„Herr Krichbaum, bewerten Sie Ihre bisherigen Antworten als Plädoyer für die Europäische Union?“
„Herr Krichbaum, bewerten Sie Ihre bisherigen Antworten als Plädoyer für die Europäische Union?“, fragte der Moderator Christoph Heinemann vom Deutschlandfunk am vergangenen Freitag den Vorsitzenden des Europa-Ausschusses des Deutschen Bundestages im Laufe des Interviews. Es war weniger eine Frage als die Feststellung: sicherlich nicht. Anlass, sich die Highlights einmal anzuschauen:
- „Heinemann: Dann deklinieren wir doch mal die Fragen durch, die viele Menschen beschäftigen. Zum Beispiel: Wird die Türkei eines Tages zur EU gehören? – Krichbaum: Das ist eine deswegen schwer zu beantwortende Frage, weil, es kommt in erster Linie auf die Türkei an. Aber die Türkei hat sich in den letzten Jahren von den Standards der Europäischen Union mehr weg entwickelt als hin entwickelt. Wahr ist aber auch, dass wir die Türkei noch in ganz anderem Zusammenhang brauchen. (…) Und ich möchte nicht, dass ein zweiter Balkan entsteht im Nahen Osten zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“ – bto: Wir brauchen die Türkei, deshalb müssen wir bei unseren Standards Abstriche machen? Naher Osten wie der Balkan? Ist Krichbaum für militärisches Eingreifen? Ich hoffe, mal nicht.
- „Heinemann: Herr Krichbaum, Sie sagten gerade, die Türkei entfernt sich von Europa. Können Sie uns bitte erklären, warum die EU dann mit der Türkei gerade ein neues Kapitel der Beitrittsverhandlungen eröffnet hat? – Krichbaum: Wenn wir hier – das soll ja erst noch kommen – die Kapitel 23, 24 eröffnen (das sind die sogenannten Rechtsstaatskapitel), dann hat man natürlich auch die Chance, stärker auf einen Staat einzuwirken. (…) Und gerade was demokratische Standards angeht, gibt es in der Türkei doch sehr, sehr vieles zu verbessern.“ – bto: Blabla. Die Frage wurde nicht beantwortet.
- „Heinemann: Aber Sie können nicht mit Ja oder Nein beantworten die Frage, ob die Türkei dazugehören wird oder nicht? (…) – Krichbaum: Ich glaube, wir haben alle wenig davon, wenn wir nachher ein islamisiertes Land wie die Türkei vor der Haustüre haben, was dann in Instabilität versinken kann.“ – bto: Antwort gab es keine. Es klingt aber stark so: Natürlich nehmen wir die auf, weil dank der Integration in die EU eine Islamisierung verhindert wird. Wir machen das ja schon so erfolgreich.
- „Heinemann: Sie haben jetzt gesagt, der Ball liegt im türkischen Lager. Muss nicht die EU für sich, um auch den Menschen hier Sicherheit zu geben, ganz klar sagen Ja oder Nein? – Krichbaum: Noch einmal: Wir verhandeln ja mit der Türkei und wir brauchen die Türkei noch in ganz anderen Sachen. (…) Es ist ja nicht so, dass Erdogan für die nächsten 100 Jahre dort Präsident ist. Deswegen: Wir müssen auch vielleicht uns von kurzfristigen Gedankengängen manchmal verabschieden.“ – bto: Klartext: Die Türkei soll beitreten. Und nicht erst im Jahre 2100.
Dann kommt eine kurze Feststellung, dass die Ukraine auf keinen Fall aufgenommen wird.
- „Heinemann: Aber prinzipiell soll die Erweiterung fortgesetzt werden? – Krichbaum: Die Erweiterung wird ja deswegen schon fortgesetzt, weil wir in Verhandlungen stehen, auch mit den südosteuropäischen Staaten.“
- „Heinemann: Ist das die richtige Antwort auf den Brexit? – Krichbaum: (…) Und dann bin ich auch davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung will, dass natürlich auch dieses europäische Projekt weitergeführt wird, auch die Erweiterungsfragen.“ – bto: Sicherheitshalber fragt man die Bevölkerung dann doch lieber nicht.
- „Heinemann: Herr Krichbaum, wieso verletzen zum Beispiel Frankreich und Italien weiterhin ungestraft den Stabilitätspakt? – Krichbaum: Weil Deutschland und Frankreich leider in den Jahren 2003, 2004 hier mit sehr schlechtem Beispiel vorangegangen sind.“
- „Heinemann: Das ist die Begründung? – Krichbaum: Es ist genau dieser Punkt, diese Verlotterung des Rechts auch innerhalb der Europäischen Union, die viele Menschen zweifeln lässt, und da müssen wir uns auch selber an der Nase packen. Das heißt: Die Regeln, die wir uns setzen, müssen wir dann auch am Ende des Tages einhalten.“
- „Heinemann: Herr Krichbaum, bewerten Sie Ihre bisherigen Antworten als Plädoyer für die Europäische Union? – Krichbaum: Warten wir doch erst mal ab, wie die Dinge sich weiter in Großbritannien entwickeln. Es werden viele Arbeitsplätze verloren gehen und auch ein schlechtes Beispiel ist vielleicht am Ende des Tages immer noch ein gutes, wenn andere Länder dann erkennen, wie nachteilig es ist, aus der Europäischen Union herauszugehen.“ – bto: Da ist sie wieder die Drohung. Wenn es England schlechter geht, dann wegen des fehlenden Zugangs zum Binnenmarkt. Doch wo steht geschrieben, dass man für freien Handel auch eine Bürokratie in Brüssel und eine Umverteilung von Flüchtlingen braucht?
- „Heinemann: Was passiert denn, wenn das Gegenteil passiert, wenn das Vereinigte Königreich vereinigt bleibt und in zwei Jahren prosperierend und glücklich unabhängig ist? – Krichbaum: Das ist wider aller Wahrscheinlichkeit (…) Denn wer aus der Europäischen Union herausgeht, der geht auch aus dem Binnenmarkt heraus.“ – bto: Nicht die EU ist der Segen, sondern der Binnenmarkt!
Lasst uns doch auf den Binnenmarkt besinnen und versuchen, wenigstens diesen für uns alle zu retten!
P.S.: Herr Krichbaum ist Jurist.
→ Deutschlandfunk: „Vergewisserung auf nationale Identitäten zulassen“, 1. Juli 2016