Der Fokus auf die Schulden­bremse verkennt das Umfeld

Es ist falsch, der Ampel einen Weg aufzuzeigen, neue Schulden zu machen. Es ist falsch, über neue Tricks die Regeln des Grundgesetzes zur Begrenzung von neuen Staatsschulden zu umgehen. Es ist falsch, zu glauben, nur mit neuen Schulden ließen sich die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. So die in unterschiedlicher Form vorgetragene Kritik an dem von mir gemeinsam mit Hans Albrecht vorgelegten Vorschlag zur Finanzierung der Investitionen in unser Land durch Mobilisierung der Target-2-Forderungen der Bundesbank.

Doch so einfach sollten wir das Thema nicht ad acta legen, droht doch weiterer erheblicher Schaden, sollte die Politik andere Wege der Mittelbeschaffung beschreiten.

Welche Optionen gäbe es denn, wie viel würden sie bringen und ist es realistisch, dass sie umgesetzt werden? Gehen wir sie durch:

1.     Der Staat hat genug Geld und muss nur an anderer Stelle sparen.

Diese Einschätzung ist durchaus zutreffend. Die Steuereinnahmen sind auf Rekordniveau und die Ausgaben des Bundes liegen auch nach dem – bisherigen – als „Sparhaushalt“ titulierten Entwurf für 2024 deutlich über dem Vor-Corona-Niveau. 445,7 Milliarden wollte die Bundesregierung im kommenden Jahr ausgeben, was 11,5 Prozent des BIP entspricht. 2019 lagen die Ausgaben des Bundes mit 343 Milliarden Euro bei rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Legt man dies zugrunde, ergibt sich ein Einsparungspotenzial von 58 Milliarden Euro.

Einige Milliarden sollten sich problemlos einsparen lassen, aber nicht die vollen 58 Milliarden. Das hat mehrere Gründe:

Zum einen haben die Regierungen seit 2009 trotz Rekordsteuereinnahmen und tiefer Zinsen die Staatsausgaben vor allem für Soziales verwendet. Allein im Zeitraum von 2009 bis 2018 hatte der Bund rund 460 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Nur ein Bruchteil des Geldes floss in Schuldentilgung, das Meiste ging in die Sozialversicherung (über 200 Milliarden), in Fluchtursachenbekämpfung und Migration und den Ausbau der öffentlichen Verwaltung. Die Investitionen unterblieben – nicht aus Geldmangel, sondern aufgrund mangelnden politischen Willens! – und müssen nun nachgeholt werden. Gleiches gilt für die Verteidigungsausgaben.

Nun könnte man meinen, dass der Anstieg der Sozialausgaben rückgängig gemacht werden muss, und in der Tat gehören viele Gesetze der großen Koalition, vor allem die Rente mit 63, korrigiert. Dies dürfte aber nichts daran ändern, dass in einer alternden Gesellschaft immer mehr verdeckte Verbindlichkeiten – Zusagen für Rente und Pensionen – budgetwirksam werden. Weitergehende Reformen, beispielsweise die der gesetzlichen Rente, die auch vom Sachverständigenrat der Bundesregierung angemahnt werden, können den Anstieg bremsen, aber nicht verhindern.

Ein weiterer Faktor wird es schwer machen, zum Ausgabenniveau des Jahres 2019 zurückzukehren. Die Zinswende belastet den Bund stark, weil die Finanzminister Schäuble und Scholz im Unterschied zu ihren Kollegen in anderen Ländern vor allem auf kürzer laufende Schulden gesetzt haben. So dürften die Zinsausgaben des Bundes nächstes Jahr rund 37 Milliarden Euro betragen – mehr als eine Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2019.

Fazit: Zweifellos hat der Staat erhebliches Einsparungspotenzial. Es ist aber weniger als es auf den ersten Blick erscheint und schwieriger zu realisieren.

2.     Die Klimapolitik könnten wir auch günstiger haben.

Die von der Ampel angestoßene „Transformation“ der Wirtschaft geht mit erheblichen Subventionen einher. Sollte man hier nicht eine Kursänderung einschlagen, um die Ziele des Klimaschutzes günstiger zu erreichen? Unbedingt! Bundeswirtschaftsminister Habeck glaubt nicht an die Kräfte des Marktes und setzt auf staatliche Steuerung, um den Umbau der Wirtschaft zu realisieren. Es wird so getan, als würden die Grundsätze von Effizienz und Effektivität beim Thema Klimaschutz nicht gelten. Dabei gilt das Gegenteil. Angesichts der enormen finanziellen Lasten, die der Umbau der Wirtschaft bedeutet, müssen wir besonders umsichtig mit unseren Ressourcen umgehen.

