Keine Rückkehr zum Trend­wachs­tum nach Corona

Bekanntlich haben sich die Wirtschaften der westlichen Welt nicht von den Folgen der Finanzkrise erholt. Das Wachstum lag zwischen 2009 und 2019 unter dem Trendwachstum vor der Krise. Die Folge: ein erheblicher Verlust an Wohlstand und dies, obwohl die Notenbanken Billionen in die Märkte gepumpt und die Staaten – nicht überall, aber zum Beispiel in den USA – weitere Billionen an Schulden gemacht haben.

Nun spricht viel dafür, dass sich das mit Corona wiederholt. Doch diesmal mit einer Verschlechterung gegenüber dem Vor-Corona-Trend, der ja bereits unter dem vor Finanzkrisen-Trend lag. Keine guten Aussichten. Quelle für diese pessimistische Sicht ist der Internationale Währungsfonds. Zunächst die Fakten, danach eine Diskussion der Schlussfolgerungen von Martin Wolf aus der FINANCIAL TIMES (FT):

  • Die Krise wird langfristig ihre Schatten werfen und das Wachstum auf Jahre hinaus schwächen. In den kommenden fünf Jahren droht daher weltweit ein Wohlstandsverlust von 28 Billionen Dollar (23,7 Billionen Euro).“ – bto: berechnet als Differenz zwischen dem Trendwachstum und dem erwarteten Wachstum.
  • „In diesem Jahr wird den neuen Prognosen des IWF zufolge die globale Wirtschaftsleistung um 4,4 Prozent schrumpfen. Im Juni war noch ein Minus von 4,9 Prozent vorhergesagt worden. ‘Diese Verbesserung ist auf etwas weniger schlechte Zahlen im zweiten Quartal sowie auf Anzeichen einer stärkeren Erholung im dritten Quartal zurückzuführen’, schreibt Gita Gopinath, Chefökonomin des IWF, in einem Kommentar zu den Zahlen. (…) für die anderen Länder der Euro-Zone zeichnen die Ökonomen für dieses Jahr ein etwas besseres Bild. Für die USA wurden die Zahlen sogar fast halbiert – statt um acht Prozent werde die Wirtschaftsleistung nur um 4,3 Prozent zurückgehen.“ – bto: Dieser Teil der Prognose dürfte schon jetzt Makulatur sein. Ein Blick auf die neuen Lockdowns genügt.
  • „Für die Schwellen- und Entwicklungsländer insgesamt haben sich die Prognosen dagegen etwas verschlechtert, was vor allem daran liegt, dass für Indien nun in diesem Jahr ein Absturz um 10,3 Prozent vorhergesagt wird.“ – bto: Diese Länder dürften besonders nachhaltig unter den Folgen von Corona leiden. De-Globalisierung, zusätzlich durch den Kampf gegen den Klimawandel begünstigt, trifft diese Länder besonders und dürfte Millionen Menschen wieder in Armut stürzen.
  • „Das einzige größere Land, das in diesem Jahr noch mit einem Wachstum rechnen kann, bleibt China. Das Plus werde nun sogar 1,9 statt 1,0 Prozent betragen, so der IWF, und China werde auch das einzige Land sein, das Ende dieses Jahres die Wirtschaftsleistung von 2019 wieder erreicht haben wird. Allen anderen Ländern der Erde werde dies selbst im kommenden Jahr nicht gelingen.“ – bto: Trotzdem ist das Wachstum tiefer als ohne die Krise, es geht natürlich immer besser, wenn man von einer höheren Flughöhe kommt.
  • „(…) noch gravierender werden die langfristigen Folgen der Ereignisse der vergangenen Monate sein. (…) Das liege daran, dass die Arbeitsmärkte Zeit brauchen, um zu heilen, und Investitionen aufgrund von Unsicherheit und Finanzproblemen in den Betrieben gebremst werden. (…) Zudem führe aber auch der zeitweise Ausfall des Schulbetriebes dazu, dass das Humankapital, also das Wissen und die Fähigkeiten der Menschen, beeinträchtigt werden.“ – bto: Es ist eine Schädigung der Angebotsstruktur, die dazu führt, dass das Wachstum nicht zum Vorkrisentrend zurückfindet.
  • „(…) weiteren Grund dafür ist, dass es in der Wirtschaft zunehmend zu einer Zombifizierung – viele Unternehmen, die eigentlich nicht überlebensfähig sind, werden durch das billige Zentralbankgeld am Leben gehalten und verhindern somit eine Erneuerung von Strukturen.“ – bto: Auch das ist ein bekanntes Thema.
  • „Blickt man fünf Jahre nach vorne bis zum Jahr 2025, so werde sich der Wohlstandsverlust bis dahin sogar auf 28 Billionen Dollar ausweiten. (…) Der IWF fordert die Staaten daher dazu auf, sich diesem Trend entgegenzustellen. Zunächst solle dazu die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Pandemie verbessert werden. Zudem sollten staatliche Hilfen nur langsam zurückgefahren werden, im Einklang mit der Erholung der Wirtschaft. Frei werdende Mittel sollten für einen Ausbau der Infrastruktur verwendet werden, insbesondere um einen klimagerechten Wandel zu unterstützen.“ – bto: natürlich. Es gibt viele gute Gründe, mehr Geld auszugeben im Versuch, um jeden Preis die Wirtschaft auf höhere Wachstumsraten zu bringen.

