„Chinas Verschuldungsboom – gefährliche Parallelen“
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Chinas Börsen spielen verrückt. Einem einzigartigen Boom folgte ein dramatischer Absturz, gefolgt von immer panischer wirkenden Eingriffen der Regierung. Platzt die Blase, hat dies erhebliche Konsequenzen für Weltwirtschaft und Eurozone.
Bis vor Kurzem galten zwei Dinge als sicher: Die Notenbanken haben alles unter Kontrolle und die chinesische Regierung hat ihre Wirtschaft im Griff. Weil dies so ist, kann eigentlich nichts schiefgehen, so der weitverbreitete Glaube.
Spätestens seit den jüngsten Turbulenzen im Markt für Staatsanleihen in Europa dürfte klar sein, dass die Notenbanken nicht so allmächtig sind, wie die Finanzmärkte denken. Zuvor haben schon die mäßigen Ergebnisse der geldpolitischen Aktivitäten der Fed Anlass gegeben, an der Wirksamkeit der Geldpolitik zu zweifeln. Zu schwach ist die Erholung der US-Wirtschaft seit 2009 ausgefallen.
Nun wackelt die andere Gewissheit. Die chinesische Regierung mag zwar mehr Einfluss auf die Wirtschaft haben, über mehr Munition in Form von Währungsreserven verfügen und dank Politmonopol schneller handeln können, doch die Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft gelten auch hier. China und damit die Weltwirtschaft steht vor erheblichen Herausforderungen.
Verschuldungsboom nach westlichem Vorbild
Bekanntlich hat China in den letzten 7 Jahren so viele Schulden gemacht wie kein anderes Land. Von 2000 bis 2007 verdreifachten sich die Schulden, von 2007 bis 2017 haben sie sich fast vervierfacht. Alleine in diesem Zeitraum haben private und staatliche Schuldner 26 Billionen US-Dollar neue Schulden angehäuft.
Das gleiche zeigt sich am Wachstum des chinesischen Finanzsystems. Insgesamt stehen 27 Billionen US-Dollar aus, was ungefähr einem Drittel des Welt-BIP entspricht. Alleine im Zeitraum seit 2007 ist es um 20 Prozent des Welt-BIP gewachsen.
So ein Boom ist nicht nur nicht nachhaltig, sondern inhärent destabilisierend. Eine erhebliche Fehlallokation von Kapital ist die zwangsläufige Folge. Derart starkes Wachstum der Ausleihungen hat bisher noch immer zu einer Krise geführt. So wuchs das Kreditvolumen in Japan in den fünf Jahren vor dem Platzen der Blase 1989 um 30 Prozent, in Südkorea bis zur Asienkrise um 22 Prozent und in den USA bis 2007 um 39 Prozent.
Kreditausfälle auf Rekordtief – löst die Regierung das Problem im Stillen?
Bei den Kreditausfällen sieht man dies bisher noch nicht. Im Gegenteil. Obwohl sich die Ausleihungen vervielfacht haben, liegen die Non-performing Loans auf Tiefstwerten. Der Economist spekulierte deshalb schon vor einiger Zeit, dass die Regierung wohl versucht, das Problem im Stillen zu lösen.
Dabei erleidet China das gleiche Schicksal wie wir im Westen. Die wachstumsstärkende Wirkung von neuen Schulden nimmt immer mehr ab. Jeder neue Dollar an Kredit erbringt nur noch rund 30 Cent Wachstum.
Damit liegt China zwar noch deutlich über den Werten bei uns, wo die Wirkung fast bei null angekommen ist, aber es gibt kaum Hoffnung, aus den Schulden herauszuwachsen.
