Best of bto 2018: Crash trotz Notenbanken
Dieser Kommentar von mir erschien im Januar 2018 bei manager magazin online:
Voller Optimismus starten wir in das Jahr 2018. Erstmals seit der Finanzkrise haben wir einen weltweiten Aufschwung, der sich zunehmend selbst trägt. China wächst, die USA werden in den Aufschwung hinein von der Steuersenkung befeuert und selbst Europa und Japan lassen lange Phasen der Stagnation hinter sich. Nur Großbritannien scheint als Folge des Brexits (?) auf eine Rezession zuzusteuern.
Die Staaten geben wieder mehr Geld aus (wirklich gespart hatten diese ohnehin allen Schlagzeilen zum Trotz nie) und die Geldpolitik bleibt angesichts der realwirtschaftlichen Entwicklung äußerst locker. Die Zinserhöhungen der US-Notenbank sind moderat und von den Märkten bereits eingepreist. Auch der Abbau der Notenbankbilanz scheint bisher die Märkte kalt zu lassen. Egal was passiert, so scheint es, die Börsen dürften auch 2018 zulegen.
Bitcoins kein Risiko
Auch die Spekulationen um Kryptowährungen und ein möglicher Crash derselben sind letztlich egal. Selbst wenn diese, wie von manchen Beobachtern gefürchtet, nach einer weiteren Preisexplosion auf null kollabieren sollten, so wäre das kein Problem. Vergleiche mit der Finanzkrise sind da völlig unangebracht, da es sich bei Bitcoin und Co. vor allem um Buchgewinne der wenigen Insider handelt, die früh eingestiegen sind. Das Marktvolumen ist gering und Schätzungen gehen in die Richtung, dass nur wenige Hundert Insider mehr als 50 Prozent des Bestandes an Kryptowährungen besitzen. Das geringe Handelsvolumen dürfte einer der wesentlichen Gründe für die hohe Volatilität und die beeindruckenden Kursgewinne sein.
Da in diesem Markt Leverage eine untergeordnete Bedeutung hat, besteht keine Gefahr für das Finanzsystem von dieser Seite. Wer sich um das Finanzsystem sorgt, sollte eher auf den Markt für Unternehmensanleihen schauen.
Zuletzt war es im Februar 2000 so schön
Man muss schon einige Zeit zurückgehen, um ähnlich gute Umstände zu finden – bis in den Februar des Jahres 2000. Auch damals sah es nach einem anhaltenden Boom in der Weltwirtschaft aus. Die Börsen standen auf Rekordniveau, der Optimismus der Konsumenten war auf historischem Höchststand. Das Munitionslager der Notenbanken war voll: Die Zinsen waren positiv und von Quantitative Easing – dem direkten Aufkauf von Wertpapieren durch die Zentralbanken im Umfang von Billionen – sprach man nur in der Theorie und dachte dabei an Japan.
Dennoch kam es bekanntlich anders. Die Blase an den Börsen platzte und die Weltwirtschaft stürzte in eine Rezession. Dies, obwohl auch damals die Überzeugung vorherrschte, dass die Notenbanken, allen voran die US-FED, jeden Einbruch verhindern könnten und würden.
Mit Blick auf die Realwirtschaft waren die Notenbanken auch mit einiger zeitlicher Verzögerung erfolgreich, die Börsen jedoch korrigierten zunächst deutlich. Die Rettung legte wiederum die Grundlage für die nächste Blase am Immobilienmarkt und damit die Finanzkrise. Letztere haben die Notenbanken dann erneut mit noch billigerem Geld bekämpft und dürften damit die dritte Blase in nur 20 Jahren aufgepumpt haben, noch größer als alle zuvor.
Besondere Art des „This Time it’s different“
Wie im Jahr 2000 wissen wir um die Gefahren: Die Börsen sind hoch bewertet, die Anleihen von Staaten und Unternehmen bringen fast keine Zinsen und die Verschuldung von Staaten und Privaten liegt weltweit auf Rekordniveau. Dennoch gibt es die feste Überzeugung, dass auch diesmal nichts schiefgehen kann. Erneut hören wir von allen Seiten die bekanntlich gefährlichsten Worte mit Blick auf Finanzmärkte: „This Time it’s different“.
