China – alles halb so wild?

Es ist interessant, wie zurzeit über China diskutiert wird. Auch von mir. Unstrittige Probleme werden beschrieben – hohe Verschuldung, Überkapazitäten im Immobiliensektor, schwache Nachfrage, … Aber: Muss das alles auf eine Krise hindeuten?

Das Analysehaus Gavekal hat mal zusammengetragen, was dafür spricht, dass China nicht das Problem ist:

1.     Die Kurse von Bankaktien

  • Bei Gavekal betrachten wir Bankaktien als Frühindikatoren für finanzielle Schwierigkeiten. Wenn wir sehen, dass Bankaktien neue Tiefststände erreichen, ist das meist ein Signal dafür, dass Anleger so schnell wie möglich den Ausstieg anstreben sollten. Dies war 2007/08 in den USA der Fall. Zwischen Februar 2007 und Juli 2008 (sechs Wochen vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers) verloren Bankaktien -60 % ihres Wertes. Das gleiche Muster zeigte sich in Europa. Zwischen Januar 2010 und August 2011 fielen die Bankaktien der Eurozone um -45 % und stürzten auf neue Tiefststände, noch bevor die Spreads von Club Med zu explodieren begannen.

Und was passiert in China?

  • Nun lässt sich nicht leugnen, dass chinesische Bankaktien in den letzten Jahren nicht der richtige Ort waren. Dennoch sind chinesische Bankaktien im letzten Jahrzehnt immer noch deutlich gestiegen. Und in diesem Jahr haben sie nicht einmal den Tiefststand von 2022 erreicht, der am 31. Oktober nach dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas erreicht wurde. Natürlich ist die folgende Grafik kaum verlockend, selbst wenn die Steigung des gleitenden 200-Tage-Durchschnitts positiv ist. Dennoch scheinen chinesische Bankaktien kein kurzfristiges Armageddon für den Finanzsektor anzukündigen.

Quelle: Gavekal
  • Wenn wir uns die Wertentwicklung chinesischer Bankaktien im Vergleich zu US-amerikanischen und EU-Bankaktien in den letzten fünf Jahren genauer ansehen, haben die Banken der drei großen Wirtschaftszonen der Welt eine ungefähr ähnliche Aktienkursentwicklung erzielt.
  • Betrachtet man die Performance des vergangenen Jahres, scheint dies darauf hinzudeuten, dass ein Problem mit den Banken eher in den USA als in China liegt, wo die Bankaktien seit Jahresbeginn unverändert geblieben sind. Wenn Sie sich also nur die Diagramme ansehen, würden Sie zu dem Schluss kommen, dass das schwache Glied im System nicht die chinesischen Banken, sondern die regionalen Banken der USA sind. In den vergangenen fünf Jahren kam es bei US-Regionalbanken zu zwei massiven Ausverkäufen – Ausverkäufen der Art, die den Aktionären Unbehagen bereiten.“
Quelle: Gavekal

2.     Die chinesischen Aktienmärkte

  • Angesichts der anhaltenden Negativität in den Medien könnte man erwarten, dass die chinesischen Aktienmärkte neue Tiefststände erreichen. Sicherlich haben die chinesischen Aktienmärkte enttäuschende Renditen erzielt. Dennoch bleiben alle wichtigen chinesischen Indizes – der Shanghai Composite, der Hang Seng, H-Aktien – über ihrem Tiefststand vom 31. Oktober des KPCh-Kongresses, typischerweise um 10 % bis 20 %. Niemand bei Gavekal behauptet, ein technischer Analyst zu sein; und wir wissen auch, dass alle Kapitäne, die mit ihren Schiffen auf dem Meeresgrund lagen, sich auf Karten verließen. Auch wenn die folgende Grafik wenig verlockend ist, verkündet sie doch nicht, dass eine wirtschaftliche Katastrophe unmittelbar bevorsteht.