Deshalb verfolgt China jetzt eine ähnliche Strategie wie wir seit 2008 und Japan seit 1989: billiges Geld und noch mehr Schulden. Zunächst wurde der Druck auf das Schattenbankensystem gelockert, um die Kreditvergabe anzukurbeln. Dies hat zu einer Stabilisierung der Immobilienpreise geführt. Eine Trendwende zu dauerhaft weiter steigenden Preisen ist jedoch unwahrscheinlich. Zu groß ist mittlerweile das Überangebot und zu hoch sind die Schulden. Es wird deshalb darauf hinauslaufen, dass der Staat die Nachfrage wieder direkt beleben muss. Wie auch bei uns im Westen werden die Schulden also weiterhin schneller wachsen als die Wirtschaft, diesmal jedoch im Staatssektor und nicht bei den Privaten.
Überkapazitäten in Bausektor und Industrie
Die Eurokrise ist in Wahrheit eine Überschuldungs-, Überkonsums- und Überinvestitionskrise. Erinnert sei nur an die Immobilienblase in Spanien, wo der Bausektor in der Spitze so groß war, wie der von Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammengerechnet.
In China ist es nicht anders. Der schuldenfinanzierte Boom hat Überkapazitäten geschaffen, wohin man schaut. So hat die Bauwirtschaft immerhin einen Anteil von 13 Prozent am BIP, rund doppelt so hoch wie in den USA im Jahr 2007. Zählt man die indirekt damit zusammenhängenden Sektoren wie Stahl und Baumaterialien hinzu, liegt der Wert sogar bei einem Drittel der Investitionen. Kommt es zu einem Einbruch am Markt, hat dies nicht nur Auswirkungen auf die chinesische Konjunktur, sondern erhebliche für die Rohstofflieferanten von Peru bis Australien und damit für die Weltwirtschaft.
Schulden und Überkapazitäten können nur mit Wirtschaftswachstum überwunden werden. Seit Monaten schwächt sich das Wachstum immer mehr ab und es spricht wenig für eine grundlegende Wende. Die Probleme treffen China just zu dem Zeitpunkt, indem auch die demografische Entwicklung kippt. Ähnlich wie in Japan 1990 fällt der Investitionsboom mit der Spitze der Erwerbsbevölkerung zusammen. Das Arbeitskräfteangebot sinkt bereits seit 2011. Für 2030 wird erwartet, dass in China rund 140 Millionen Arbeitskräfte fehlen.
Der Bevölkerungsrückgang wird durch die Ein-Kind-Politik deutlich verschärft. Die Präferenz für Jungen hat dazu geführt, dass auf sechs Jungen fünf Mädchen kommen, was angesichts der absolut großen Zahlen dazu führt, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten mehrere zehn Millionen chinesische Männer keine Chance haben, eine Frau zu finden. Dies wird zu erheblichen sozialen Problemen führen.
Hier kommt die Wohlstandsmauer ins Spiel. Dies ist die empirische Erfahrung, dass Staaten eine Entwicklung bis zu einem BIP pro Kopf in der Größenordnung von 10.000 bis 17.000 USD schaffen und danach nicht mehr weiterkommen. Nur Japan und Südkorea ist es in den letzten 100 Jahren gelungen, diese magische Grenze nach oben zu durchbrechen und von einem Schwellenland zu einer Industrienation zu werden. Andere wie Argentinien und die Sowjetunion sind an „der Mauer abgeprallt“ und wieder zurückgefallen.
Ökonomen erklären diese Entwicklung so: Zunächst ist es einfach, die ersten Erfolge zu erzielen. Es kommt zu einer Industrialisierung, einem Wachstum der Städte, und vor allem der Schaffung einfacher Arbeitsplätze. In dieser ersten Phase der Entwicklung haben eher autokratisch geprägte Wirtschaften einen Vorteil.
Um die magische Mauer zu überwinden, genügt dies jedoch nicht mehr. Stattdessen sind Innovationen, höherwertige Produkte und Dienstleistungen gefragt. Voraussetzung, um diesen nächsten Schritt zu tun, ist die Sicherung von Eigentumsrechten, Rechtsstaatlichkeit und Förderung von Innovation und Kreativität. Letztere sind stark mit persönlicher Freiheit verbunden.
