Vom Kredit zum Zins – Eigentumsökonomik II
Letzte Woche habe ich im ersten Teil meiner kleinen Serie zur Eigentumsökonomik die Bedeutung von Privateigentum und Schulden in unserem Wirtschaftssystem beleuchtet. Heute wollen wir uns anschauen, weshalb es überhaupt Zinsen gibt.
Der Kreditgeber bekommt doch Sicherheiten für sein Darlehen. Wozu also noch Zinsen? Das liegt daran, dass er für die Dauer des Kredits nicht frei über sein Eigentum verfügen kann. Wenn er selbst in Not gerät, muss er sich wiederum von jemand anderem einen Kredit gewähren lassen. Hinzu kommt, dass der Kreditgeber damit rechnen muss, dass das Saatgut zum Zeitpunkt der Rückzahlung weniger wert ist, zum Beispiel, weil auf ein Dürrejahr eine sehr gute Ernte gefolgt ist. Er braucht also eine Entschädigung: den Zins. Die Bedeutung der Erfindung des Zinses kann gar nicht genug betont werden, denn er schafft die Grundlage für eine völlig neue Dynamik in der Gesellschaft. Der Schuldner muss nicht nur um sein Eigentum fürchten, wenn er seine Schulden nicht bedient. Er muss zudem noch ein Mehrprodukt erzeugen, also mehr Getreide zurückgeben, als er geliehen hat. Die Zinsen im Altertum waren hoch – nicht zuletzt wegen des Preisrisikos für den Gläubiger.
Dieser Druck für den Schuldner führt dazu, dass er mehr arbeitet und außerdem erfindungsreicher wird. Durch Innovation – wie zum Beispiel die Erfindung eines Pfluges – kann er seine Ernte steigern und damit besser den Kredit zurückzahlen. So verwundert es nicht, dass das Rad in Mesopotamien erfunden wurde, dem Land, aus dem die ersten Kreditverträge der Menschheit überliefert sind. Doch nicht nur die Schuldner geben sich mehr Mühe. Auch alle anderen trachten immer mehr danach, ihre eigene Sicherheit zu erhöhen, indem sie immer größere Vorräte anlegen und Grund und Boden hinzu erwerben. Das müssen sie auch, weil die Innovation der anderen zugleich das eigene Vermögen relativ entwertet. Wenn der andere schneller wird, wird man selbst verhältnismäßig langsamer. Und damit relativ teurer. Neuere Maschinen helfen nicht nur den Schuldnern, sondern erhöhen für alle den Druck. Wer nicht konstant besser wird, scheidet irgendwann aus dem Markt aus und verliert sein Eigentum.
Alle Schulden erfordern einen Zins, der durch ein Mehr-Produkt zu erwirtschaften ist. Das geht aber bloß, wenn auch wieder Mehr-Nachfrage da ist. Diese ergibt sich aber nur dann, wenn Gläubiger mehr konsumieren, also ihr Erspartes verbrauchen oder neue Schuldner hinzukommen. Das System erfordert ein kontinuierliches Wachstum an Schulden, wollen die Schuldner in der Lage sein, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Manche Beobachter gehen gar so weit, das System der Eigentumswirtschaft, das wir gemeinhin als “Kapitalismus” bezeichnen und welches wohl eher “Schuldenwirtschaft” genannt werden sollte, als einen Kettenbrief zu sehen: Nur durch Mehr-Schulden gibt es keine Krise!
Dieses konstante Wachstum der Schulden bedeutet aber keineswegs einen Anstieg der Schuldenquoten, also dem Verhältnis von Schulden zu Einkommen. Jeder neue Kredit führt letztlich zu einer Mehrleistung und damit auch zu mehr Einkommen und – indirekt – mehr Eigentum in Form von Vorräten und produktiverem und damit wertvollerem Land. Problematisch wird es dann, wenn der Schuldner diese Mehrleistung nicht erbringt.
Der Wert des Eigentums basiert letztlich auf den Einkommen, die man mit ihm erzielen kann und dem Zins, den man bezahlen muss. Bei gleichem Einkommen führen höhere Zinsen zu einem tieferen Wert und umgekehrt. So lässt sich erklären, dass die realen, also inflationsbereinigten Immobilienpreise in den USA in den mehr als 100 Jahren zwischen 1890 und 1997 regelmäßig um den gleichen Wert schwankten. Andere Studien zeigen, dass das Gesamtvermögen eines Landes um die Größenordnung von rund 400 Prozent des Bruttoinlandsproduktes schwankt.
Ein kontinuierlicher Anstieg von Schulden, wie wir ihn in den letzten Jahrzehnten in der westlichen Welt beobachten konnten, ist in einer solchen Wirtschaftsordnung eigentlich undenkbar, außer man hält sich nicht an die Regeln und nimmt Kredite auf, ohne mehr zu leisten – was die Kreditgeber nur so lange mitmachen, wie sie daran glauben, dass das Eigentum der Schuldner noch mehr wert ist als die Schulden. Die Überbewertung von Immobilien, wie wir sie in den USA, aber auch in Spanien und Irland in den letzten Jahren erlebt haben, ist die Voraussetzung für Schuldenkrisen aller Art, weil Eigentum zu überhöhten Werten beliehen wurde. Nach dem Rückgang der Preise erkennen die Kreditgeber, dass das Pfand weniger wert ist als gedacht, während die Schuldner merken, dass sie den Kredit nicht ordnungsgemäß bedienen können.
Nächsten Mittwoch Teil 3: Vom Zins zu Geld und Banken