Der digitale Euro – entweder überflüssig, gefährlich oder genial
Bisher ist digitales Zentralbankgeld (CBDC – Central Bank Digital Currency,) nicht besonders weit verbreitet. Lediglich die Notenbanken der Bahamas, Jamaikas, Nigerias und der Organisation Ostkaribischer Staaten haben bis jetzt CBDCs ausgegeben. Doch die Erwartungen sind hoch, dass in den kommenden Jahren viele weitere Notenbanken dem Beispiel folgen, so auch die EZB.
Zwei unterschiedliche Anwendungsbereiche stehen im Vordergrund. Zum einen soll der Zahlungsverkehr zwischen Banken und Zentralbanken erleichtert werden. Ein Vorhaben, welches vor allem von China vorangetrieben wird, um eine Alternative zum US-Dollar-basierten System zu haben. Zu groß ist die Sorge, eines Tages Ziel von Sanktionen zu sein.
Der andere Anwendungsbereich zielt auf eine Alternative zum Bargeld ab. Die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness schwärmt von einer neuen Welt, in der man bargeldlos und sicher bezahlen kann. Nüchterne Betrachter fragen sich da zu Recht, wo der Unterschied zu den weit verbreiteten Zahlungssystemen wie Apple Pay, PayPal und Kreditkarten liegt. Auch die anderen Ziele, die von den Proponenten des digitalen Euros zur Begründung herangezogen werden, wie problemlose Zahlungen, den Zugang aller Bürger zu einem Bankkonto und die Senkung von Transaktionskosten, sind entweder schon Realität oder lassen sich einfacher auf anderem Wege erreichen.
Der Verdacht liegt nahe, dass es Staaten und Notenbanken in Wahrheit darum geht, mehr Informationen über ihre Bürger zu sammeln und vor allem darum, geldpolitische Ziele durchzusetzen. Das wird offiziell zwar bestritten, Zweifel sind jedoch mehr als angebracht.
Bargeld stellt eine Grenze für Geldpolitik da. Ist der Zins beispielsweise negativ, lohnt sich die Lagerung im Tresor. Gibt es Bargeld nicht mehr oder nur noch in kleiner Denomination, lassen sich negative Zinsen problemlos durchsetzen. Ebenso wäre es möglich, politisch unerwünschte Aktivitäten – übermäßiger Konsum von Fleisch, Produktion CO2-intensiver Güter – mit erschwerten Finanzierungsbedingungen zu bestrafen. Dies mag – Stand heute – als unberechtigte Skepsis gesehen werden. Doch muss man sich fragen, weshalb ein Nutzen betont wird, den es nachweislich nicht gibt und mögliche Anwendungen, die für die Politik sehr verlockend sein müssen, ausgeschlossen werden.
Noch mehr überrascht, dass eine Änderung der bestehende Geldordnung ebenfalls ausgeschlossen wird. Wie Bargeld heute, sollen CBDC nur einen geringen Teil der Geldmenge ausmachen und keineswegs die dominierende Rolle des Bankensystems bei der Geldschöpfung ersetzen. Angesichts des übermäßigen Wachstums des Finanzsektors in den letzten Jahrzehnten, der stark gestiegenen Verschuldung von Staaten und Privatsektor und der infolgedessen deutlich gestiegenen Häufigkeit von Finanzkrisen, sehen Beobachter in einem Systemwechsel zu rein staatlicher Geldschöpfung einen möglichen Lösungsweg.
Dieses sogenannte „Vollgeldsystem“, bei dem nur die Notenbank Geld schaffen kann, hätte zudem den Charme, dass sich im Zuge der Umstellung die übermäßigen Schulden der Staaten bereinigen ließen. Dass dies möglich ist und wie es funktionieren würde, haben Ökonomen bereits in den 1930er-Jahren im sogenannten Chicago-Plan aufgezeigt und Forscher des IWF bestätigten die Machbarkeit 2012 mit umfangreichen ökonometrischen Modellierungen. Es funktioniert, weil sich die Banken zur Hinterlegung der Ausleihungen das dafür erforderliche Zentralbankgeld vom Staat leihen müssten, der es dann mit den Forderungen gegen sich selbst verrechnet. Alternativ könnte die EZB den digitalen Euro mit den ausstehenden Staatsschulden der Euroländer decken, verbunden mit einer Begrenzung künftigen Wachstums von Schulden und Geldmenge, wie es der Ökonom Thomas Mayer vorgeschlagen hat. Der Nachteil aus Sicht der Staaten wäre allerdings, dass es künftig nicht mehr möglich wäre, sich in diesem Maße zu verschulden.
Der digitale Euro könnte also durchaus dazu beitragen, die Währungsunion zu stabilisieren. Vielleicht trauen sich die Akteure nur nicht offen auszusprechen, dass es im Kern genau darum geht. Andernfalls bleibt der digitale Euro ein überflüssiges oder gar gefährliches Konzept.