Best of 2015: „Ohne Verluste geht es nicht“

Nicht alle Leser gehen jeden Tag auf bto, was natürlich bedauerlich ist. Immerhin gibt es werktags zwei Beiträge zu aktuellen Themen aus der Wirtschaft. Deshalb zum Jahreswechsel eine kleine Auswahl der Highlights aus 2015. Bei der Sichtung habe ich festgestellt, wie zeitlos viele Beiträge sind. 

Folgender Kommentar von mir erschien am 9. Februar in der Süddeutschen Zeitung:

Die bisherige Euro-Krisenstrategie der Bundesregierung ist gescheitert: Die Sparbemühungen ‒ ohnehin nur in Griechenland, Spanien, Portugal und Irland ernsthaft betrieben ‒ stehen nach dem Regierungswechsel in Griechenland vor dem Aus. Weitere Länder werden eine Abkehr vom Sparkurs und Schuldenerlasse für Staaten und Private fordern.

Die Haftungsgemeinschaft für Schulden, lange von Deutschland abgelehnt, wird allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz über die Bilanz der Europäischen Zentralbank realisiert. Der Euro wird absichtlich geschwächt, um ihn als Währung für alle Mitglieder des Clubs verkraftbar zu machen. Zeit also für eine Wende in der Euro-Politik! Es gilt, den weiteren Schaden für Deutschland zu begrenzen. Dazu müssen wir uns an die Spitze der Bewegung setzen, statt ihr hinterherzulaufen. Und es wäre nicht die erste Kehrtwende der Kanzlerin. Hatte die Regierung zuvor die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke als einen Beitrag zur langfristigen Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefeiert, so wurde nach dem Unglück von Fukushima der sofortige Ausstieg beschlossen. Dies, obwohl es weder Erdbeben noch Tsunamis in Deutschland gibt. Zu groß war die Angst von Frau Merkel vor dem Wahlvolk.

Ähnlich ist es heute mit der Euro-Rettung. Noch stützt die breite Bevölkerung den derzeitigen Kurs. Je deutlicher jedoch wird, dass es in Wahrheit zu einer Schuldenübernahme durch die Hintertür ohne Gegenleistung und Mitsprache kommt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Stimmung und damit die Zustimmung kippt. Dies kann die Bundesregierung nur verhindern, wenn sie den Ausstieg aus der bisherigen Euro-Politik selbst betreibt.

Was wäre zu tun? Hier der Plan für eine Rettung der Euro-Zone, bei der auch Deutschlands Interessen gewahrt blieben:

  1. Eingestehen: Die Politik muss eingestehen, dass in Europa Schulden von Staaten und Privaten in der Größenordnung von mindestens drei Billionen Euro nicht mehr bezahlt werden können.
  2. Bereinigen: Diese Schulden müssten auf EU-Ebene in einem Schuldentilgungsfonds gebündelt werden. Für diesen Schuldenüberhang würden die Euro-Länder gemeinsam haften.
  3. Abtragen: Der Schuldenberg wäre über einen längeren Zeitraum von mindestens 20 Jahren abzutragen. Diese zeitliche Streckung reduziert den aktuellen Spardruck in Europa.
  4. Finanzierung mit Euro-Bonds: Der Schuldentilgungsfonds würde mit eigens dafür begebenen Anleihen, für die die Staaten gemeinsam haften, refinanziert. Diese Anleihen hätten eine lange Laufzeit mit geringem Zins und jährlicher Tilgung.
  5. EZB-Finanzierung: Die EZB könnte Teile dieser Anleihen kaufen und so eine langfristige, zinsgünstige Finanzierung dieser Altlast sicherstellen. Je größer der Anteil der von der EZB gekauften Anleihen, desto geringer die laufende Belastung der Staatshaushalte.
  6. Solidarität: Einige Länder, vor allem Griechenland, Spanien, Portugal und Irland, werden niemals in der Lage sein, ihren Schuldenüberhang zurückzuzahlen. Stärkere Länder, allen voran Deutschland, müssten deshalb einen Mehrbeitrag leisten.
  7. Haftungsbeschränkung: Verbunden mit der Sozialisierung der unbedienbaren Altschulden ist zwangsläufig eine Fiskalunion mit Aufgabe der Budget-Hoheit der Staaten. Ist dies politisch nicht durchsetzbar, müssten eine verbindliche Nichtbeistandsklausel und die Regelung von Staatsinsolvenzen vertraglich festgelegt werden.
  8. Echte Reformen: Werden die Altlasten gemeinsam abgebaut, besteht die Chance auf eine Grundlage für eine echte Reformagenda in Europa. Befreit von kurzfristigem Spardruck können die Länder Europas sich auf eine Wachstumsagenda einigen: Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, gezielte Einwanderungspolitik, Investitionen in Bildung, Innovation, Infrastruktur.

