechnen würde. Doch sie rechnen sich, wie führende Vertreter der Energiewende immer wieder betonen. Schon heute sind Solar- und Windenergie ohne Subvention konkurrenzfähig. Das Problem ist die fehlende Speichermöglichkeit für die so erzeugte Energie, und dieses Problem werden wir nur durch technischen Fortschritt lösen, nicht durch Schutzmaßnahmen für „zarte Pflanzen“. Wer sehen möchte, wie drastisch der technische Fortschritt ist, dem empfehle ich den Zukunftsforscher Tony Seba, der eindrücklich vorrechnet, vor welchen grundlegenden Umbrüchen wir stehen. Getrieben von der Wirtschaft, nicht der Politik.

„Unregulierte Märkte“ dürften sich übrigens nur schwer finden lassen. Es ist ein Märchen, dass die Märkte nicht reguliert seien. Wir haben Umweltauflagen, Gesundheitsauflagen, soziale Standards – das ist auch gut so – und deshalb gibt es so etwas wie „unreguliert“ ohnehin nicht. Sicherlich kann und sollte man in vielen Bereichen darüber nachdenken, ob man das richtige Maß an Regulierung hat, und dabei dürfte nicht selten herauskommen, dass es dem einen oder anderen Markt guttun würde, weniger reguliert zu werden.

Noch problematischer ist, wenn Politiker vorschreiben wollen, welche Technologien zum Einsatz kommen. So gibt es namhafte Kritik an der Idee eines Verbotes von Verbrennungsmotoren, weil damit beispielsweise die Verwendung von klimaneutralen E-Fuels ebenfalls verhindert wird. Dass der Staat es übrigens nicht besser weiß, sieht man, wenn man auf die Bilanz der deutschen Energiewende blickt. So haben wir beispielsweise die Solarenergie mit über 80 Milliarden Euro gefördert, was zu CO2-Einsparungen von rund zwei Prozent hierzulande beiträgt. Die Industrie sitzt jetzt in China und macht von dort aus vor, wie es geht: Durch möglichst schnelle Umstellung auf Massenproduktion sinken die Kosten und Preise massiv. Damit ist dem Klima mehr geholfen als mit staatlichen Subventionen.

These 3: Die Finanzindustrie ist auch an Bord

Habeck: „Die Banken suchen Anlagefonds. Sie haben das klar gesagt. Sie sagen, wenn jetzt das Vermögen von A nach B geht (…) dann rechnen sie damit, dass die Erben sagen, na ja, ich will mein Geld aber nicht in Kohleminen oder in Ölförderanlagen anlegen, sondern das muss schon woanders hingehen.“

Dies meinte Habeck als Reaktion auf den Hinweis der Gesprächspartnerin, dass mit BlackRock einer der größten Vermögensverwalter der Welt in Zukunft auf die Klimafolgen bei den Anlageentscheiden berücksichtigen will. Ein weiterer wichtiger Baustein für Habecks Davoser Konsens. Dabei ist auch hier ein genauerer Blick interessant:

  • Aus Sicht von Investoren stellt der Klimawandel, vor allem aber auch die Maßnahmen der Politik gegen den Klimawandel ein Investitionsrisiko dar. Steuern und Regulierungen entwerten vorhandene Assets, zum Beispiel bei Ölkonzernen. Dies kann zu entsprechenden Kursverlusten an den Börsen und auch zu Kreditausfällen führen. Darauf muss man sich vorbereiten.
  • Auch bei einem geordneten Übergang besteht die Gefahr plötzlicher Kursverluste und Pleiten, die wie Schockwellen auf den Kapitalmärkten wirken. Zuletzt hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auf diese Gefahren in einer Studie hingewiesen.

Deshalb kann es nicht überraschen, dass die Finanzindustrie sich auf diese Gefahren einstellt. Daraus zu schließen, es gäbe einen breiten Konsens, vor allem auch mit Blick auf die angedachten Eingriffe in die Märkte, ist eine gewagte These.

