Marcel Fratzschers vertane Chance in der FT
Marcel Fratzscher vom DIW ist es gelungen, sich neben Hans-Werner Sinn in der Öffentlichkeit zu positionieren. Dabei verfolgt er, um sich zu differenzieren (und vermutlich auch, um in Berlin Gehör zu finden) einen staatstragenden Kurs der Unterstützung des Euros, der bisherigen Rettungspolitik und vor allem auch der Maßnahmen der EZB. Ganz im Unterschied zu Sinn. Wie bei einem guten Produkt geht es darum, sich zu differenzieren. Fratzscher gelingt das so gut, dass er nun auch in der FT zu Wort kommt. Anlass für mich, dies etwas genauer anzusehen. Zeigt es der angelsächsichen Leserschaft doch auch, wie (schlecht) es um die deutsche Volkswirtschaftslehre bestellt ist. Die Highlights:
- Die Deutschen haben großes Vertrauen in die Bundesbank und deren Politik. Deshalb fühlen sie sich jetzt von Europa und dessen Institutionen (bto: gemeint ist vor allem die EZB) hintergangen. Hier muss die deutsche Politik standhaft dagegen halten, um Schaden von Deutschland und Europa abzuwenden (bto: so zumindest die Forderung gleich zu Anfang des Artikels).
- Ursache für diese deutsche Enttäuschung ist die Tatsache, dass die Bundesbank bei wichtigen Entscheidungen überstimmt wurde und dies, obwohl Letztere bis 1999 faktisch die europäische Geldpolitik alleine bestimmt hat. (bto: Zum einen kann man sehr wohl anmerken, dass es komisch ist, dass alle das gleiche Stimmrecht haben, Deutschland mit 28 Prozent Kapitalanteil an der EZB aber immer der Hauptgarant für die EZB ist. Zum anderen ist es nur vordergündig so, dass die Bundesbank vor der Euroeinführung dominiert hat. Die anderen Länder konnten immer über den Wechselkurs reagieren.)
- Viele Deutsche bezweifeln die Zuverlässigkeit der europäischen Partner. Griechenland nach der Wahl, Italien und Frankreich halten sich nicht an Sparauflagen, England optimiert sich selbst. (bto: Was ist mit no-bailout?). Dabei hat die deutsche Regierung die richtige Politik verfolgt, stößt jetzt aber an die Grenze wegen der zunehmenden politischen Spannungen in den Krisenländern. (bto: Was ist der Erfolg der Politik, wenn in allen Ländern der Eurozone die Schulden von Staaten und Privatsektoren über dem Niveau von 2008 liegen? Das Wort “Schulden” taucht in dem Beitrag übrigens überhaupt nicht auf.)
- Nachdem es bis jetzt nur Allgemeinplätze waren, kommt Fratzscher zu seiner Forderung an die Politik (zusätzlich zur geforderten Standfestigkeit!):
- 1. Die Bürger überzeugen, dass das, was gut ist für die Krisenländer, auch gut ist für Deutschland. Zwei Drittel der deutschen Exporte und Direktinvestitionen gehen in die EU. Natürlich wären in den Ländern Reformen nötig, genauso sehr aber das Investitionsprogramm von Juncker, das Quantitative Easing der EZB und mehr “Flexibilität” in der Fiskalpolitik. ‒ bto: Soso. Zunächst also die Feststellung, dass wir uns die Märkte für unsere Exporte dadurch erkaufen müssen, dass wir unseren Kunden weiterhin Kredit geben, obwohl diese schon jetzt nicht in der Lage sind die Schulden zu bedienen. Denn nichts anderes steht hinter den Handelsüberschüssen. Kein Wort zu den Verteilungswirkungen in Deutschland, die erheblich sind und nicht adressiert werden. Kein Wort zu den immer weiter steigenden Verschuldungsquoten. Eine platte Behauptung ohne wirkliche Begründung.
