Politik gegen die Armen

Die Europäische Union möchte mit ihrer Verordnung für entwaldungsfreie Produkte sicherstellen, dass weniger Wälder gerodet werden innerhalb der Lieferkette von Unternehmen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nennt den Ansatz „innovativ und weltweit einmalig“. Es betont, dass es vor allem deutschen Bestrebungen zu verdanken sei, dass nun weltweit der Wald geschützt werde.

Wer sollte in Zeiten des Klimawandels gegen den Schutz der Wälder sein? Niemand. Das bedeutet aber keinesfalls, dass man den von der EU eingeschlagenen Weg begrüßen sollte.

Denn bekanntlich gibt es trotz der immensen Herausforderung des Klimawandels noch weitere Ziele der menschlichen Entwicklung, die in den 17 UN-Entwicklungszielen zusammengefasst sind. Darin stehen so wichtige Bestrebungen wie die Bekämpfung von Hunger und Armut und der Zugang zu sauberem Wasser und Bildung.

Nun sollte man annehmen, dass die EU ihren „innovativen“ Ansatz so ausgestaltet, dass das Klimaziel nicht zulasten der anderen Ziele erreicht wird. Weit gefehlt.

Die Verantwortung für den Schutz des Waldes wird den hiesigen Importeuren übertragen, die wiederum von ihren Lieferanten entsprechende Nachweise verlangen müssen, dass sie für den Anbau ihrer Produkte seit 31.12.2020 keinen Wald abgeholzt haben.

Die EU-Verordnung setzt dadurch massive Investitionen der Lieferländer voraus. Die Staaten müssen den Entwaldungsstatus von Grundstücken erfassen, die Exporteure Systeme zur Nachverfolgung jedes Erzeugnisses zu dessen Ursprung aufbauen, und die einzelnen Landwirte müssen den Ursprung ihrer Produkte von verschiedenen Grundstücken nachweisen und möglicherweise in Verpackungen, Chargen- und Sackkennzeichnungen investieren.

Was einfach klingt, ist für die vielen Kleinbauern in der Welt gar nicht einfach umzusetzen. Profitieren werden Großunternehmen – und zwar doppelt: Sie können die erforderlichen Nachweise erbringen und angesichts des absehbar schrumpfenden Angebots ihre Preise erhöhen, denn einige Anbieter werden vom europäischen Markt verschwinden.

Besonders grotesk ist das Beispiel von äthiopischem Kaffee, der aus klimatischen Gründen überwiegend im Wald angebaut wird. Das arme Land erzielt etwa ein Drittel seiner Exporterlöse mit Kaffee. Nun muss das Land die geschätzt vier bis fünf Millionen Kleinbauern dazu befähigen, die geforderten Daten zu sammeln und zu erfassen. Allerdings sind viele von ihnen Analphabeten.

Sehr wahrscheinlich werden daher Millionen äthiopische Bauern, die seit Jahrzehnten mit EU-Entwicklungshilfe gefördert werden, nun in Existenznot gestürzt.

Die Entwaldungsrichtlinie steht damit exemplarisch für die Neigung der EU zu dem, was der deutsche Nationalökonom und Soziologe Max Weber als „Gesinnungsethik“ bezeichnet hat: Handlungen orientieren sich an einem als richtig erkannten Wert, die tatsächlichen Folgen dieser Handlungen werden ignoriert. Sich dann noch selbst dafür zu loben macht die Sache nicht besser.

Innovativ wäre gewesen, den Ländern die technischen Instrumente an die Hand zu geben. Doch dazu fehlten wohl Wille und Kompetenz. Denn das EU-eigene Tool zur Datenübertragung ist schließlich auch noch nicht fertig.

→ handelsblatt.com: „Die Entwaldungsrichtlinie der EU ist Politik gegen die Armen“, 04. August 2024