Die politische Polarisierung ruiniert Frankreichs Staatshaushalt
Für Barry Eichengreen, Wirtschaftshistoriker an der Universität Berkeley in Kalifornien, ist politische Polarisierung eines der größten Risiken für die öffentlichen Finanzen. Je stärker die großen politischen Lager auseinanderdriften, desto größer ist die Versuchung, die jeweils eigene Klientel mit staatlichen Transfers zu begünstigen, und desto geringer die Bereitschaft für Kompromisse zur Ausgabenreduktion.
Mit Blick auf die französische Präsidentschaftswahl ist das nicht nur für Frankreich selbst, sondern auch für die EU und Deutschland eine schlechte Nachricht. Mehr als 50 Prozent der Franzosen haben im ersten Wahlgang für Radikale von der rechten und der linken Seite gestimmt. Damit bestätigte sich die Spaltung des Landes in globalisierte Metropolen wie Bordeaux und Paris und die abgehängten ländlichen Regionen.
Marine Le Pen konzentriert sich in ihrem Wahlkampf auf die Letzteren. Dort geraten die Bürger durch den Inflationsanstieg zusätzlich unter Druck. Präsident Emmanuel Macron hat vor der Wahl bereits milliardenschwere Programme zu Dämpfung der Energiepreise und zur Stärkung der Kaufkraft verabschiedet.
Le Pen verspricht unter anderem Einkommensteuerbefreiung für unter Dreißigjährige, Mehrwertsteuersenkung auf Energie und zinsgünstige Darlehen von bis zu 100.000 Euro für junge Paare, die nicht zurückgezahlt werden müssten, wenn sie drei oder mehr Kinder bekommen.
Die Denkfabrik Institut Montaigne schätzt, dass ihr Programm jährliche Mehrausgaben von über 100 Milliarden Euro bedeuten würde. Finanziert würde das wohl zum Teil über höhere Steuern, überwiegend aber auf Kredit.
Staatsfinanzen entwickeln sich schon länger kritisch
Macron distanziert sich im Werben um die Wähler des nur knapp ausgeschiedenen radikal linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon von seiner zuvor geplanten Rentenreform. Dabei gibt Frankreich etwa 13,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Renten aus, fast doppelt so viel wie der OECD-Durchschnitt. Auch der öffentliche Dienst muss sich keine Sorgen machen. Relativ arbeiten in Frankreich 25 Prozent mehr Menschen für den Staat als in Deutschland. Der Anteil ist unter Macron gestiegen.
Die Staatsfinanzen laufen schon seit Jahren aus dem Ruder. Im Jahr 2021 betrug das Defizit 6,5 Prozent des BIP, und die Staatsverschuldung nähert sich 120 Prozent. Die Schulden wachsen, egal ob die Wirtschaft gut läuft oder nicht. Die EU-Kommission sieht tatenlos zu, „weil es Frankreich ist“ (Jean-Claude Juncker).
Kein Wunder, dass Paris hartnäckig auf eine Schulden- und Transferunion drängt. Politisch ist die Belastung der Steuerzahler anderer Länder – allen voran Deutschlands – weitaus attraktiver, als der eigenen Bevölkerung Einschnitte zuzumuten. Deutschland sollte sich dem entgegenstellen. Charles de Gaulles Bonmot, „Nationen haben keine Freunde, Nationen haben Interessen“ gilt auch für uns.
→ handelsblatt.com: “Die politische Polarisierung ruiniert Frankreichs Staatshaushalt”, 22. April 2022