- 2. Die Deutschen sollten bescheidener und geduldiger sein. Die Krisenländer würden radikalere Reformen machen als wir in Deutschland und nur dank der Agenda 2010 wären wir heute, wo wir stehen. ‒ bto: Tja. Richtig ist, dass Spanien und Portugal reformiert haben. Die Griechen haben gespart, ohne aber wirklich zu modernisieren. In Italien und Frankreich sehe ich ‒ wahrscheinlich unbescheiden und ungeduldig ‒ keine Reformen. Zudem die Mähr von der Agenda 2010, und nur deshalb wären wir so gut. Dies stimmt zum Teil, weil wir in der Tat so mehr Leute in Arbeit statt in Arbeitslosigkeit haben. Doch warum waren wir “der kranke Mann Europas”? Weil wir mit einem überbewerteten Wechselkurs in den Euro gekommen sind und dann mühsam über interne Abwertung mit mehr als zehn Jahren stagnierenden Reallöhnen wieder wettbewerbsfähig geworden sind ‒ also das, was wir jetzt auch von den anderen fordern.
- 3. Deutschland soll eine aktivere Führungsrolle in Europa übernehmen, hin zu mehr Integration und Kooperation. Dazu muss die deutsche Politik Frankreich wieder als Partner gewinnen ‒ bto: Was er meint ist, wir sollen uns das Wohlwollen der Partner erkaufen. Denn angesichts der politischen Stimmung in Europa ist es völlig unrealistisch, dass es für mehr Integration eine politische Mehrheit gibt. Damit erinnert mich Fratzscher an den Witz über Volkswirte: Kommen ein Ingenieur und ein Volkswirt bei einer Wanderung an einen Fluss und wollen diesen überqueren. Überlegt der Ingenieur, wie er eine Brücke baut, sagt der Volkswirt: “Nehmen wir an, wir wären auf der anderen Seite.”
Um zu schließen: So verlockend es für die deutsche Politik wäre, dem innenpolitischen Druck nachzugeben, soll die Politik dem widerstehen und stattdessen die Bevölkerung dahingehend aufklären, dass mehr Integration der richtige Weg für Deutschland ist (und damit mehr Überweisungen, was er aber nicht ausdrücklich sagt).
Natürlich beneide ich Herrn Fratzscher, dass ihm die FT so viel Raum einräumt. Doch frage ich mich, wieso er diesen nicht nutzt:
- Wieso appelliert er in der FT an die deutsche Politik? Das kann er hier viel besser tun, darf man doch getrost annehmen, dass es so viel weniger in Berlin wahrgenommen wird, wenn überhaupt.
- Wieso wiederholt er ohne Untermauerung der Fakten die Argumente, die in der FT ohnehin immer wieder vorgebracht werden (Nutzen für Exporte etc.)? Will er den Lesern zeigen, dass es auch Deutsche gibt, die es so sehen? Man darf annehmen, dass die Kollegen der FT sehr wohl sehen, dass Deutschland nicht nur einen Nutzen daraus hat.
- Wo ist die neue Perspektive? Wo ist der neue Ansatz zur Lösung der Krise? Es ist die Wiederholung desselben Mantras der letzten Jahre, verbunden mit der Aufforderung jetzt großzügiger zu sein.
- Keine Antwort zur Kernfrage Europas: Wie werden wir die faulen Schulden los?
- Kein Wort zu den Kosten für Deutschland: Wie viel kostet es denn den Euro zu retten?
Es ist ein politischer Beitrag, statt ein inhaltlicher. Damit im falschen Medium. Bei meinen treuen Lesern entschuldige ich mich ausdrücklich dafür, heute im Gegensatz zu meinem Grundsatz, nur gute Quellen zu verlinken, einen schlechten Artikel kommentiert zu haben. Er zeigt aber für mich, wie schlecht wir unsere Position im Ausland verdeutlichen. Letzteres gilt übrigens auch für Herrn Sinn, der ebenfalls in der FT geschrieben hat. Der hatte allerdings die Fakten auf seiner Seite, ihm fehlte nur der Blick auf Kompromisslösungen, die bei Fratzscher im Fokus stehen.
→ FT (Anmeldung erforderlich): Germany should recall its time in Europe’s sick bay, 27. Januar 2015