Warum wir das Geld-System stürzen müssen
Die westlichen Industrienationen stehen vor einem historischen Schuldenproblem, nachdem sie Kriegslasten ähnelnde Verbindlichkeiten in Friedenszeiten angehäuft haben. Anders als nach dem Zweiten Weltkrieg, als Europa die hohen Schulden in einer Phase des Wiederaufbaus und starken Wachstums abbauen konnte, besteht diese Hoffnung heute nicht.
Schrumpfende Erwerbsbevölkerungen, stagnierende Produktivitätsfortschritte, hohe Energiekosten und ein massiver Verlust an Wettbewerbsfähigkeit verbauen diesen Weg. Die Kostenexplosion aufgrund der demografischen Entwicklung steht unmittelbar bevor und verschärft die Budgetprobleme.
Gleichzeitig stehen wir vor großen geopolitischen Herausforderungen. In der neuen, multipolaren Welt, geprägt von der Rivalität zwischen China und den USA, muss Europa selbst für die eigene Sicherheit sorgen und die Verteidigungsausgaben massiv erhöhen, obwohl der fiskalische Spielraum bereits heute gegen null tendiert.
Die naheliegenden Lösungen – Sparen oder Steuererhöhungen – sind politisch toxisch. Sparmaßnahmen können den Aufstieg populistischer Parteien befördern, höhere Steuern bremsen das Wachstum.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass angesichts dieser Lage die Regierungen zum Instrument der finanziellen Repression greifen. Dahinter verbirgt sich eine Politik künstlich niedriger Zinsen, kombiniert mit regulatorischen Maßnahmen, die Banken und Versicherungen faktisch zwingen, Staatsanleihen zu kaufen. Wenn die Zinsen für Staatsschulden unter dem – inflationsbedingt höheren – nominalen Wirtschaftswachstum liegen, schrumpfen die Schulden real und zwar auf Kosten der Sparer.
Doch auch diese Lösung ist nicht ohne Nebenwirkungen: Sie untergräbt langfristig das Wirtschaftswachstum. Wenn der wichtigste Preis einer Marktwirtschaft – der Zins – politisch manipuliert wird, kann die intertemporale Kapitalallokation nicht mehr funktionieren. Die Folge sind Zombifizierung, Misallokation und strukturelle Wachstumsschwäche.
Der Chicago-Plan wäre eine Alternative
Es gäbe eine Alternative. Bereits 1933 entwickelten die Professoren Henry Simons und Irving Fisher mit dem sogenannten Chicago-Plan eine revolutionäre Idee: Sie plädierten für den Umstieg auf ein sogenanntes Vollgeldsystem. Statt dass Banken Geld wie heute aus dem Nichts schaffen können, würden sie nur noch jenes Geld verleihen dürfen, welches sie tatsächlich als Einlagen haben – gedeckt zu 100 Prozent von der staatlichen Zentralbank.
Der Charme des Vorschlags liegt in der Möglichkeit, beim Übergang vom heutigen System zum System der völligen Zentralbankgelddeckung auch noch den lästigen Schuldenüberhang loszuwerden. Wie das? In einem ersten Schritt müssen die Banken sämtliche Ausleihungen zu 100 Prozent mit Zentralbankgeld decken. Da sie das bisher nicht tun, müssen sie sich das dazu erforderliche Geld beim Staat leihen.
Da der Staat dann Kreditgeber und Schuldner zugleich ist – die Banken halten bereits jetzt im erheblichen Umfang Staatsanleihen –, kann man eine Bilanzverkürzung vornehmen: Die Forderungen und Verbindlichkeiten werden einfach verrechnet. Dass das funktioniert, haben die Ökonomen Jaromir Benes and Michael Kumhof bereits 2012 vorgerechnet.
Kritiker befürchten, dass ein solches System zu dauerhafter Fehlallokation von Kapital und höherer Inflation führt, weil der Staat zu viel Einfluss auf das Geldsystem hätte. Dem kann auf zwei Wegen begegnet werden. Zum einen behielten die Banken die Kernaufgabe der Finanzierung der Privatwirtschaft, zum anderen sollte es einen Währungswettbewerb geben, wie Thomas Mayer und Norbert Tofall vom Flossbach-von-Storch-Institut vorschlagen.
Wenn Bürger bei einer schlechten staatlichen Geldpolitik in private Alternativen abwandern können, wirkt dies disziplinierend für den Staat, der dann nicht beliebig die Geldmenge ausweiten kann. Schon heute macht es die technologische Entwicklung für den Staat ohnehin immer schwerer, Privatwährungen zu verbieten.
Der digitale Euro böte die Chance für einen solchen Systemwechsel. Noch betont die EZB, nicht den Weg in Richtung Vollgeld gehen zu wollen. Angesichts der sich abzeichnenden Staatsschuldenkrise sollte das aber auf den Prüfstand.
→ handelsblatt.com: „Warum wir das Geld-System stürzen müssen“, 28. September 2025

