Alle wissen es: “Die Euro-Krise ist noch nicht vorbei”

Die Jubelmeldungen aus der Eurozone nehmen kein Ende. Die Wirtschaft erholt sich, die Arbeitslosigkeit sinkt, der Euro gewinnt an Wert. Seht her, liebe Bürgerinnen und Bürger, ruft da die Politik: Wir haben das Problem gelöst! Und das ist eben nicht zutreffend, wie auf bto schon mehrfach diskutiert. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Probleme wurden verschleppt (faule Privatschulden, Banken, Strukturprobleme). Dies sehen auch die Experten so, die nicht mehr eingebunden sind in das System, so auch Otmar Issing im Gespräch mit der WiWo. Die Highlights:

  • Der Euro war im Kern ein politisches Projekt, kein ökonomisches. Die Idee, dass Europa durch den Euro zusammenwächst, spielte eine überragende Rolle. Ich habe davon nie viel gehalten. Eine Währung ist eine Währung. Man sollte sie nicht überhöhen.” bto: Man sollte die Währung aber auch nicht zu einer Zwangsjacke machen, die nicht kompatible Strukturen zusammenzwingt.
  • Zum Vergleich zwischen Bundesbank und EZB: “Rein rechtlich steht die Unabhängigkeit der EZB sogar auf festerem Fundament. Das Bundesbank-Gesetz hätte der Bundestag jederzeit mit einfacher Mehrheit ändern können. Die Stellung der EZB beruht hingegen auf einem völkerrechtlichen Vertrag, der nur einstimmig veränderbar ist. Darin steht unmissverständlich, dass die EZB keine Weisungen der Politik entgegennehmen darf.” bto: Da frage ich mich natürlich, wie es um politische Besetzung der EZB-Gremien steht und um die Regelung “one man one vote” angesichts völlig unterschiedlicher Kapitalanteile.
  • Meine Sorge ist, dass sich die EZB eine politische Aufgabe aufgebürdet hat, für die sie kein Mandat hat – nämlich die Zusammensetzung des Euro-Raums in der bestehenden Form zu garantieren. Im Kern ist es ja genau das, was EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner berühmten „Whatever it takes“-Rede bezweckt hat. (…) Die Regierungen verlassen sich nun darauf, dass es die EZB im Krisenfall schon richten werde.” bto: Das war nur konsequent und die EZB wird das weiter so machen.
  • Der Musterknabe ist Irland. Die Regierung hat den Bürgern reinen Wein eingeschenkt und gesagt: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt und müssen das korrigieren. Die Bevölkerung hat das akzeptiert. Auch Spanien hat wichtige Reformen umgesetzt und weist nun die höchste Wachstumsrate in der Euro-Zone auf. Die Griechen hingegen haben versucht, die Misere wahlweise Spekulanten oder den Deutschen anzulasten, nicht aber der eigenen Politik (…).” bto: Mit Blick auf die Reformen mag das stimmen. Mit Blick auf die Gesamtverschuldung gilt es definitiv nicht. Auch Irland ist weiterhin pleite und Spanien hat die Staatsschulden nicht unter Kontrolle.
  • Staaten wie Griechenland täte ein Sabbatical außerhalb der Währungsunion gut. Allerdings müsste es von massiven Hilfen der anderen Länder und einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik begleitet werden. Und man müsste den Wiedereintritt in die Euro-Zone von grundlegenden Reformen abhängig machen.” bto: Das klingt in der Theorie gut, in der Praxis kann ich mir das ohne Kettenreaktion nicht vorstellen. Und was, wenn die Länder dann gar nicht mehr zurückwollen?
  • Zur unnötigen Deflationsangst: “Selbst in Japan, das seit 20 Jahren mit Deflation oder sehr niedriger Inflation lebt, hat es eine solche negative Preisspirale nie gegeben. Studien der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zur Geschichte der Deflation zeigen: Die einzige schlimme Deflation war die der Dreißigerjahre. Ansonsten sind Phasen vorübergehend sinkender Preise historisch nie in einen deflationären Absturz eingemündet.” bto: Ursache war in den 30er-Jahren die hohe Verschuldung! Nicht unbedingt die Deflation. Letztere führte erst im Zusammenhang mit den Schulden zu der Depression.
  • Warum wir noch keine Inflation sehen: “Wir leben in einer ökonomisch neuen Welt, die wir noch nicht richtig verstehen. Das Wachstum der Zentralbankgeldmenge schlägt sich bisher nicht in einem deutlich stärkeren Wachstum der Geldmenge M3 nieder, also der Geldmenge, die für Güterkäufe relevant ist. Die Liquidität steckt im Bankensystem fest. Das hat mit der schwachen Kreditnachfrage und der Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe in den vergangenen Jahren zu tun.” bto: oder einfach mit der Überschuldung?
  • Sie sollten auf das schauen, was die Vermögenspreise treibt: die Kredit- und Geldmengenentwicklung. Wenn Aktienkurse und Immobilienpreise kräftig zulegen und dies durch eine starke Kreditexpansion begleitet wird, signalisiert dies eine zu lockere Geldpolitik. Die Zentralbanker sollten dann die Zinsen erhöhen (…).” bto: in der Theorie brillant. Nur haben wir zu hohe Schulden, weshalb die Realwirtschaft sofort in die Knie gehen würde.
  • Die Märkte haben sich auf dauerhafte Niedrigzinsen eingestellt. Schauen Sie sich nur die Bilanzen der Banken und Versicherungen an. Je länger die Niedrigzinsphase anhält, desto mehr niedrig verzinste Anleihen und Kredite landen in ihren Depots. Sollten die Zinsen steigen, gehen die Kurse der Anleihen auf Talfahrt. Auf die Institute kommen dann hohe Abschreibungen zu. Die Notenbanken haben Angst, die Finanz- und Immobilienmärkte könnten in die Knie gehen, wenn sie an der Zinsschraube drehen.” bto: Und die Schuldenkrise könnte wieder offen ausbrechen. 
  • Mittlerweile aber geht die EZB-Strategie über die Geldpolitik hinaus. Sie kauft Staatsanleihen. Das hat die Situation verändert. Kann man von einem Notenbankpräsidenten eines Euro-Landes, das auf die Fortsetzung der Käufe angewiesen ist, erwarten, dass er seine nationale Sichtweise an der Tür zur EZB abgibt?” bto: Natürlich nicht! Und deshalb spielt die Zusammensetzung der EZB-Gremien eine so große Rolle.
  • Fakt ist: Die Geldpolitik ist derzeit expansiver als in den Jahren nach der Finanzkrise, obwohl sich die Wirtschaft der Euro-Zone deutlich erholt hat. Das Festhalten an niedrigen Zinsen ist daher die falsche Medizin. Oder glauben Sie im Ernst, es gäbe in Europa viele Unternehmen, die sagen: Wir investieren nicht, weil die Zinsen zu hoch sind? Dafür sind ganz andere Hemmnisse verantwortlich!” bto: Wohl wahr! Vor allem die Überschuldung.

→ wiwo.de: “Die Euro-Krise ist noch nicht vorbei”, 31. Juli 2017