Schauen wir mal auf die Gedanken von Martin Wolf von der FT zu dem Thema:

  • “We know that many businesses have been hurt, as demand for their output collapsed or they were locked down. The second waves of the disease now crashing on to many economies will make this worse. As the IMF’s Global Financial Stability Report shows, financial fragility is increasing in already highly indebted sectors of high-income economies, as well as in emerging and developing countries.” – bto: Was klar ist, denn schon eine normale Rezession hätte die bis zur Grenze geleveragte Wirtschaft und das Finanzsystem schwer getroffen.
  • “The world economy has benefited from extraordinary support from central banks and governments. According to the IMF’s Fiscal Monitor, fiscal support has amounted to “$11.7tn, or close to 12 per cent of global GDP, as of September 11 2020”. This is vastly more than the support offered after the global financial crisis.” – bto: Vor allem war es realwirtschaftliche Unterstützung. Ein großer Unterschied.
  • “The longer the pandemic continues, the bigger those scars will be. The IMF is already forecasting a big shortfall in economic activity relative to potential in 2022-23.(…) Not surprisingly, the fund also now forecasts significantly lower growth of real gross domestic product per head between 2019 and 2025 than it forecast in January.” – bto: Wie schon diskutiert, ist das durchaus nachvollzieh- und erwartbar.

Quelle: FT, IWF

  • “(…) the capacity of governments to act varies hugely. But those with globally accepted currencies have enormous room for manoeuvre. (…) Fiscal policy has to play a central role, as it alone can provide the necessary targeted support. Central bankers have been clear about this.” – bto: So kann man es sagen, es geht nur mit Fiskalpolitik.
  • “(…) attention must shift towards active labour market policies and big boosts to public investment. This, argues the Fiscal Monitor, will strongly stimulate private investment. Mechanisms for accelerated debt restructuring will be needed, too.” – bto: vor allem mit Blick auf die Unternehmensschulden. Dort ist eine Umstrukturierung unerlässlich.
  • “All this spending is going to raise public deficits and debt substantially. The global general government fiscal deficit is forecast to hit 12.7 per cent of GDP this year; in high-income economies, it will reach 14.4 per cent. The global ratio of general government debt to GDP is forecast to jump from 83 to 100 per cent of GDP between 2019 and 2022, with that for high-income countries going from 105 to 126 per cent.” – bto: Und wir nähern uns einer Welt, in der diejenigen mit tiefen Schulden die Dummen sind.
  • “For high-income countries, real interest rates on long-term borrowing are zero, or less. Central banks are also credibly committed to maintaining very easy monetary policies. Governments can afford to spend. What they cannot afford is not to do so, leaving economies to falter, people to feel abandoned, economic scarring to worsen and economies to be caught in permanently lower growth.” – bto: Die FT befürwortet dauerhaft höhere Staatsausgaben auf Pump bzw. notenbankfinanziert. Das ist kurzfristig durchaus richtig, aber nicht auf Dauer. Ist Japan das Vorbild? Vor allem in der Eurozone wird es schwierig werden.
  • “If, ultimately, taxes have to rise, they must fall on the winners. This is a political necessity. It is also right.” – bto: Ja, wer sind denn die “Gewinner”? Ich sehe niemanden, der in der Pandemie gewinnt. Pharmafirmen? Wohl eher interventionistische Politiker. Nur die werden bestimmt nicht bezahlen.

Klar ist, was folgt: zunehmende politische und gesellschaftliche Spannungen, weil der Kuchen nicht mehr wächst – eher schrumpft. Populismus, zunehmende staatliche Eingriffe (Green Deal, Konjunkturprogramme), getragen von der irrigen Meinung der Staat bzw. die Politiker wüssten besser wie es geht. Dabei verschärfen sie das Problem nur noch. Monetarisierung auf Euroebene mit der damit verbundenen Umverteilung zwischen den Ländern – vor allem zu Lasten Deutschlands. In Deutschland verschlimmert durch eine Politik, die überhaupt nicht in Kategorien der Wohlstandssicherung für die eigenen Bürger denkt und stattdessen über weitere Abgaben nachdenkt. Dramatisch.

welt.de (Anmeldung erforderlich): „Diese Krise kostet Wohlstand in unvorstellbarem Ausmaß“, 13. Oktober 2020

ft.com (Anmeldung erforderlich): „The threat of long economic Covid looms“, 20. Oktober 2020