Energie­politik: Wer sich selbst schä­digt, darf nicht auf Gnade hoffen

Die EU-Energieminister haben in der letzten Woche einen „guten Kompromiss“ erzielt, so Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Endlich gäbe es Aussichten auf günstigeren Strom für die Verbraucher.

Hintergrund war die Problematik, dass im europäischen Strommarkt der letzte – teuerste – Anbieter den Marktpreis setzt. Und dies ist meist ein Gaskraftwerk. Durch den Krieg in der Ukraine ist bekanntlich der Gaspreis gestiegen und damit der Strompreis.

Künftig soll mit sogenannten „Differenzverträgen“ gearbeitet werden. Dabei garantiert der Staat den Erzeugern einen Mindestpreis. Liegt der Strompreis, der sich nach wie vor im Markt bildet, darüber, zahlt der Stromerzeuger die Differenz an den Staat, der diese Mittel für Investitionen, aber auch für Erstattungen an die Verbraucher nutzen kann. Ein hoher Gaspreis führt so nicht mehr zu hohen Gewinnen bei den anderen Stromerzeugern, und die Verbraucher werden entlastet.

Für Ärger sorgte auf deutscher Seite, dass die bestehenden französischen Kernkraftwerke in diese Regelung mit einbezogen werden. Monatelang wurde alles versucht, um dies zu verhindern, vor allem weil die Bundesregierung zu Recht befürchtet, dass Frankreich daraus einen Wettbewerbsvorteil erzielt.

Frankreich hat in Reaktion auf die Ölkrise der 1970er-Jahre auf Atomkraft gesetzt, Deutschland auf günstig verfügbare Kohle. Deutschland hat nach dem Tsunami in Fukushima den Atomausstieg vorgezogen, was den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in einem Telefonat mit Angela Merkel zu der Frage veranlasste, seit wann es Tsunamis in Bayern gäbe.

Die deutsche Energiewende taugt nicht als Vorbild

Auch wenn der französische Anlagenpark veraltet ist und einen Wartungsrückstand hat, muss die Bundesregierung anerkennen, dass Strom aus bereits bestehenden Atomkraftwerken nicht nur CO2-neutral, sondern vor allem auch unschlagbar billig ist. Berechnungen gehen davon aus, dass auch die deutschen Atomkraftwerke deutlich billiger Strom erzeugt hätten als Windparks und Solaranlagen.

Kann man Frankreich nun vorwerfen, dass es einen anderen Weg der Stromerzeugung gegangen ist als Deutschland? Die deutsche Energiewende – vom „Wall Street Journal“ als „dümmste Energiepolitik der Welt“ gebrandmarkt – taugt nicht als Vorbild. Frankreich ist dem vermeintlichen Vorbild nicht gefolgt und plant auch künftig nicht, es zu tun. Das Land will die historische Chance nutzen, mit billigerer Energie der Industriestandort der Zukunft zu sein, übrigens auch zur Erzeugung von günstigem Wasserstoff.

In der Tat haben die Energieminister der Europäischen Union in der vergangenen Woche einen „guten Kompromiss“ erzielt. Denn in Wahrheit ist es kein Kompromiss, sondern ein aus wettbewerblicher Sicht völlig gerechtfertigter „Sieg“ Frankreichs, wie es aus Paris hieß. Man kann nicht mutwillig die eigenen Standortfaktoren massiv schädigen und erwarten, dass die anderen es nicht ausnutzen.

„Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen; das erste Postulat kennzeichnet das Ziel, das zweite den Weg, der zu diesem Ziel führt,“ erkannte schon Ludwig Erhard. Höchste Zeit, dass man sich im Bundeswirtschaftsministerium auf die eigenen Grundsätze besinnt und endlich so handelt, wie man es erwarten muss, nämlich für günstige Energie zu sorgen. Immerhin sind noch nicht alle Atomkraftwerke abgerissen.

→ handelsblatt.com: „Energiepolitik: Wer sich selbst schädigt, darf nicht auf Gnade hoffen, 22. Oktober 2023