Wie wirtschaftliche Macht zu geopolitischer Macht werden kann
Das Drama um die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump hat einem seit Jahrzehnten vor allem hierzulande vernachlässigten Thema wieder zu hoher Aktualität verholfen: Geoökonomie, die wirtschaftspolitische Staatskunst. Als Begründer dieser Disziplin gilt der deutschstämmige Ökonom Albert Hirschman, der 1945 unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik vor dem Zweiten Weltkrieg ein Buch mit dem Titel „National Power and the Structure of Foreign Trade“ veröffentlichte.
Darin erklärt Hirschmann, wie aus Handelsbeziehungen Abhängigkeits-, Einfluss- und sogar Herrschaftsverhältnisse entstehen. Die Möglichkeit, Handels- oder Finanzbeziehungen mit anderen Ländern zu unterbrechen, ist für ihn ein entscheidender Faktor für die Machtposition eines Landes. Woraus folgt, dass ein Land, das seine strategische Position im Hinblick auf seinen eigenen Handel optimal nutzen möchte, versuchen wird, Bedingungen zu schaffen, die Handelsunterbrechungen für seine Handelspartner zu einem weitaus größeren Problem zu machen als für sich selbst.
Simpel gesprochen: Ein Land, welches seine strategische Autonomie behalten will, würde keine Energiepolitik betreiben, die sich übermäßig von einem Lieferanten abhängig macht – beispielsweise von russischem Gas als Back-up für einen Atomausstieg – oder übermäßig von einem Kunden – zum Beispiel China als Hauptertragsquelle für seine Schlüsselindustrie. Das sind nur zwei der Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik in den vergangenen Jahrzehnten.
Weniger angreifbar und erpressbar werden
Egal wie der Zollstreit nun weitergeht, es dürfte unstrittig sein, dass es ein elementarer Irrtum ist, wenn man sich als exportorientierte Nation darauf verlässt, dass einem das Umfeld immer wohlgesonnen und Märkte immer offen sind.
Der neue Nationale Sicherheitsrat der Bundesrepublik – so er denn wie von den Koalitionären geplant zustande kommt – sollte die aktuelle Forschung zum Thema in die eigene Arbeit einfließen lassen. Pünktlich zum Handelsstreit haben die Wissenschaftler Christopher Clayton, Matteo Maggiori und Jesse Schreger in Vorbereitung des Jahresberichts des National Bureau of Economic Research (NBER) neue Forschungen zu diesem Thema vorgelegt. In „Putting Economics Back Into Geoeconomics“ zeigen sie nicht nur anhand einer Fülle historischer und aktueller Beispiele auf, wie Staaten ihre Handelsposition zur Durchsetzung ihrer (politischen) Interessen nutzen, sondern auch, was andere Staaten tun können – und sollten – um sich weniger angreifbar und erpressbar zu machen.
Dabei sind Zölle nur eines von vielen Instrumenten, mit denen wirtschaftliche Macht zu geopolitischer Macht werden kann. Ebenfalls zum Instrumentarium zählen finanzielle Sanktionen und die Beschlagnahmung von Vermögenswerten, wie wir es im Zusammenhang mit Russland in den vergangenen Jahren gesehen haben.
Die Sanktionen gegen Russland zeigen allerdings auch, dass die Lehren der Geoökonomie nicht nur für Deutschland von höchster Bedeutung sind, sondern auch für die USA. Die Sanktionen gegen Russland hatten nicht zuletzt deshalb nicht den erhofften Erfolg, weil sich viele maßgebliche Länder – konkret Indien und China – den Sanktionen nicht angeschlossen haben.
Die Lehre daraus für die USA kann nur sein, sollte es wirklich zum großen Konflikt mit China kommen und die Verteidigung der US-amerikanischen Hegemonie auf dem Spiel stehen, dass man am Ende nur Erfolg haben wird, wenn wichtige Länder und Regionen an der Seite der USA stehen. Diese jedoch ebenfalls mit Zöllen zu überziehen und faktisch einen Handelskrieg mit der ganzen Welt zu beginnen, bewirkt nun genau das Gegenteil von dem, was strategisch eigentlich beabsichtigt sein müsste.
Bleibt zu hoffen, dass eine in die Defensive geratene US-Regierung nicht als nächste Eskalationsidee darauf kommt, die Rolle der US-Notenbank Fed als globalem Kreditgeber der letzten Instanz für US-Dollar für den Fall erneuter Spannungen im Weltfinanzsystem einzuschränken. Das letzte Mal, als diese Rolle vakant war, kam es zur Weltwirtschaftskrise.
Glücklicherweise spricht viel dafür, dass die US-Regierung nach einem gesichtswahrenden Rückzug aus der Zollpolitik sucht und eine weitere Eskalation unterbleibt.