 

Quelle: Gavekal

3.     Rohstoffe

  • China ist der größte oder zweitgrößte Importeur fast aller wichtigen Rohstoffe, die man sich vorstellen kann. Wenn die chinesische Wirtschaft also einen Zusammenbruch erleben würde, würden Sie mit schwachen Rohstoffpreisen rechnen. Heute erleben wir das Gegenteil. Der CRB-Index hatte im Jahr 2023 bisher ein starkes Jahr und wird über seinem gleitenden 200-Tage-Durchschnitt gehandelt. Darüber hinaus weist der gleitende 200-Tage-Durchschnitt jetzt eine positive Steigung auf. Alles in allem scheint dies eher auf einen sich entfaltenden Rohstoff-Bullenmarkt als auf einen Zusammenbruch Chinas hinzudeuten.“

Quelle: Gavekal

4.     Wechselkurse

  • „(…) der Renminbi (war) in den letzten Monaten schwach, obwohl er, ebenso wie chinesische Aktien, die Tiefststände vom Oktober noch nicht durchbrochen hat. Das ist gegenüber dem US-Dollar. Gegenüber dem Yen, der Währung von Chinas direkterem Konkurrenten Japan, steigt der Renminbi weiter an und ist nicht mehr weit davon entfernt, neue Allzeithochs zu erreichen. Und interessanterweise erholte sich der Renminbi in den letzten Wochen gegenüber dem südkoreanischen Won. Das ist etwas kontraintuitiv. In den letzten Wochen wurden Unmengen von Tinte darüber verschüttet, dass China das Zentrum eines sich entwickelnden Finanzstrudels sei. Typischerweise erleben Länder, die sich in der Finanzkrise befinden, keinen Anstieg ihrer Währungen gegenüber denen ihrer unmittelbaren Nachbarn und Konkurrenten.“ – bto: Ein einleuchtendes Argument.

5.     Chinesischer Konsum

  • Macau Tourismus wieder auf dem Vor-Corona-Niveau 2018
  • Autoverkäufe stabil hoch
  • Alibaba mit stärkstem ersten Quartal in der Geschichte
  • „Mit anderen Worten: Eine Reihe von Daten scheint darauf hinzudeuten, dass sich der chinesische Konsum gut behauptet. Dies könnte erklären, warum die Aktienkurse von LVMH, Hermès, Ferrari und den meisten anderen Herstellern von Luxusgütern im Jahresvergleich gestiegen sind. Wenn China wirklich vor einem Wirtschaftsabsturz stünde, würden Sie dann nicht erwarten, dass die Aktienkurse von Herstellern von Luxusgütern zumindest ein gewisses Maß an Besorgnis widerspiegeln?“ – bto: Das würden sie.

6.     Markt für Staatsanleihen

Und jetzt kommen sie zu dem sehr kritischen Aspekt:

  • „In den letzten 12 Monaten haben US-Staatsanleihen mit langer Laufzeit eine negative Gesamtrendite von -17,05 % erzielt. Im gleichen Zeitraum erzielten chinesische Bankaktien eine positive Gesamtrendite in Renminbi von 6,7 %. Welche Art von Finanzkrise führt dazu, dass die Banken des Krisenlandes die US-Staatsanleihen um über 20 % übertreffen? Es wäre völlig beispiellos.“ – bto: Das ist auch ein valides Argument.
  • „Bleiben wir beim Markt für US-Staatsanleihen: Es ist auch merkwürdig, wie chinesische Staatsanleihen in den letzten Jahren die US-Staatsanleihen so deutlich übertroffen haben. Nachdem ich eine ganze Reihe von Krisen in Schwellenländern durchgemacht habe, kann ich mit der Hand auf dem Herzen sagen, dass ich noch nie zuvor gesehen habe, dass die Staatsanleihen eines Schwellenlandes in der Krise besser abgeschnitten haben als US-Staatsanleihen. Doch seit Beginn der Corona-Krise haben chinesische Staatsanleihen mit langer Laufzeit die langfristigen US-Staatsanleihen um 35,3 % übertroffen.“ – bto: Es sind erhebliche Unterschiede zugunsten China.

Quelle: Gavekal

research.gavekal.com: „Making Sense Of The China Meltdown Story“, 23. August 2023