Rationale Politiker wählen den Schrecken ohne Ende ‒ leider
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→ manager-magazin.de: Umschuldung für Griechenland – ein Schrecken ohne Ende, 4. Februar 2015
Jetzt gibt es doch keinen Schuldenschnitt. Die neue griechische Regierung schlägt einen versöhnlichen Ton an, die Börsen feiern die neue Kompromissbereitschaft, der Euro bleibt gerettet. Im Interview mit der Financial Times spricht der neue Finanzminister Yanis Varoufakis statt von einem Schuldenschnitt von einem „Menü an Umschuldungen“, um die Schuldenlast zu senken, unter anderem durch zwei neue Arten von Anleihen. So würde der Teil der Schulden, der gegenüber den anderen EU-Staaten besteht, in Anleihen gewandelt, deren Rückzahlung (ab 2055?) von der Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts abhängt. Die Schulden bei der EZB würden in „ewige Anleihen“ gewandelt, also niemals getilgt werden. Er nannte dies eine „kluge Schuldenrestrukturierung“, die zudem das Wort „Schuldenschnitt“ vermeidet, welches politisch in einigen Ländern wie Deutschland nicht akzeptabel sei, „weil es zu sehr nach einem echten Verlust für die Steuerzahler“ klinge.
So kann die Bundesregierung doch ihr Versprechen halten, dass uns Deutsche die Rettung Griechenlands und des Euros nichts kosten wird. Es wäre auch schwer zu begründen, weshalb wir in Deutschland seit Jahren Schulen und Straßen verfallen lassen, um dann das Geld anderen zu schenken. Glaubt man den Meinungsumfragen, ist es gerade im Fall von Griechenland besonders unpopulär. Dabei muss man festhalten, dass genau diese Weigerung echte Verluste anzuerkennen, uns erst in die heutige Lage gebracht hat. Hätten wir 2010 die Schulden der Griechen wirklich gestrichen, statt sie von privaten auf öffentliche Gläubiger umzuschulden, hätten wir stattdessen deutsche Banken retten müssen. Dies währe ehrlicher und effizienter gewesen. Vor allem wären wir heute nicht erpressbar.
Nun wird der Schuldenschnitt nicht mehr so genannt. Doch was anderes ist es, wenn die EZB die Schulden in ewig laufende Anleihen – mit vermutlich geringstem Zins – umschuldet? Was anderes als ein Schuldenschnitt ist es, wenn wir die Schulden bis 2055 verlängern, zinsfrei stellen und die Rückzahlung von bestimmten Faktoren abhängig machen?
Dabei ist die Idee, die Rückzahlung an das wirtschaftliche Wachstum zu koppeln, nicht schlecht. Bei Unternehmensinsolvenzen bekommen die Gläubiger auch oft “Besserungsscheine” und partizipieren so an der Erholung. Im Unterschied zu Griechenland werden die Unternehmen dann aber saniert. Wie es aussieht, ist Ähnliches für Griechenland illusorisch. Es wurde gespart und besteuert, aber nicht reformiert. Und das Wirtschaftsprogramm der neuen Regierung ist scharf links, was geringe Hoffnungen auf wirkliche Reformen zur Stärkung der Wirtschaftskraft macht. 2055 sind viele der heutigen Wähler und Politiker sowieso nicht mehr dabei, wenn es dann die nächste Umschuldung gibt.
Ökonomisch ist dies eindeutig ein Geschenk, welches einem Schuldenschnitt entspricht, egal wie nett wir es nennen. Wenn die Bundesregierung dies nicht so sieht, dann sollte sie doch uns Bürgern auch zins- und tilgungsfreie Darlehen bis 2055 einräumen. Wir könnten mal so richtig die Nachfrage stärken und Herr Schäuble hätte immer noch seine schwarze Null! Zumindest, wenn man die gleiche kameralistische Sicht anwendet. Müssten Staaten wie Unternehmen bilanzieren, wäre der Schwindel offensichtlich.
Dabei hat Griechenland kein akutes Problem mit den Schulden, wie eine Analyse der Zinsbelastung zeigt. Die Belastung der Griechen mit Zinsen in Höhe von 2,6 Prozent vom BIP ist deutlich geringer als in Spanien (4,1 Prozent), Italien (4,7 Prozent), Portugal (5 Prozent) und Irland (3,3 Prozent). Die öffentlichen Gläubiger bekommen bis 2022 ohnehin keine Zinsen, wie der SPIEGEL so schön vorrechnet. Das Thema Schuldenschnitt ist damit völlig irrelevant für die heutige Politik in Griechenland.
