Falsches Sparen

Die Bundesregierung will 2024 nach derzeitiger Planung 445,7 Milliarden Euro ausgeben, rund sechs Prozent weniger als im laufenden Jahr. Die Kritik ist groß. „Die Zeit“ titelt: „Solidarität wird eingespart“, und die „taz“ spricht von einer „Rotstift-Koalition”. Beides hat mit der Realität wenig zu tun.

Nimmt man 2019, das letzte Jahr vor der Coronakrise, als Maßstab, wird das deutlich: Die Ausgaben des Bundes entsprachen mit 343 Milliarden Euro rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Der aktuelle Vorschlag für 2024 entspricht 11,5 Prozent des BIP. Um, bezogen auf das BIP, zum Vor-Corona-Niveau zurückzukehren, müsste man weitere 58 Milliarden einsparen. Mit Blick auf die Ausgaben für Arbeit und Soziales lässt sich feststellen, dass diese um weitere 3,3 Prozent ansteigen sollen und dann 4,5 Prozent des BIP ausmachen, verglichen mit vier Prozent 2019.

Wer also fehlende „Solidarität“ kritisiert, sollte das nicht am Volumen, sondern an der Verwendung der Gelder festmachen. Ein viel zu großer Teil wird innerhalb der Mittelschicht umverteilt.

Seit Jahren belegt die hiesige Verwaltung einen der letzten Plätze in Europa, wenn es um die Digitalisierung geht. Für Bürger und Unternehmen bedeutet dies Bürokratie, Zeitverluste und unnötige Arbeit, wie zuletzt an der Datenerhebung für die neue Grundsteuer zu sehen.

Prioritätensetzung symptomatisch für Politik

Zwar geloben die jeweiligen Regierungen seit vielen Jahren Besserung und verabschieden immer großspurigere Gesetze, in der Praxis geht es aber nicht voran. Umso merkwürdiger, dass die Mittel für die Digitalisierung der Verwaltung im Haushalt des Innenministeriums von 377 auf 3,3 Millionen Euro gekürzt werden.

Die Mittel dienten bisher dazu, die Digitalisierung des Bundes voranzubringen und die Bundesländer ebenda zu unterstützen. Angeblich – so die Bundesregierung – sollen die Arbeiten bis zum Jahresende abgeschlossen sein.

Eine mutige Aussage, zeigt doch eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, dass zum Jahresende 2022 nur 18 Prozent des Ziels von 575 Onlineangeboten flächendeckend erreicht wurden.

Zwar gibt es im Bundeshaushalt auch an anderen Stellen Budgets für IT- und Digitalprojekte, und einige Bundesländer dürften mit eigenen Mitteln vorgesorgt haben. Dennoch bleibt der Skandal, dass das zentrale föderale Budget, das bisher für die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen für Bürger und Wirtschaft gemäß Onlinezugangsgesetz bereitstand, faktisch gestrichen wird.

Diese Prioritätensetzung ist symptomatisch für die Politik der vergangenen Jahrzehnte. In Reden und auf Wahlplakaten wird Digitalisierung und Modernisierung versprochen, im Handeln geht es um Wunschprojekte für die jeweilige Klientel.

Ergebnisse fehlen

Es mangelt dem Staat nicht an Geld, es mangelt an Politikern, die willens und fähig sind, die Mittel sinnvoll auszugeben. Stattdessen werden weitere Steuererhöhungen gefordert, ungeachtet der Tatsache, dass jetzt schon die Abgabenlast hoch und die Bereitschaft, im Lande zu investieren, gering ist.

Ebenfalls gefordert wird, dass der Staat mehr Schulden macht. Dieser Forderung würde ich mich sofort anschließen – aber aus anderen Gründen. Es ist sinnlos, zu sparen, wenn man die Währung mit Staaten teilt, die wie Frankreich nicht im Ansatz dazu bereit sind, das Wachstum ihrer Staatsschulden zu begrenzen.

Das deutsche Problem ist jedoch, dass neue Schulden nicht dazu verwendet werden würden, in das Land zu investieren. Seit Jahren werden beispielsweise höhere Abgaben damit begründet, das Bildungssystem zu verbessern, ohne dass Letzteres geschieht – von messbaren Ergebnissen ganz zu schweigen.

Mehr Schulden würden absehbar für einen weiteren Ausbau des Sozialstaats verwendet werden oder für politische Wunschprojekte – von der Förderung regierungsnaher NGOs bis zu ineffektiven Maßnahmen im Klimaschutz –, aber nicht dazu, das Wachstumspotenzial Deutschlands zu heben.

Dabei bräuchten wir genau dies, um den Sozialstaat in Zukunft noch finanzieren zu können. Die Regierung spart nicht an der „Solidarität“ heute. Sie spart an der Fähigkeit zur Solidarität morgen.

handelsblatt.com: “Die ‘Rotstift-Koalition’ spart an der falschen Stelle”, 23. Juli 2023