Kern der deutschen Kritik: monetäre Finanzierung der EZB
Gestern ging es mir um die Folgen der EZB-Politik. Heute beleuchtet der ehemalige Chefvolkswirt Jürgen Stark, der wohl gewichtigste Kritiker, im Gespräch mit der FuW die deutsche Sicht auf die Handlungen der EZB. Wie immer ein paar Highlights mit Anmerkungen meinerseits:
- Zur Geldpolitik allgemein: “Von einer geldpolitischen Normalisierung sind wir weltweit noch weit entfernt. Auch die US-Notenbank betreibt eine unangemessene Zinspolitik – die Leitzinsen müssten bei einer Inflationsrate von 2 %, einem Wachstum von leicht über 2 % und Vollbeschäftigung mit 4,3 % Arbeitslosigkeit höher sein. In Europa sind wir von einem solchen Prozess noch weit weg.” – bto: was natürlich daran liegt, dass die überschuldete Wirtschaft keine höheren Zinsen verkraftet.
- “(…) der Zins [hat] seine Lenkungs- und Steuerungsfunktion verloren. Mit Nullzinsen befinden sich Volkswirtschaften in einem Blindflug.” – bto: Das stimmt natürlich. Geld ist nicht mehr knapp, zumindest nicht für jene, die Zugang zu Kredit haben.
- Dann zu den Folgen für die Realwirtschaft, ein Punkt, den ich vollends teile: “Es werden Unternehmen am Leben gehalten, die eigentlich den Markt schon hätten verlassen müssen. Diese Zombie-Unternehmen sind mit ein Grund, warum die Produktivitätsentwicklung deutlich schwächer ist als in den vergangenen Jahrzehnten.” – bto: Er sagt “mit ein Grund” und das stimmt. Es ist einer neben anderen Gründen. Siehe Diskussion der letzten Woche.
- Zur Frage der geringen Inflation: “Bisher gibt es keine schlüssige Erklärung, sondern nur verschiedene Erklärungsversuche. Globalisierung, Vernetzung und technologische Innovation haben die Preistransparenz erhöht, was Preiserhöhungen schwieriger macht. Dazu kommen Messprobleme. Wir verwenden im täglichen Leben Produkte, für die es keinen Preis gibt – zum Beispiel das Surfen im Internet oder das Beschaffen von Informationen.” – bto: Ich denke, es liegt an allen diesen Faktoren und deshalb ist auch die Zielsetzung der Notenbanken verfehlt. Sie dient ohnehin nur als Deckmantel, um die Geldpolitik zu rechtfertigen.
- “Man (…) muss auch die Vermögenspreise in Betracht ziehen. Dass die Immobilienpreise in den Ballungsräumen in die Höhe geschossen sind, ebenso wie die Aktienmärkte, ist durch diese Geldpolitik mitverursacht.” – bto: Das ist sicherlich richtig. Thomas Piketty dankt.
- “Finanzrepression war nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein probates Mittel, um die kriegsbedingten Schulden abzubauen. Dazu hat man die Zinsen unter dem Nominalwachstum der Wirtschaft gehalten, also unter dem realen Wachstum plus Inflation. Damit hat man die Schulden abgeschmolzen. Dieser Prozess dauerte bis in die Achtzigerjahre. Jetzt sind wir wieder in einer solchen Situation.” – bto: Problem: Die Schulden sind viel höher und das nominale Wachstum ist viel zu tief. Es geht nicht.
- Dann rät er zur Schocktherapie, die ich theoretisch für richtig, praktisch für desaströs halte: “(…) durch den Kauf von Staatspapieren (wurden) bewusst die Refinanzierungskosten gesenkt (…). Damit hat man einen falschen Anreiz gesetzt. Insbesondere Italien ist sich der misslichen Lage des öffentlichen Haushalts nicht voll bewusst. Deshalb wäre ein Ausstieg aus dem Anleihenkauf und der damit zusammenhängende Anstieg der Renditen eine Schockphase für diese hoch verschuldeten Länder.” – bto: und der Auftakt für eine Depression, soziale und politische Unruhen und einen Austritt aus dem Euro. Kann man machen, politisch jedoch undenkbar.