Kapital muss in innovative und kreative Bereiche fließen. Genau das passiert jedoch nicht. 90 Prozent der neuen Kredite gehen an die Staatsunternehmen (SOEs), obwohl diese nur ein Drittel des BIP erwirtschaften. Sie sind zudem chronisch unprofitabel. Die staatlichen Banken leihen kleinen Unternehmen, die eher Innovationsmotor sein könnten, nur selten Geld.Trotz aller Fortschritte ist nicht sicher, ob es China schafft, diesen Wandel zu vollziehen. Interessanterweise gehen die Reformen der Regierung in die richtige Richtung, wie beispielsweise die Stärkung der Eigentumsrechte der Bauern an ihrem Land. Auch der Börsenboom diente unter anderem dazu, die Finanzierung der privaten Unternehmen die nur schwer an Bankfinanzierung kommen zu erleichtern. Im Vordergrund stand aber wohl die Refinanzierung von Staatsbetrieben und Banken.
Der Geist von 1929?
Doch nicht nur die Parallelen zur Entwicklung in Japan 1990 und zur amerikanischen und europäischen Immobilienblase 2007 stimmen bedenklich. Auch ein Vergleich mit den USA des Jahres 1929, wie ihn der englische Telegraph diese Woche anstellte, fällt beunruhigend aus.
Die USA 1929 und China heute waren demnach ähnlich weit in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Beide haben ein Jahrzehnt Wirtschaftsboom mit deutlichem Verschuldungsanstieg erlebt, wenngleich die Dimensionen in China heute deutlich größer sind. Die Börse in China ist zwar erst in den letzten 12 Monaten explodiert, während in den USA der Anstieg in den 1920er-Jahren über einen längeren Zeitraum erfolgte. Der echte Boom fand damals allerdings auch in der kurzen Zeitspanne seit 1927 statt, als die Wall Street rund 50 Prozent Kursgewinn verzeichnete.
Dies muss nicht bedeuten, dass die Geschichte sich nun wiederholt. Ohne Zweifel wird die chinesische Regierung eine Bankenkrise nicht zulassen. Es bleibt zu hoffen, dass es ihr auch gelingt, das Schattenbankensystem zu stabilisieren. Nur wetten können wir darauf nicht. Während wir an diesem Wochenende den Blick auf Brüssel richten, wo wir – so meine Prognose – wieder einen erneuten Kompromiss erleben werden, der weder die Probleme Griechenlands noch der Eurozone löst, braut sich am anderen Ende der Welt etwas zusammen, was die Weltwirtschaft erheblich belasten könnte. Ein China, welches zur Stabilisierung des eigenen Schuldenturms die Währung abwertet, um über Exporte die Wirtschaft zu beleben, könnte der Weltkonjunktur, die ohnehin im Jahre sechs nach der Krise auf schwachem Fundament steht, einen schweren Schlag versetzen. Die USA sind nach einem langen, nur als anämisch zu bezeichnenden Aufschwung, nicht mehr weit von der nächsten Rezession entfernt, während Europa die letzten sechs Jahre nicht dazu genutzt hat, das Haus wetterfest zu machen. Den Zentralbanken geht derweil die Munition aus.
Was dann droht, ist wirklich die Wiederholung des schlimmsten Fehlers der 1930er-Jahre: nämlich der Versuch, über die Abwertung der eigenen Währung und Protektionismus der eigenen Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil zu geben. Wer nun glaubt, dies sei eine unwahrscheinliche Annahme, der sei wiederum an die Stimmung in Brüssel erinnert. Noch nie waren die Länder der EU so zerstritten und die Bevölkerungen so (gegeneinander) aufgebracht. In einem solchen Umfeld gewinnen nicht die Politiker, die kooperativ sind, sondern jene, die auf Konfrontation gehen. Leider.
→ manager-magazin.de: „Chinas Verschuldungsboom – gefährliche Parallelen“, 10. Juli 2015