Zölle kaufen den euro­päischen Auto­bauern nicht mal Zeit

Für neue Anbieter ist es schwer, sich in etablierten Märkten durchzusetzen. Die eingesessenen Anbieter können über größen- und erfahrungsbedingte Kostenvorteile verfügen, haben einen effizienten Vertrieb und profitieren von bestehenden Kundenbeziehungen, um nur einige Faktoren zu nennen.

Ganz anders ist die Situation, wenn es zu einem technologischen Umbruch kommt. Neue Technologien unterminieren oder eliminieren gar die Vorteile der bestehenden Anbieter und geben Neueinsteigern die Chance, den Markt aufzumischen. Doch nicht nur das.

Die Erfahrung spricht dafür, dass die neuen Firmen in diesem Szenario nach wenigen Jahren den Markt dominieren. Nur selten gelingt etablierten Unternehmen die nötige Umstellung auf die Gegebenheiten der neuen Welt. Man denke an Nokia, dessen weltweiter Marktanteil bei Mobiltelefonen innerhalb von nur fünf Jahren von über 50 auf unter zehn Prozent fiel, nachdem Apple den Markt revolutioniert hatte.

Der verstorbene Harvard-Forscher Clayton Christensen stellte fest, dass etablierte Unternehmen oft nicht scheitern, weil sie Dinge falsch machen, sondern weil sie die Dinge gemäß ihrem aktuellen Geschäftsmodell richtig machen, das aber durch neue Technologien auf den Kopf gestellt wird.

Womit wir zur Automobilindustrie kommen. Die Branche steht bekanntlich vor erheblichen Herausforderungen. Bestehende Technologien müssen noch lange genutzt werden, um die Umstellung auf Elektrofahrzeuge zu finanzieren, was zu einem Mangel an Fokus führt. Frühere Erfolgsfaktoren – sparsame Motoren, leistungsfähige Getriebe – spielen in der neuen Welt keine Rolle mehr. Bei den entscheidenden Themen Batterie und Digitalisierung ist die Branche gegenüber den neuen Wettbewerbern in Rückstand geraten.

Können Zölle den Wettbewerbsrückstand ausgleichen?

China ist mit Abstand der größte Produzent von Batterien für Elektroautos und hat zudem eine fast monopolartige Stellung bei wichtigen Vorprodukten. Batterien stehen für rund 40 Prozent der Kosten eines E-Fahrzeugs.

Zugleich ist das Land mit Abstand der größte Markt für Elektroautos, was dazu führt, dass die überwiegend chinesischen Anbieter deutliche Volumenzuwächse verzeichnen konnten. Die Folge ist: Die Unternehmen können immer günstiger produzieren und so in den globalen Wettbewerb einsteigen.

Es ist unstrittig, dass eine erhebliche staatliche Förderung in China die Grundlagen für den Erfolg bei Batterien und Elektroautos gelegt hat. Insofern kann man nachvollziehen, dass die EU-Kommission eine Wettbewerbsverzerrung sieht und Strafzölle verhängen will.

Die eigentliche Frage ist jedoch, ob die Zölle der hiesigen Industrie dabei helfen können, den Wettbewerbsrückstand gegenüber den Angreifern aus China auszugleichen? Skepsis ist angebracht. Eine Studie der Rhodium Group rechnet vor, dass der Anbieter BYD mit jedem in der EU verkauften Seal-U-Modell einen Gewinn von rund 14.300 Euro macht, verglichen mit 1300 Euro bei in China verkauften Einheiten.

Das bedeutet, dass BYD in der EU pro Fahrzeug 13.000 Euro mehr verdient und demzufolge trotz 17,4 Prozent Strafzoll einen echten Kostenvorteil hat. Ganz anders bei dem ebenfalls in China hergestellten BMW iX3: Hier übersteigt der Zoll von 21 Prozent die EU-Preisprämie deutlich.

Die traurige Nachricht ist deshalb, dass die Zölle der EU kein geeignetes Mittel sind, um der hiesigen Branche die dringend benötigte Zeit zu kaufen. Der Wettbewerbsvorteil der chinesischen Anbieter ist echt und dürfte mit der Zeit immer größer werden. Eine weitere Branche wird so durch einen technologischen Sprung kräftig durcheinandergewirbelt.

Die EU, die mit ihren Auflagen den Umbruch befördert hat, versäumte gleichzeitig, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die heimischen Anbieter davon profitieren. China hat diesen strategischen Fehler konsequent ausgenutzt.

→ handelsblatt.com: „Zölle kaufen den europäischen Autobauern nicht mal Zeit“, 23. Juni 2024