These 4: Ökoprotektionismus ist gut und wird akzeptiert

Habeck: „(…) es (wird) immer Widersprüche geben zwischen einigen Staaten, die vorangehen, und anderen, die hinterher bleiben. (Deshalb ist die sogenannte Grenzausgleichsabgabe) eine notwendige Idee (…). Natürlich ist das Ganze nicht ohne Risiko, weil andere Staaten das als Abschottung ihrer Märkte begreifen werden. Umgekehrt kann man aber hoffen und darauf hinarbeiten, dass es die Umsetzung des Klimaabkommens befördert, und die haben ja letztlich alle Staaten bis auf die USA, die aussteigen wollen, unterschrieben, sodass eigentlich im Prinzip der Schritt der richtige ist, einen Anreiz zu geben den anderen Staaten, auch so zu produzieren.“

Kommen wir zum letzten Punkt, der aus dem Interview mit Robert Habeck heraussticht. Sollte es doch nicht den globalen Konsens geben, den es laut Habeck in Davos ja gegeben hat, dann sollte sich die EU vor den Wettbewerbern schützen, die nicht den gleichen Weg gehen. Dies soll durch einen Sonderzoll auf Importe erfolgen, die nicht genauso CO2-effizient erzeugt wurden, wie die Produkte aus der EU. Damit wird in der Praxis nicht nur der Willkür Tür und Tor geöffnet – denn wer will genau bestimmen, wie viel CO2 im Ausland tatsächlich angefallen ist? – sondern auch für Gegenmaßnahmen der anderen Regionen.

Dies ist besonders gefährlich, weil wir seit der Finanzkrise – schon vor Donald Trump – einen deutlichen Anstieg protektionistischer Maßnahmen gesehen haben und die EU damit die ideale Vorlage für weiteren Protektionismus liefert. Angesichts der geringen weltweiten Wachstumsraten wird die Verlockung der Politik, sich durch Protektionismus Vorteile zu verschaffen, weiter zunehmen. Eine Spirale an Zöllen, Steuern und Abgaben droht und wird die Weltwirtschaft weiter belasten. Eine Gefahr, die man nicht einfach schulterzuckend hinnehmen darf mit der Hoffnung, anderen Staaten, „einen Anreiz zu geben“ auch so zu produzieren. Warum sollten sie?

Es ist stark zu bezweifeln, dass andere Regionen dem planwirtschaftlichen Ansatz Deutschlands, der EU und damit auch Robert Habecks folgen werden. Dies bedeutet, dass die EU erheblich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren wird und damit zu immer mehr Interventionen gezwungen sein wird, um angebliches nicht klimakonformes Verhalten zu bestrafen.

Es gibt keinen Konsens

Habeck: “Wenn man Klimaschutz ernst meint und einen Präsidenten hat, der Klimaschutz verachtet, dann ist er ein Hindernis bei der Suche nach neuen Lösungen und in dem Sinne dann der Gegner auf der Konferenz. (…) Gepaart mit einem Leugnen oder einem Verneinen des Klimawandels hat er den Geist, der in Davos da war, eher versucht, auszutreiben als zu befördern.“

Der Geist von Davos war aber gespalten. Während die Europäer Ihre Vision des Green Deals priesen, wurde der außerhalb Europas mit Skepsis gesehen. Gerade aus den Schwellenländern kam die Kritik, dass man mit der angedachten Billion Euro mit Investitionen in Afrika und Asien einen deutlich größeren Effekt auf eine Eindämmung des CO2-Austoßes in der Welt hätte. Eine Aussage, die mit Blick auf die Tatsache, dass fast der gesamte Anstieg der CO2-Emissionen in den letzten 20 Jahren auf China und Indien zurückgeht, nicht von der Hand zu weisen ist.

Aus der Tagung in Davos die Nachricht mitzunehmen, die globale Elite wäre für mehr Klimaschutz, ist sicherlich richtig. Aus Davos die Nachricht mitzunehmen, diese globale Elite unterstützte den europäisch-deutschen Versuch, mit staatlicher Regulierung und Verbotspolitik die Ziele zu erreichen, ist sicherlich falsch. Und da ist Donald Trump mit Sicherheit nicht der einzige Skeptiker.

→ cicero.de: “Der Davoser Konsens ist eine Illusion”, 28. Januar 2020