Die Argumentation ist dabei vordergründig einleuchtend: Die Verschuldung sei mittlerweile so hoch, dass es unmöglich ist, dass die Zinsen jemals wieder steigen. Der Euro ist so kaputt, dass nur billiges Geld ihn stabilisieren kann. Die demografische Entwicklung ist so schlecht, dass wir in einer Welt mit zu vielen Ersparnissen gefangen sind, weshalb die Zinsen auch ohne Notenbanken tief bleiben. (Warum sind die Zinsen so tief?)
Alles zusammen lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Die Finanzmärkte erreichen ein permanent hohes Niveau, weil Sparern und Investoren keine andere Wahl bleibt, als Aktien und andere Assets mit wenigstens etwas Ertrag zu kaufen. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken, erkennen doch immer mehr Marktteilnehmer, dass eine Rückkehr zu den alten Zeiten nicht zu erwarten ist. Wer klug ist, kauft heute. Egal wie teuer es ist.
Nur ein Zinsanstieg könnte die Party beenden. Und der wird angesichts der genannten Probleme und dem entschiedenen Willen der Notenbanken, die Zinsen tief zu halten und über höhere Inflationsraten die Schulden zu entwerten, ausgeschlossen.
Lange Phasen der Zinssenkung gab es schon früher
Der Rückgang der Zinsen in den letzten 30 Jahren ist historisch keineswegs einmalig, wie eine von der Bank of England veröffentlichte Studie zeigt: In den letzten 700 Jahren lag der risikofreie Realzins (gemeint sind vermeintlich sichere Schuldner, also Staaten) im Durchschnitt bei 4,78 Prozent, im Schnitt der letzten 200 Jahre bei 2,6 Prozent. Deutlich über dem heutigen Niveau von nahe null. Der reale risikofreie Zins war mehrmals deutlich negativ. Zuletzt in den 1940er-Jahren. Hinter dem Rückgang des Realzinses in den letzten 200 Jahren steht unter anderem die Zunahme der Inflation. Betrug diese über 700 Jahre durchschnittlich 1,09 Prozent, stieg sie im letzten Jahrhundert auf rund zwei Prozent an.
Insgesamt lassen sich neun Phasen deutlichen Rückgangs der Realzinsen identifizieren. Diese dauerten mindestens zehn bis maximal 60 Jahre an und führten zu einem Rückgang des Realzinses um fünf bis 17 Prozentpunkte. Die Phase seit Mitte der 1980er-Jahre ist dabei die zweitlängste, aber zugleich die mit dem geringsten Rückgang der Realzinsen. Sie könnte folglich noch weiter andauern.
Alle Tiefzinsphasen endeten abrupt
Auch nach früheren Zinssenkungsphasen glaubten die Anleger, dass die Zinsen „nie wieder steigen“. Dennoch gingen die Zinsen immer wieder hinauf, und zwar, wie die Studie zeigt, durchaus dramatisch. Im Durchschnitt kletterte das reale risikofreie Zinsniveau innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Trendwende um über drei Prozentpunkte. Als Auslöser für die Trendwenden identifiziert die Studie Katastrophen wie große Pestepidemien und Kriege.
Nur Optimisten können mit Blick auf die heutige Situation in der Welt behaupten, dass ähnliche Katastrophen ausgeschlossen sind. Die Geschichte spricht dafür, dass es zu einem deutlichen Anstieg der Zinsen kommen könnte und dies auch noch sehr schnell. Als magische Grenze wird dabei oft eine Marke von drei Prozent für zehnjährige US-Staatsanleihen gesehen. Sollten die Zinsen über dieses Niveau steigen, hätte es erhebliche Auswirkungen auf die weltweiten Finanzmärkte, weil letztlich alle Vermögenspreise vom Zinsniveau abhängen.