Doch warum legt sich die neue Regierung wegen eines ökonomisch auf absehbare Zeit nicht bedeutsamen Themas so deutlich und laut mit Europa an? Zum einen geht es sicherlich darum, den Griechen zu erlauben, etwas weniger Primärüberschuss (also vor Zinszahlungen) im Staatshaushalt zu haben. Dies hätte die Regierung sicherlich auch auf weitaus leiserem Wege erreicht.
In Wirklichkeit dürfte es um etwas ganz anderes gehen: einen Politikwechsel in Europa. Die zweifellos falsch durchgeführte Sparpolitik in Griechenland wird als Beweis dafür herangezogen, dass Sparen nur schadet und die Wirtschaft lieber mit mehr (staatlichen) Schulden und billigem Geld stimuliert werden muss.
So zitiert der britische Telegraph mit Freude Joschka Fischer, der in einem Beitrag für Project Syndicate festhält, dass die deutsche Europolitik damit gescheitert ist. Sparen sei offensichtlich falsch und deshalb müssten jetzt mehr Schulden gemacht werden, um die Krise zu lösen.
→ The Telegraph: Germany will have to yield in dangerous game of chicken with Greece, 2. Februar 2015
Damit steht ein Dammbruch bevor. Eine Währungsunion funktioniert nur, wenn man entweder völlig integriert ist, also eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt: gleiche Sozialstandards, gleiche Besteuerung und zentrale Budgethoheit. Oder, wenn eine solche Integration nicht gegeben oder erzielbar ist, wenn es klare Schuldengrenzen und ein unumstößliches No-Bail-out gibt mit der Akzeptanz von Staatsbankrotten.
Bei der Einführung des Euros haben die deutschen Politiker auf die völlige Integration gehofft und als Krücke die Schuldengrenzen und No-Bail-out-Regeln implementiert. Ein geordnetes Insolvenzverfahren hielt man nicht für nötig. Eine Einschätzung, die sich seit 2010 bitter gerecht hat.
Schon bei Einführung des Euros wurden die Kriterien aufgeweicht. Mit Italien wurde ein Land aufgenommen, welches zum Zeitpunkt des Beitritts bereits Schulden von mehr als 60 Prozent vom BIP hatte. Bei Griechenland waren die Zahlen gefälscht und dies den Beobachtern in Brüssel und Berlin bewusst, wenn auch nicht das ganze Ausmaß der Faktenschönung. Bei der ersten Krise haben Deutschland und Frankreich die Drei-Prozent-Hürde für das laufende Defizit gerissen und ein eigentlich fälliges EU-Verfahren verhindert. Und zum ersten Höhepunkt der Eurokrise wurde die No-Bail-out-Klausel kurzerhand über Bord geworfen.
Griechenland treibt uns jetzt in eine noch teurere Fortsetzung dieses Trends: eine Währungsunion mit gemeinsamer Haftung, vollem Finanzausgleich, ohne jegliche Angleichung von Besteuerung und Sozialstandards und faktischer Budgetautonomie der einzelnen Staaten. Noch geben es die anderen Krisenländer und Frankreich nicht offen zu. Aber auch diese würden ein solches Regime nur zu sehr begrüßen. Gepaart mit einer EZB, die im großem Umfang Staatsanleihen aufkauft, obwohl dies erwiesener Maßen keinerlei realwirtschaftlichen Nutzen hat. Letztlich schafft die EZB so die Voraussetzung, um auch die Schulden anderer Staaten in Anleihen mit ewiger Laufzeit zu wandeln. Quasi eine Bereinigung der faulen Schulden über die Bilanz der EZB, vor der an dieser Stelle schon gewarnt wurde.
Damit stehen wir Deutsche vor dem Worst Case: eine EZB-finanzierte Haftungsgemeinschaft, die jene belohnt, die am großzügigsten zur eigenen Bevölkerung sind. Wer in diesem Szenario spart, ist der Dumme. Gewinner sind jene Länder, die Konsum vor Investition stellen und wiederum die Finanzmärkte. Schuld an der Misere sind wir jedoch selbst, weil wir es zugelassen haben, dass unsere Politiker sich immer nur von Kompromiss zu Kompromiss gehandelt haben, immer in der Hoffnung, dass das Volk nicht genau versteht, was passiert und im Glauben an die Ehrlichkeit unserer Partner. Assistiert von willfährigen Experten, die, mit Blick auf den vorgeblichen Nutzen für Deutschland, die jeweiligen Entscheide unterstützten.
In diesen Wochen haben wir die letzte Chance den Schaden für uns zu begrenzen. Natürlich kann Griechenland ‒ wie die anderen Krisenländer auch ‒ die Schulden nicht bedienen. Statt dies zu leugnen, sollten wir es zugeben und die Schulden bereinigen. Das wäre ein Ende der Krise mit Schrecken ‒ so droht uns der berühmte Schrecken ohne Ende. Der rationale Bürger würde Option eins wählen. Der rationale Politiker Option zwei.