Wir müssen uns auf dauer­haft hohe In­flation und ne­gative Real­zinsen ein­stellen

Wohl noch nie wurden die USA und mit ihnen die westlich geprägte Ordnung der Welt so herausgefordert wie heute. Der Krieg in der Ukraine entwickelt sich immer stärker in Richtung eines Abnutzungskriegs, der mehr und mehr an die Stellungsschlachten des Ersten Weltkriegs erinnert.

Material und Menschen werden für marginale militärische Fortschritte geopfert. Zwangsläufig stellt sich die Frage: Welche Seite hält das länger durch?

Es ist nicht sicher, dass es der Westen sein wird. Das Vereinigte Königreich und die Nato haben gewarnt, dass den westlichen Militärmächten die Munition ausgeht, mit der die Ukraine sich gegen die groß angelegte Invasion Russlands verteidigen kann. Russland hingegen hat die Produktion von Waffen und Munition deutlich erhöht, und selbst Raketen scheinen dem Land nicht auszugehen.

Gleichzeitig hat die vom Iran unterstützte Hamas eine weitere Front eröffnet. Kommt es zu einer Ausweitung des Krieges durch Einbezug der Hisbollah im Libanon, die über 150.000 Raketen verfügen soll, steht die Existenz Israels auf dem Spiel. Massive militärische Unterstützung bis hin zu – im Extremszenario – einem direkten militärischen Engagement der USA ist nicht auszuschließen.

Wittert China dann eine Chance, in Taiwan vollendete Tatsachen zu schaffen? Möglich ist das.

Die technologische Überlegenheit des Westens ist kein Garant für einen Sieg, aber für hohe Kosten. Während die Herstellung der von Russland eingesetzten Drohnen iranischer Produktion nur 20.000 US-Dollar pro Stück kostet, kann der Abschuss einer solchen Drohne zwischen 140.000 und 500.000 US-Dollar kosten.

Westen wird in Zukunft mehr für Verteidigung ausgeben müssen

Dass Kriege extrem teuer sind, ist keine neue Erkenntnis. Der Westen – auch Deutschland – wird in den kommenden Jahren deutlich mehr für Verteidigung ausgeben müssen. Dies verschärft allerdings das Problem der weltweit schon stark angespannten Staatsfinanzen. Prominente Stimmen wie der CEO der Großbank HSBC, Noel Quinn, warnen bereits vor einer „fiskalischen Klippe“ für die USA.

In der Tat ziehen die Zinsen für US-Staatsanleihen – nicht zuletzt wegen zunehmender Zweifel an der Solidität der Staatsfinanzen – seit Monaten deutlich an. Schon ohne Mehrfrontenkrieg schätzte das überparteiliche Congressional Budget Office, dass die US-Staatsverschuldung bis 2053 auf fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen wird. Auf Jahre hinaus ist mit Defiziten von sechs Prozent des BIPs zu rechnen.

Die US-Staatsverschuldung ist bereits jetzt so hoch wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Man braucht folglich keine große Vorstellungskraft, um die Finanzierung eines Kriegs als Schritt über die fiskalische Klippe zu sehen – in den USA, aber auch in den anderen Staaten des Westens.

Heißt dies, dass wir in diesem Konflikt nicht bestehen können und werden? Keineswegs. Ich zweifle nicht daran, dass der Westen – wenn auch in Europa mit der üblichen Zeitverzögerung – die Herausforderung annehmen wird. Höhere Steuern, weniger Sozialleistungen und weniger Konsum werden die Wirtschaft prägen. Doch angesichts der hohen Schulden dürfte das nicht genügen.

Noch extremer als im und nach dem Zweiten Weltkrieg wird man deshalb auf finanzielle Repression setzen müssen. Mit einer Kombination aus direkter Staatsfinanzierung durch die Notenbanken, hoher Inflation, weit negativen Realzinsen und Beschränkungen des Kapitalverkehrs werden die Regierungen so sicherstellen, dass die Staatsschulden relativ zum nominalen BIP nicht untragbar werden. Investoren und Unternehmer sollten sich darauf einstellen.

→ handelsblatt.com: „Wir müssen uns auf dauerhaft hohe Inflation und negative Realzinsen einstellen“, 05. November 2023