Das Kreditrisiko kehrt zurück
Ein – wie auch immer ausgelöster – Anstieg des risikofreien Realzinses würde sich überproportional im allgemeinen Zinsniveau niederschlagen. Dies liegt daran, dass die Fähigkeit der Schuldner, ihren Verpflichtungen nachzukommen, abnimmt, sobald die Zinsen steigen. Da die Qualität der Schuldner in den letzten Jahren dramatisch gesunken ist, wäre eine Flucht der Investoren aus den dann wieder als hoch-riskant angesehenen Papieren die Folge.
Der Markt für Unternehmensanleihen sieht hierbei am gefährdetsten aus. Und zwar global. In Europa hat die EZB den Markt so weit verzerrt, dass Unternehmen mit einem Rating von BBB (also knapp über dem Niveau von Junk Bonds) von den Investoren dafür bezahlt werden, ihr Geld zu nehmen. So das Beispiel der französischen Veolia, die kürzlich eine ungesicherte Anleihe mit drei Jahren Laufzeit zu einem Zinssatz von – 0,026 Prozent platzierte.
Der Bank of America European High Yield Index (enthält BB-Papiere) erbringt mittlerweile weniger als der korrespondierende US-Staatsanleihen Index. Kreditschwache europäische Unternehmen zahlen also weniger als die größte Militärmacht der Welt.
In den USA sieht es nicht besser aus. Die US-Unternehmen waren noch nie so hoch verschuldet wie heute, sowohl absolut als auch relativ zu den entscheidenden Kenngrößen wie Cashflow, Gewinn und Eigenkapital. Alleine im letzten Jahr haben US-Unternehmen 1,14 Billionen US-Dollar neue Schulden gemacht. Unternehmen auf Junk-Niveau zahlen durchschnittlich weniger als sechs Prozent Zins. Dabei wissen wir aus vergangenen Kreditzyklen, dass die Gläubiger von Unternehmensanleihen im Falle einer Schieflage nur rund 35 Prozent ihres Einsatzes wiedersehen. Das Risiko ist also erheblich.
Auch in den Schwellenländern sind es vor allem die Unternehmen, die in den letzten Jahren die tiefen Zinsen dazu genutzt haben, mit deutlich mehr Kredit zu arbeiten. Dies gilt nicht nur für China. Hinzu kommt hier der deutliche Anstieg der Verschuldung in US-Dollar, was neben dem Zinsänderungsrisiko ein Wechselkursrisiko mit sich bringt, vor dem angesehene Institutionen wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schon seit Längerem warnen.
Steigt der risikofreie Zins nun an, schlägt sich das überproportional im Markt für Unternehmensanleihen nieder. Über Nacht ist das Kreditausfallrisiko wieder präsent. Die Zinsdifferenz (der sogenannte „Spread“) würde schnell und deutlich steigen, was zu einer erheblichen Verteuerung der Unternehmensfinanzierung und zugleich zu erheblichen Verlusten für die Anleger führt. Dies wiederum würde nochmals den Druck auf die Märkte erhöhen. Ein sich selbst beschleunigender Abstieg käme in Gang. Erste Pleiten würden den Prozess weiter beschleunigen. Historische Beispiele gibt es dafür genug. Zuletzt war zum Höhepunkt der Finanzkrise zu beobachten, dass Anleihen, die zuvor noch als solide eingestuft wurden, dramatisch an Wert verloren.
Dies wäre dann Auftakt für eine deflationäre Entwicklung, wie wir sie in der Weltwirtschaftskrise erlebt haben und die Irving Fisher in seiner “Debt-Deflation-Theory of Great Depressions” eindrücklich beschrieben hat. Es wäre der ultimative Margin Call für die Weltwirtschaft.
Nicht weniger, sondern mehr krisenanfällig
Dabei machen die tiefen Zinsen die Märkte nicht weniger, sondern mehr krisenanfällig. Nicht nur, weil die tiefen Zinsen zur Verschuldung animieren, sondern weil sie die Marktteilnehmer in Sicherheit wiegen. Es werden nicht nur mehr Kredite vergeben, sondern auch gegen geringere Sicherheiten. Moodyˋs „Covenant Quality Indicator“, also der Maßstab für die Sicherheiten, die den Kreditgebern eingeräumt werden, liegt seit mehr als vier Jahren über dem Wert von „4“ auf einer Skala von „1“ (sehr gut) bis „5“ (sehr schlecht). Im letzten Halbjahr lag er über 4,4. Die Investoren sind so hungrig nach Rendite, dass sie alles akzeptieren und die Unternehmen sind mehr als bereit, dies auszunutzen. Zuletzt war das im Jahre 2007 so.
