Eichengreen: „Das Fed könnte weiter zögern“

Vorausgeschickt: Natürlich ist es viel wahrscheinlicher, dass die Fed die Geldschleusen weiter öffnet, statt auf die Bremse zu gehen. Auch die geänderte politische Lage nach den Anschlägen von Paris spricht dafür – wobei es lediglich einen Vorwand für mehr Schulden und mehr Geld liefert, wie schon mehrfach angesprochen.

Ohnehin ist die ganze Zinserhöhungsidee nur deshalb im Raum, weil auf diesem Weg wieder Munition nachgeladen werden soll für die nächste Krise. Natürlich kann man Negativzinsen, Helikoptergeld und Bargeldverbot auch so durchsetzen, aber es ist doch leichter, wenn man das erst im zweiten Schritt tun muss.

Berkeley-Professor Barry Eichengreen äußert sich in einem Gespräch mit der FuW zur Lage der Weltwirtschaft und den Aussichten für die Geldpolitik. Die Highlights:

  • „Manche argumentierten, dass China ein aussergewöhnlicher Fall sei und das hohe Wachstum unbegrenzt weitergehen werde. Doch die Exporte und die Investitionen konnten nicht wie bisher auf ewig wachsen. Ausserdem sinkt nun die Erwerbsbevölkerung, wie man verlässlich vorhersagen konnte. Ich sehe nichts, was am geringeren Wachstum in China überraschend oder problematisch wäre.“ – bto: abgesehen von den hohen Schulden, die das Problem verschärfen und den vielen Rohstofflieferanten, die auf einen ewigen Boom gesetzt haben.
  • „Der einfachste Weg, die Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt zu senken, ist Wirtschaftswachstum. Es müssen auch die Schulden von Unternehmen restrukturiert werden, die ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können. China hat gerade erst angefangen, damit zu experimentieren. Die Restrukturierung von Schulden wird nur zum volkswirtschaftlichen Problem, wenn das Bankensystem beschädigt wird.“ – bto: Das betrifft ja nicht nur China, sondern fast die ganze Welt. Was ich allerdings eine steile These finde, ist, dass faule Schulden nur ein Problem sind, wenn das Bankensystem beschädigt wird. Wenn private Gläubiger oder Steuerzahler für den Verlust aufkommen, schädigt das nicht?
  • „Sagt man, die hohe Verschuldung gefährde das chinesische Wachstum, muss man auch sagen, welche chinesischen Geldhäuser betroffen wären und warum man sie nicht reparieren könnte. Die Regierung hat grosse Reserven. Das letzte Mal, als es Probleme mit den Banken gab, wurden die Dollarreserven eingesetzt, um den Finanzsektor zu rekapitalisieren. Warum sollte das nicht noch einmal gehen?“ – bto: O. k., die Ersparnisse des Volkes werden dafür mobilisiert. Die Weltfinanzmärkte dürften das spüren. Es ist aber eben nicht „problemlos“.
  • Zu der zunehmenden Kapitalflucht aus China: „Die Abflüsse entsprechen einer geldpolitischen Straffung. Die Regierung beantwortet das mit der Lockerung der Mindestreserven für die Banken und sinkenden Einlagenzinsen. Der Effekt auf die chinesische Wirtschaft ist daher wohl nicht gross. Aber ausländische Investoren sind besorgt, da China den Bestand an US-Staatsanleihen verkaufen muss, um den Wechselkurs zu halten. Das hat einen Effekt auf ausländische Volkswirtschaften, auch auf die USA.“ – bto: Das leuchtet ein.
  • Deshalb: „Die Kreditbedingungen in den USA sind wegen der chinesischen Bondverkäufe restriktiver als erwartet. Es ist möglich, dass die Chinesen weiterhin für 60 Mrd. $ monatlich US-Staatsanleihen verkaufen und das Fed weiterhin zögern wird.“ – bto: weil die US-Wirtschaft eben doch keine höheren Zinsen verkraftet.
  • „Niemand – auch nicht das Fed – weiss, wie viel ungenutzte Kapazität die US-Wirtschaft aufweist. Wir haben noch nie einen Arbeitsmarkt wie jetzt gesehen. Die Erwerbsquote ist über das vergangene Jahrzehnt dramatisch eingebrochen. Wenn die Personen, welche die Erwerbsbevölkerung verlassen haben, für immer ausgeschieden sind, dann ist die Auslastung der Volkswirtschaft hoch.“ – bto: Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt auch für das Wachstumspotenzial.
  • „Mein Vorschlag wäre eine Kombination aus einer unveränderten Geldpolitik und mehr Schuldenaufnahme durch den Staat, um produktive Investitionen zu finanzieren. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Die USA haben etwa ein veraltetes Verkehrsnetz. Ausserdem gibt es Investitionsbedarf im Gesundheits-, im Bildungs- und im Forschungswesen.“ – bto: Er sagt es nicht, aber auch hier steht Helikoptergeld irgendwie im Raum.
  • Zum Thema Währungskrieg: „In den Dreissigerjahren haben Länder, die nicht ihre Geldpolitik verwendet haben, zu Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen gegriffen. Sie sind zum Protektionismus übergegangen. Für die Weltwirtschaft wäre das schlechter als die Abwertung von Währungen.“ – bto: Das mag sein. Abwertungswettläufe bringen aber auch nicht viel.

Und letztlich die Empfehlung weiter auf dem Gaspedal zu bleiben: „Die Alternative zur lockeren Geldpolitik wären tiefe Rezessionen in den Schwellenländern und eine deutlichere Verlangsamung in China. Das hätte noch negativere Auswirkungen auf die US-Wirtschaft. Auch ein stärkerer Dollar wäre kein so grosser Schock.“

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: Eichengreen: „Das Fed könnte weiter zögern“, 10. November 2015

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