Best of 2015: „Wie die EZB Europa in die Deflation treibt“

Nicht alle Leser gehen jeden Tag auf bto, was natürlich bedauerlich ist. Immerhin gibt es werktags zwei Beiträge zu aktuellen Themen aus der Wirtschaft. Deshalb zum Jahreswechsel eine kleine Auswahl der Highlights aus 2015. Bei der Sichtung habe ich festgestellt, wie zeitlos viele Beiträge sind. 

Erschienen in DIE WELT im Januar 2015:

Die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank trägt lediglich dazu bei, die Grundursache der Krise zu verschleppen: die Überschuldung Europas. Und das ist noch nicht einmal das größte Problem.

Nach der letzten Sitzung des EZB-Rats besteht kaum mehr ein Zweifel daran, dass die Europäische Zentralbank (EZB) konsequent den Weg weiter beschreiten wird, den sie seit Mario Draghis Versprechen, „alles Erforderliche“ zu tun, um den Euro zu retten, eingeschlagen hat. Die deutliche Ausweitung der Bilanzsumme durch das sogenannte “Quantitative Easing” (QE) soll Deflation verhindern und das Wachstum stärken.

Die Zweifel an der Wirksamkeit eines „Quantitative Easing“ sind bekannt. Wenn sich die EZB dennoch in dieses Abenteuer stürzt, mag die Hoffnung bleiben, dass es wenigstens nicht schadet. Doch auch diese Hoffnung trügt; die negativen Wirkungen – sogar in Richtung Deflation – sind erheblich.

Tiefere Zinsen bewirken nicht unbedingt mehr Nachfrage. Im Gegenteil: Wir müssen alle mehr sparen, wollen wir im Alter ausreichende Reserven haben. Kurzfristig mögen die tiefen Zinsen den Konsum beleben. Mittel- und längerfristig sind jedoch keine inflationstreibenden Impulse zu erwarten. Eine zunehmend überalterte Gesellschaft wird definitiv weniger konsumieren.

Insolvente Unternehmen werden am Leben erhalten

Die tiefen Zinsen verhindern die eigentlich erforderliche Bereinigung in der Realwirtschaft und dem Bankensystem. Ähnlich wie in Japan in den 90er-Jahren werden Unternehmen am Leben erhalten, die eigentlich insolvent sind. Von ihnen sind keine Investitionen zu erwarten. Im Gegenteil: Ihr kurzfristig auf Liquidität ausgerichtetes Denken macht sie anfällig für Preisdruck. Mittelbar steigt so auch der Preisdruck auf die eigentlich gesunden Unternehmen.

Billiges Geld führt tendenziell zu höheren Preisen für Vermögenswerte. Damit ist es attraktiver, über Spekulation und Leverage Geld zu verdienen, als über Investitionen in der Realwirtschaft. Dies verstärkt zudem die Ungleichverteilung der Vermögen, die zuletzt von der OECD als Wachstumshemmnis identifiziert wurde.

Der Zins ist ein wichtiger Indikator für das zu erwartende Wirtschaftswachstum und damit die Attraktivität von Investitionen. Es lohnt sich nicht, nur mit Blick auf eine günstige Finanzierung zu investieren, wenn die Aussichten für das nachhaltige Wachstum gering sind.

In Summe trägt dies dazu bei, die Grundursache der Krise zu verschleppen: die Überschuldung Europas. Die deflationäre Tendenz in Europa wird weiter verstärkt statt gelindert. Damit wiederholen wir die Fehler Japans und steuern geradewegs in unser eigenes verlorenes Jahrzehnt.

EZB riskiert Ruf als letzter Retter

Der größte Schaden dürfte jedoch darin liegen, dass die EZB Gefahr läuft, ihren Nimbus als letzter Retter zu verlieren. Klappt Quantitative Easing nicht – und davon ist leider auszugehen –, ist die letzte noch glaubwürdige Institution in der Euro-Zone bloßgestellt. Dann würde allen Beobachtern klar, dass die Euro-Zone wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern eigentlich nackt ist.

Doch vielleicht gibt es ja einen Plan hinter QE, der noch weiter geht, und den man zum heutigen Zeitpunkt nicht offen diskutieren mag? Etwa die Bereinigung der Schulden über die Bilanz der EZB? Seit Monaten mehren sich Stimmen, die einen solchen Weg vorschlagen.

Demnach sollen die Notenbanken im großen Stile Staatsanleihen aufkaufen und diese anschließend annullieren. Das Schuldenproblem wäre so über Nacht gelöst. Inflationsgefahren werden von den Befürwortern verneint, solange es dabei bleibt, dass es sich um eine einmalige Maßnahme handelt.

Sollten sie sich irren und es dennoch zur Inflation kommen, so wäre das nach dieser Auffassung auch nicht so schlimm, würde doch so zugleich das Problem der hohen privaten Schuldenlast gelöst.

Betrachtet man es so, kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass QE konsequent zu Ende gedacht nur auf dieses Szenario zulaufen kann. Japan macht es uns demnächst vor.

DIE WELT: „Wie die EZB Europa in die Deflation treibt“, 9. Januar 2015