Konkret bedeutet das, dass wir auf Preissignale setzen und es dem Markt überlassen sollten, den effizientesten Weg zur CO2-Reduktion zu finden. Doch selbst dann dürfte es ohne staatliche Hilfe nicht in allen Bereichen funktionieren. Hier wäre es schön, wenn knappere Mittel die Politik endlich zu einem Umdenken zwingen würden.

Fazit: Ein Neustart der Klimapolitik ist dringend geboten. Doch auch dann bleibt ein erheblicher Finanzbedarf.

3.     Lasst uns doch einfach die Steuern erhöhen.

Dann lasst uns doch einfach die Steuern erhöhen? Dieser Ruf war schon zuvor von Grünen und SPD zu hören. Dabei steigt die Steuer- und Abgabenquote seit Jahren. Die Belastung der Unternehmen ist im internationalen Vergleich bereits hoch, gleiches gilt für die Arbeitnehmer. Will man nun die „Reichen“ mehr belasten, mag dies populär sein, bringt aber in der Praxis wenig. Immer, wenn es um die Beschaffung nennenswerter Beträge geht, muss die Steuer die breite Mitte treffen. Ob dies mit Blick auf gesunkene Reallöhne, bereits hohe Abgaben und die Lage der Wirtschaft das richtige Signal wäre, muss bezweifelt werden.

Natürlich kann man überlegen, die Erbschaftsteuer zu reformieren und hier und da steuerliche Subventionen abzuschaffen. Das bringt Einnahmen, löst aber das grundsätzliche Problem nicht.

Fazit: Abgesehen von kleineren Korrekturen am Steuersystem dürfte angesichts der bereits hohen Belastung und der Lage der Wirtschaft eine Finanzierung über Steuererhöhungen nicht sinnvoll sein.

4.     Oder doch lieber mehr Schulden?

Dann also doch einfach die Schuldenbremse aufheben? Angesichts des Ausgabenverhaltens unserer Politiker müssen wir dankbar sein, dass es eine Schuldenbremse gibt. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch anerkennen, dass die von der Schuldenbremse bewirkte Begrenzung der Ausgabenmöglichkeiten nicht zu einer zukunftsorientierten Prioritätensetzung, sondern zur Bevorzugung von konsumtiven Ausgaben geführt hat. Insofern gehört die Schuldenbremse reformiert, nicht abgeschafft.

Grundsätzlicher müssen wir außerdem anerkennen, dass wir uns die Währung mit Staaten teilen, die nicht im Traum daran denken, ihre Staatsfinanzen zu konsolidieren. Neben Italien ist hier vor allem Frankreich zu nennen. Diese Staaten setzen mit Blick auf den besseren Zustand unserer Staatsfinanzen auf „Solidarität“, konkret Transfers, wie im sogenannten „Wiederaufbaufonds“ vorgemacht. Da wäre es doch sinnvoller, mehr Geld im Inland auszugeben.

Aus dem gleichen Grund wird die EZB gezwungen sein, dauerhaft die hoch verschuldeten Euroländer zu unterstützen, weshalb der Euro viel mit der italienischen Lira und nur wenig mit der deutschen Mark gemein hat. Strukturell bedeutet das höhere Inflationsraten und das gilt für die gesamte Eurozone. Wer in diesem Umfeld spart und auf solide Staatsfinanzen setzt, ist der Dumme.

Fazit: Es spricht viel für eine Reform der Schuldenbremse. Diese muss aber mit klaren Leitplanken für die Politik versehen sein, damit wirklich investiert und nicht wie bisher, Geld verplempert wird.

 5.     Oder noch besser Schulden über den Umweg nach Brüssel?

Soweit die Optionen, die die öffentliche Debatte prägen. Es gibt eine weitere Option, die aus Sicht der Bundesregierung höchst attraktiv wäre, zugleich aber erheblichen Schaden für unser Land anrichten würde: der Umweg über Brüssel.