Dabei ist der Spielraum für Enttäuschungen begrenzt. Gehen alle davon aus, dass nichts schiefgehen kann und es geht dann doch etwas schief, kann es zu einer raschen und deutlichen Korrektur kommen.
Pleiten wie jene von Steinhoff mögen zwar auf gefälschte Bücher zurückzuführen sein. Dennoch tragen sie zur Unterminierung des Vertrauens bei. Enron war ein ähnlicher Fall, der zunächst als ein Beispiel besonders dreister Manipulation aufflog, doch nicht alleine blieb. Ähnlich gelagerte Fälle waren Worldcom, Ahold und Tyco. Heute sind es die Skandale um Windstream und Community Health in den USA und HNA, Noble Group und Kobe Steel in Asien, die die berühmten „Kanarienvögel in der Kohlemine“ sein könnten.
Häufen sich die Fälle von Unternehmen, die in Zahlungsschwierigkeiten sind, steigen die Zinsen sprunghaft an. Steigen die Zinsen an, werden die Schieflagen häufiger.
Notenbanken halten dagegen?
Ein Albtraumszenario, welches schon 2008 fast wahr geworden wäre. Deshalb gehen die Optimisten davon aus, dass die Notenbanken eine solche Entwicklung um jeden Preis verhindern werden. Gelang es doch in den letzten 70 Jahren eine Deflation zu verhindern und jede Krise mit noch mehr und noch billigerem Geld zu unterdrücken. Warum sollte es also nicht bei der nächsten Krise wieder funktionieren?
Die Frage ist berechtigt. Bisher gibt es keinen Grund an der Allmacht der Notenbanken zu zweifeln. Natürlich ließen sich auch im historischen Vergleich noch tiefere Realzinsen durchsetzen. Natürlich können die Notenbanken zur direkten Finanzierung der Staaten übergehen, natürlich können die Helikopter zum Einsatz kommen und das Geld über den Städten abwerfen. Natürlich können die Notenbanker eine noch größere Blase an den Märkten aufpumpen.
Andererseits sind die Notenbanken schon einen weiten Weg gegangen. Es besteht die realistische Gefahr, dass das Vertrauen in unsere Geldordnung bei weiteren drastischen Interventionen der Notenbanken abnimmt. Die politische Akzeptanz für weitere Maßnahmen dürfte auch sinken. In Europa, weil die Maßnahmen der EZB immer auch eine Umverteilung zwischen den Mitgliedsländern bedeuten, der jegliche demokratische Legitimierung fehlt. In den USA, weil eine immer größere Gruppe an Politikern die Rettungspolitik der Notenbanken kritisch sieht.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es die US-Notenbank Fed war, die in der Finanzkrise den europäischen Banken die dringend erforderliche US-Dollar-Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Kommt es zu einem Zinsschock und damit zu einer neuen Krise in den Märkten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine US-Administration, die sich an den amerikanischen Interessen orientiert („America first“), eine erneute Rettung verweigert. Dies ist umso wahrscheinlicher, je größer die vorangegangene Katastrophe war, die den Zinsanstieg ausgelöst hat.
Die gute Nachricht ist, dass es noch lange bei tiefen Zinsen bleiben kann. Die schlechte lautet, dass eine Trendwende rasch und drastisch verlaufen dürfte, mit entsprechenden Folgen für alle Assets, deren Preis am billigen Geld hängt. Deshalb Vorsicht für alle, die nicht an die Allmacht der Notenbanker glauben. Ich gehöre dazu.
→ manager-magazin.de: “2018 – die Ruhe vor dem Crash?”, 10. Januar 2018