Das Klima­problem lässt sich nicht mit Wachstums­verzicht lösen

Deutschland wächst nicht mehr. Vielen bereitet das Sorgen, andere sehen im Verzicht auf Wachstum einen Beitrag zum Klimaschutz. Anhänger des sogenannten „De-Growth“, Wachstumsverzichts, finden sich im Wirtschaftsministerium und in der EU-Kommission. Der Journalistin Ulrike Herrmann gelang mit ihrer buchgewordenen Forderung nach der Reduktion des hiesigen Wohlstands auf das Niveau der 1970er Jahre – realisiert nach dem Vorbild der britischen Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg – ein Bestseller. Die Vorstellung, nur so ließe sich das Weltklima retten, ist weit verbreitet.

Doch wie groß wären die Effekte und Nebenwirkungen eines Wachstumsverzichts? Der Ökonom Jonathan Moyer vom Pardee Center for International Futures an der Universität Denver ist dieser Frage mit einer im September veröffentlichten Modellierung nachgegangen.

Würden die reichen Staaten ab sofort dem deutschen Vorbild folgen und auf Wachstum verzichten, wäre der gesamte CO2-Ausstoß dieser Länder gegenüber einer Fortschreibung der Trends bis 2050 um 15,3 Prozent niedriger. Da der CO2-Ausstoß in den anderen Regionen deutlich wächst, wäre der globale Rückgang mit 3,6 Prozent gering. Selbst unter der Annahme eines jährlichen Rückgangs der Wirtschaftsleistung um ein Prozent in den reichen Staaten wäre die Reduktion der globalen Emissionen mit zusammen 6,3 Prozent bis 2050 und 10,5 Prozent bis 2100 gering.

Die Nebenwirkungen einer solchen Politik wären laut der Modellrechnung erheblich. Nicht nur wäre sie nur unter massiver Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte umsetzbar, sondern würde auch zu erheblichen Wohlfahrtsverlusten führen: Die Staaten hätten weniger Mittel für die Versorgung der Älteren, für Gesundheit und Bildung. In der Folge stiege die Anzahl der Menschen in extremer Armut entgegen dem bisherigen Trend, während die Lebenserwartung sinkt.

Die UN hat sich bekanntlich 17 Nachhaltigkeitsziele gegeben, und der Klimaschutz ist nur eines davon. Verfolgt man ausschließlich das Klimaschutzziel auf dem Wege des Wachstumsverzichts, verfehlt man alle anderen.

Besonders deutlich wird das im Szenario eines globalen Wachstumsverzichts, bei dem also auch die Schwellenländer und armen Länder kein Wachstum mehr aufweisen. Dieser würde der Modellrechnung zufolge die gesamten CO2-Emissionen bis 2100 um 29 Prozent reduzieren. 2050 müssten dann – kaufkraftbereinigt – zwei Milliarden mehr Menschen von weniger als 1,90 US-Dollar leben als bei Fortschreibung des Trends. Die Lebenserwartung in den reichen Ländern würde um 1,2 Jahre sinken und in den armen Ländern um drei Jahre.

Ursachen für die Nebenwirkungen

Die Ursache für diese Nebenwirkungen ist die Tatsache, dass reiche Länder weniger Mittel hätten für den Umbau der Energieversorgung und für Transfers in die ärmeren Regionen. Die Verteilungskonflikte dürften zudem den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die politische Stabilität gefährden, worauf wir bereits heute einen Vorgeschmack bekommen.

Eine Agenda des De-Growth ist damit nicht nur nutzlos, sondern auch inhuman. Sie kommt letztlich einer Komplettverweigerung gleich, einen gerechten Beitrag zur Lösung der weltweiten Herausforderungen zu leisten. Wie müsste dieser aussehen? Offensichtlich geht es um Maßnahmen, die sowohl dem Klimaschutz dienen wie auch der Erreichung der 16 anderen Ziele der UN. Letztlich waren es immer Innovationen, die Fortschritt für Mensch und Umwelt gebracht haben. Genauso werden wir auch die Herausforderung des Klimawandels meistern.

Jene, die unter dem Slogan „Wir haben für Innovation keine Zeit“ De-Growth als einzige mögliche Lösung propagieren, verkennen, dass ihre Strategie nur eines sicherstellt: die komplette Verfehlung des Ziels.

→ handelsblatt.com: „Das Klimaproblem lässt sich nicht mit Wachstumsverzicht lösen“, 25. Februar 2024