Die Idee eines Schuldentilgungsfonds ist nicht neu. Einen ähnlichen Vorschlag hat der Sachverständigenrat der Bundesregierung vor einigen Jahren gemacht. Der heutige Vorschlag geht darüber hinaus, weil er zusätzlich untragbare Privatschulden sowie eine Refinanzierung über langlaufende Anleihen mit Beteiligung der EZB beinhaltet. Je nachdem, wie viele Schulden vergemeinschaftet werden und wie die Refinanzierung des Schuldentilgungsfonds erfolgt, liegen die Kosten für Deutschland bei bis zu einer Billion Euro.

Diese Lösung ist zwar ungerecht gegenüber allen, die gespart haben. Aber der Schaden ist entstanden, und es gibt nur die Wahl, wie er realisiert werden soll: Durch einseitige Zahlungseinstellungen der Schuldner, durch Inflationierung oder in einem geordneten Verfahren. Die Nebenwirkungen der ersten beiden Methoden sprechen für das geordnete Verfahren.

Es ist richtig, dass Gläubiger wie Banken und Versicherungen profitieren. Doch was ist die Alternative? Lässt man die Banken die Verluste tragen, müssen sie wieder mit Steuermitteln gerettet werden. Geht man den Weg der Beteiligung der Bankgläubiger wie in Zypern, werden deutsche Sparer betroffen. Verlieren die Versicherungen Geld, sind es wiederum die Kunden, die Verluste erleiden.

Droht bei Einbeziehung der EZB die direkte Staatsfinanzierung mit der zwangsläufigen Folge der Hyperinflation ‒ wie in Weimar? Im Unterschied zu den kürzlich beschlossenen Maßnahmen der EZB müsste ihr Beitrag in dem Acht-Punkte-Plan einmalig und mit einem vorher definierten und beschränkten Volumen sein. Durch die Bereinigung des Schuldenproblems würde die Wirtschaft in Europa sich rascher erholen und weitere Interventionen der EZB überflüssig machen. Letztlich wäre der Geldwert so sicherer als im derzeitigen Umfeld, wo ein Ende der Interventionen der EZB nicht abzusehen ist.

Eine Wiederholung der Krise ist auch nach einem solchen Schritt nicht auszuschließen. Deshalb muss in den Verhandlungen zum Schuldentilgungsfonds eine weitgehende europäische Integration oder eine wasserdichte No-Bail-out-Klausel vereinbart werden, die für Regierungen bindend ist. Deutschland als Hauptgläubiger der Euro-Zone ist besonders gefordert, wenn es um eine konstruktive Lösung der Krise geht. Die Handelsüberschüsse wurden dadurch erwirtschaftet, dass Kunden Kredit bekamen. Nun, da feststeht, dass diese nicht voll bezahlen können, kommt es zum Forderungsverlust. Deutschland kann nur entscheiden, wie es den Verlust realisieren, sozial gerecht verteilen will und was als Gegenleistung von Schuldnern kommen soll. Noch ist die Position Berlins stark; dies gilt es zu nutzen.

 

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