Bereits in ihren Wahlprogrammen haben sich SPD und Grüne für mehr europäische „Solidarität“ ausgesprochen und den „Wiederaufbaufonds“ als Muster für künftige ähnliche Instrumente gesehen. Nun könnten sie auf die Idee kommen, dem Drängen der hoch verschuldeten Staaten – allen voran Frankreich – nachzugeben.

Gemeinsame Schulden würden dann auch die Lücken im Bundeshaushalt schließen. Im Gegenzug würden wir mit unserer guten Bonität für die Schulden von allen mithaften. Welche falschen Anreize das setzt, kann konkret an der Verwendung der Mittel des „Wiederaufbaufonds“ beobachtet werden. Sogar der europäische Rechnungshof sieht diese kritisch. Der Bundesrechnungshof hat den Fonds massiv und deutlich kritisiert und warnt dringend vor weiteren derartigen Programmen.

Leider schließt das nicht aus, dass die Bundesregierung diesen Weg geht. Im Ergebnis wird das zu einem Verlust unseres guten Kreditratings, höheren Zinsen und perspektivisch hohen Belastungen führen.

Fazit: Der Umweg über Brüssel wäre der Gau. Ausschließen können wir ihn leider nicht.

 6.     Wieso nicht ungenutztes Vermögen mobilisieren?

Der Ökonom Thomas Mayer hat es einmal so formuliert: „Deutschland hat schon einen Staatsfonds: Target 2“. Leider ist das Thema der Target-Forderungen der Bundesbank kompliziert und wird deshalb ungern breit diskutiert. Obwohl der bekannte Ökonom Hans-Werner Sinn über das Thema ein ganzes Buch geschrieben hat, gilt es als nicht für die politische Diskussion geeignet. Hinzu kommt, dass wie üblich auch die Ökonomen geteilter Meinung sind. Für die einen ist es nur eine Verrechnungsposition, für die anderen ein Vermögenswert.

Offiziell zählt die Position zum deutschen Auslandsvermögen. Über 1000 Milliarden Euro werden über Target 2 von der Bundesbank im Rahmen des Eurosystems überwiegend an Italien und Spanien verliehen. Schlecht verzinst und ohne jegliche Möglichkeit, die Forderung fällig zu stellen. Zustande kommt diese Forderung durch unsere Exportüberschüsse, aber auch durch Kapitalflucht, vor allem aus Italien.

Hier setzt nun der vor einigen Tagen an dieser Stelle vorgetragene Lösungsvorschlag an. Zur Erinnerung die Eckpunkte des Vorschlags:

  • Wir gründen eine Gesellschaft, die mehrheitlich in Privatbesitz ist und mit staatlichen Garantien versehene Anleihen begibt.
  • Die Anleihen landen über den Umweg des Geschäftsbankensystems bei der Bundesbank.
  • Die Gesellschaft überweist die erhaltenen Gelder über Mailand nach London und von dort zurück nach Frankfurt, wo sie für die erforderlichen Investitionen verwendet werden.

Im Ergebnis hat die Bundesbank weniger Forderungen im Rahmen von Target 2 und stattdessen Forderungen gegen die neu gegründete Gesellschaft. Werden diese wie die Target-Forderungen behandelt, sind sie zu verzinsen, aber nie zu tilgen. Im Ergebnis führen wir einen Vermögenswert, den wir in den letzten Jahren durch unsere Sparsamkeit gebildet haben, einem produktiven Zweck zu.

Fazit: Es ist allemal besser, diesen Weg zu beschreiten, als alle zuvor diskutierten.

Ein Wort zum Schluss

Wir stehen vor Jahrzehnten steigender Ausgaben angesichts der demographischen Entwicklung und der veränderten geopolitischen Lage. Wir teilen unsere Währung mit Staaten, die auf Inflation setzen müssen, sind sie doch sonst nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Statt unsere Augen vor diesen Tatsachen zu verschließen, gilt es, eine Strategie zu entwickeln, Wohlstand für unser Land zu erhalten. Zugegeben, dazu ist ein radikaler Kurswechsel auf vielen Politikfeldern erforderlich. Beginnen wir doch mit intelligenter Finanzpolitik.

→ welt.de (Anmeldung erforderlich): „6 Wege aus Deutschlands Schulden-Misere – und so sinnvoll sind sie wirklich“, 07. Dezember 2023