- “Realwirtschaftlich könnte ein Zinsanstieg einen Investitionsschub auslösen. Glauben die Unternehmen, dass die Zinsen steigen, würden sie sich womöglich der günstigen Finanzierungsbedingungen bedienen und Investitionen vorziehen. Ich sehe das Problem deshalb eher bei der öffentlichen Verschuldung als bei der Wirkung auf die Realwirtschaft.” – bto: Starks Annahme, dass steigende Zinsen Investitionen begünstigen könnten, teile ich. Dennoch würde aus meiner Sicht der negative Effekt überwiegen. Die Zombies gingen pleite (gut), die Banken gingen pleite (gut), aber die Realwirtschaft stürzte in eine Depression. Schlecht.
- “Was die EZB tut, ist monetäre Finanzierung. (…) die EZB handelt ausserhalb ihres Mandats.” – bto: Das wäre nicht so schlimm, würde die Zeit genutzt, um die Probleme anzugehen.
- “(…) wir leben offenbar in einer anderen Welt, in der wir die Inflation nicht mehr richtig messen und in der die Staaten die potenzielle Belastung durch die hohe Verschuldung nicht mehr spüren. Es gibt eine Grafik der BIZ – der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel – über die letzten dreissig Jahre: Die Zinsen gehen stetig nach unten, gleichzeitig steigt die Verschuldung. Die niedrigen Zinsen geben einen deutlichen Anreiz, sich stärker zu verschulden.” – bto: Und das ist Absicht! Das System will weiter steigende Schulden und braucht die auch.
- “Was ist in der nächsten Krise? Wenn die Zentralbanken die Finanzierung der Staaten sicherstellen müssen, hat das zur Konsequenz, dass der Ausstieg nie erfolgen kann. Wie sind die Zentralbanken dann gerüstet, wenn der nächste Abschwung kommt?” – bto: Gar nicht, lautet die knappe Antwort. Es muss mit stetig steigender Dosis weitergehen.
- “Ich glaube nicht, dass Helikoptergeld in grossem Stil kommt. Es wäre ein reiner Akt der Verzweiflung. Die Grenzen der Geldpolitik sind längst erreicht. (…) Die Zentralbanken sind völlig überfordert – aber daran sind sie selbst schuld, da sie sich diese Last haben aufbürden lassen. Oder sie haben in Überschätzung ihrer eigenen Möglichkeiten mehr Macht an sich gezogen und den Glauben suggeriert, sie seien die Retter der Welt.” – bto: Die Zentralbanken haben uns mit ihrer Politik der letzten 30 Jahre erst in diese Lage gebracht.
- Zum Thema Ausstieg aus der Geldpolitik: “Dazu müssen aber zuerst die Bankbilanzen in Ordnung gebracht werden. In Portugal, Spanien, Griechenland, Zypern und Italien haben Banken Not leidende Kredite in unglaublichem Ausmass in ihren Büchern. Spitzenreiter ist Italien mit 350 Mrd. € oder 17 % des gesamten Kreditvolumens. Im gesamten Euroraum sind es 1,1 Bio. €. Das ist eine Belastung für die Banken, und deshalb sind sie zurückhaltend bei der Kreditvergabe.” – bto: Und wie genau soll dies erfolgen? Das ist doch die entscheidende Frage. Gibt es nur den Weg über die EZB-Bilanz oder die Umverteilung auf stärkere Länder wie Deutschland?
- “Den Euro wird es geben, solange Frankreich und Deutschland dies wollen. (…) Für die Zusammensetzung des Euroraums lege ich aber meine Hand nicht ins Feuer. Der Euro ist gestartet, irreversibel zu sein. Ich glaube, das ist er auch. Das heisst aber nicht, dass die Mitgliedschaft von Ländern im Euro irreversibel ist.” – bto: Dann müsste Stark aber auch sagen, wie der Euroraum erhalten wird – und zwar nur durch massive Umverteilung oder durch die “Entschuldigung” über die EZB-Bilanz. Massive Umverteilung jedoch kann Deutschland gar nicht stemmen angesichts unserer wirtschaftlichen Herausforderungen (Demografie, ungedeckte Verbindlichkeiten fürs Alter, Autokrise).
bto: Generell ist es leichter zu analysieren, als eine echte Lösung anzubieten, einfach deshalb, weil eine Lösung per Definition schmerzhaft sein muss.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Die EZB betreibt monetäre Finanzierung”, 28. Juni 2017